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Handy in der Hand, Bildschirm zeigt WhatsApp-Logo

Foto: Victoria Borodinova/Pixabay.com

Wie WhatsApp unseren Alltag beherrscht

18 August 2022

Lesezeit 8 Minuten

WhatsApp ist für viele von uns zum täglichen Begleiter geworden: Spontane Treffen mit der besten Freundin, Geburtstagsglückwünsche für den Onkel, Gruppenchats mit den Kolleg*innen oder dem Sportverein. Doch der Messenger-Marktführer hat neben vielen positiven Effekten auch ein paar unschöne Nebenwirkungen. Das zeigt zumindest eine Studie der Hochschule der Medien Stuttgart, die uns dankenswerter Weise von einem der Autor*innen zur Verfügung gestellt wurde. Die Studie hat Menschen danach befragt, wie sie WhatsApp nutzen und wo sie Vor- und Nachteile sehen. In diesem Blogartikel geben wir ein paar Einblicke in die Ergebnisse.

Organisation von Privatem und Beruflichem

Die meisten Befragten nutzen den Messenger sowohl privat als auch beruflich, meist für Organisation, Absprachen, Terminkoordination und ähnliches. Für einige ist diese Art der Kommunikation sogar gar nicht mehr wegzudenken. Wer WhatsApp beruflich nutzt, erhofft sich von der ständigen Erreichbarkeit für Kolleg*innen und Vorgesetze oft eine karrierefördernde Wirkung. Allerdings bemängeln sie auch die selbstbefeuerte Konfrontation von Privat- und Arbeitsleben, die dadurch entstehe.

 „Die Teilnehmer*innen beschreiben, wie die Trennung dieser beiden Bereiche [privat und beruflich] durch die mediale Plattform WhatsApp an Schärfe verliert. WhatsApp-Nachrichten von Kolleg*innen werden auch in der Freizeit und im Urlaub empfangen und beantwortet, während private WhatsApp-Unterhaltungen ebenso im beruflichen Umfeld stattfinden.“ (S. 36)

Privat wie beruflich: Das Gefühl, permanent erreichbar und digital präsent sein zu müssen, um den Erwartungen ihrer Mitmenschen gerecht zu werden, wird von den Teilnehmenden als belastend wahrgenommen. Sie fühlen sich durch die ständige Erreichbarkeit gestresst und überreizt. Manche der Teilnehmenden ziehen daher Konsequenzen und verzichten in bestimmten Situationen komplett aufs Handy:

 „Um Momente und Augenblicke genießen zu können und der Dauerpräsenz zu entgehen, wird das Smartphone fallweise bewusst ausgestellt und beiseitegelegt.“ (S. 48)

Wenn Dich das Thema digitaler Stress interessiert, wirf mal einen Blick in diese Blogartikel von uns:

WhatsApp-Logo

Foto: Arivera / Pixabay.com

Wie effizient ist WhatsApp wirklich?

Ein zweiter Kritikpunkt der Teilnehmenden betrifft die Effizienz der Kommunikation über WhatsApp. Denn oft sei die Messenger-Kommunikation gar nicht so effizient, wie man denkt. Kritisiert wird vor allem, dass die Kommunikation teilweise deutlich langwieriger und komplizierter sei als beispielsweise mittels eines Telefonats. Weitere Kritikpunkte sind die Anfälligkeit für Missverständnisse, die inflationäre Nutzung (zu viele Nachrichten, zeitintensive Bearbeitung), unnötig lange Sprachnachrichten und Spam beziehungsweise unwichtige Inhalte.

Kontrollieren und kontrolliert werden

WhatsApp wird von den Befragten nicht nur zu Organisationszwecken genutzt, sondern auch als Kontrollinstrument. WhatsApp als Kontrollinstrument, Lesebestätigung, Zeitpunkt des letzten Log-Ins, Profilbild und Status können einiges über die Kontakte aus dem Telefonbuch verraten. Nutzer*innen genießen das Machtgefühl, Bescheid zu wissen und vielleicht sogar einen Informationsvorsprung zu haben. Gleichzeitig empfinden sie es als höchst unangenehm, selbst auf diese Art kontrolliert zu werden oder kontrolliert werden zu können.

 „Die Kontrolle durch andere wird mit Druck und Stress verbunden. Verantwortlich hierfür machen die Proband*innen die Transparenz und Gläsernheit der eigenen WhatsApp-Nutzung, die ihrem Empfinden nach eine Erwartungshaltung in anderen weckt. Die Teilnehmer*innen fühlen sich verpflichtet, auf eingehende Nachrichten umgehend zu antworten, um Missverständnissen vorzubeugen. Sie haben Angst, die Sender*innen der Nachricht zu kränken oder zu beleidigen, da ein Nicht-Beantworten der Nachricht – obwohl sie gelesen wurde – als Desinteresse interpretiert werden kann. […] [Es] wird deutlich, dass die Proband*innen selbst so handeln, wie sie von anderen nicht behandelt werden wollen.“ (S. 45)

Dabei ließe sich das Kontrolliert-Werden ganz einfach umgehen, indem man die Anzeige von Lesebestätigungen und Log-In-Zeitpunkten deaktiviert. Allerdings kann man diese dann auch bei anderen Nutzer*innen nicht mehr sehen. Lassen wir uns freiwillig kontrollieren, obwohl wir uns damit schlecht fühlen, nur um andere weiterhin kontrollieren zu können?

WhatsApp oder E-Mail: Was ist besser?

In der Studie wurden die Teilnehmenden gebeten, WhatsApp mit E-Mails und einem Telefonat zu vergleichen. Ein Punkt hat uns dabei besonders überrascht: Eine WhatsApp-Nachricht wird tatsächlich als verbindlicher eingestuft als eine E-Mail. Wir hätten es genau anders herum erwartet, da die E-Mail das deutlich förmlichere Kommunikationsmittel ist. Allerdings sind die Studienteilnehmenden der Ansicht, dass man beim Abschicken eine E-Mail nicht unbedingt mit einer Antwort rechnen könne. Da sei eine WhatsApp-Nachricht fordernder (Stichwort Lesebestätigung) und somit verbindlicher. Genau aus diesem Grund sehen sie in WhatsApp aber auch eine Ursache für Stress und Belastung, deutlich stärker als die E-Mail, die auch mal ein paar Tage unbeantwortet im Postfach liegen bleiben darf.

Zudem bemängeln viele der Teilnehmenden, dass Rechtschreibung und Grammatik in WhatsApp-Nachrichten oft mit Füßen getreten werden. Gleichzeitig genießen sie den Vorzug, sich selbst nicht allzu viel Mühe beim Verfassen von Nachrichten geben zu müssen, sowie Wortvervollständigung und Autokorrektur nutzen zu können. Auch hier handeln die Proband*innen scheinbar wieder selbst so, wie sie es bei anderen nicht gerne sehen.

WhatsApp oder Telefonat: Was ist besser?

Im Vergleich WhatsApp-Telefon schneidet das Telefon deutlich besser ab: Es wird als persönlicher, privater, menschlicher, effektiver und weniger anfällig für Missverständnisse bewertet. Der Messenger erleichtere es zwar, mit Freund*innen, Bekannten und Verwandten in Kontakt zu bleiben, besonders wenn sie räumlich dauerhaft weit voneinander getrennt sind und ansonsten hohe Telefon- oder Portokosten anfallen würden. Gleichzeitig seien Telefonate und persönliche Treffen mit Menschen aus der Nähe durch die WhatsApp-Nutzung seltener geworden. Über die Aussage „Dein Handy mag dich näher an die Leute bringen, die weit weg von dir sind. Aber es bringt dich auch weiter von den Menschen weg, die neben dir sind“ kannst du hier mehr nachlesen.

Altmodisches Telefon aus den 80ern

Foto: Alexas_Fotos/Pixabay.com

WhatsApp verändert unser Verhalten

Wie WhatsApp unsere Kommunikation verändern kann, haben wir oben gesehen. Doch wie sieht es mit unserem Verhalten aus? Die Studienteilnehmenden heben dabei vor allem zwei Aspekte hervor. Erstens fördere WhatsApp Spontanität (im positiven Sinne) und Unverbindlichkeit (im negativen Sinne) gleichermaßen. Der Messenger ermöglicht kurzfristige Absagen von Verabredungen oder Terminen. Die distanzierte Kommunikation über den Chat senke dabei die Hemmschwelle. Auf der Suche nach der besten Option würden feste Zusagen nur selten getroffen. Andererseits seien aber auch spontane Zusagen und Treffen ohne lange Vorausplanung möglich.

Zweitens betonten die Teilnehmenden etwas, was die Autor*innen der Studie „mentale Abwesenheit“ genannt haben. Gemeint ist damit die Situation, dass man sich auf das Handy beziehungsweise das Schreiben von WhatsApp-Nachrichten mit nicht-anwesenden Personen konzentriert, statt mit den Menschen zu sprechen, die sich am selben Ort befinden wie man selbst. Inzwischen hat sich dafür der Begriff „Phubbing“ eingebürgert. Mehr dazu kannst du hier nachlesen. Die Studienteilnehmenden beschreiben WhatsApp als eine willkommene Ausrede, sich aus einer (unangenehmen) Situation zurückzuziehen und mithilfe des Handybildschirms von seinem Umfeld abzuschirmen. Gleichzeitig interpretieren und kritisieren sie ein solches Verhalten, wenn sie es bei anderen beobachten, als Desinteresse, fühlen sich verletzt und ausgeschlossen. Ein weiteres Beispiel, in dem wir uns selbst gerne so verhalten, wie wir nicht von anderen behandelt werden möchten.

Süchtig nach WhatsApp?

„Die jungen Leute von heute sind doch alle handysüchtig!“ Solchen Aussagen kann aus medizinischer Sicht ganz klar widersprochen werden. Eine Sucht ist eine ernsthafte und schwerwiegende Erkrankung, die durch solche Pauschalisierungen nicht verharmlost werden sollte. Dass wir im medizinischen Sinne nicht alle süchtig sind, heißt jedoch nicht, dass unser Nutzungsverhalten spurlos an uns vorüber geht.

„Die Gewöhnung an WhatsApp als einen dauerhaften und natürlichen Begleiter ist hier Ausdruck einer ausgeprägten Abhängigkeit, die allmählich in eine kulturelle Prägung überzugehen scheint.“ (S. 41)

Wissenschaftler*innen sprechen hier oft von Konditionierung (antrainiertem Verhalten) und Abhängigkeit (im nicht-medizinischem Sinne). Beispielsweise der reflexartige sofortige Griff zum Handy beim Eintreffen neuer Nachrichten, aber auch ohne konkreten Anlass aus Langeweile. Oder die Nervosität, wenn man eingegangenen Nachrichten nicht sofort lesen kann, oder sein Handy zuhause vergessen hat. Nachlesen kannst du das in diesen Blogbeiträgen von uns:

In letzter Konsequenz könnte es aber tatsächlich zu einer suchtartigen Nutzung von WhatsApp und anderen sozialen Medien kommen. Auch wenn Social Media-Sucht noch keine offizielle Krankheitsdiagnose ist, ähneln die Symptome denen anderer Suchterkrankungen so sehr, dass einige Wissenschaftler*innen sich dafür aussprechen, sie anzuerkennen. Vorsicht (sprich Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Prävention) ist also besser als Nachsicht.

Warum nutzen wir WhatsApp?

Bei all diesen Nachteilen und Ärgerlichkeiten, warum nutzen so viele Menschen WhatsApp trotzdem noch? Weil es leicht zu bedienen, bequem und unentgeltlich ist, so die Aussagen der Studienteilnehmenden. Bei vielen sind das Smartphone und WhatsApp gedanklich stark miteinander verknüpft, quasi eine Einheit.

Gleichzeitig erscheint ihnen WhatsApp als unersetzlich, alternativlos und ohne ersthafte Konkurrenz. Doch alternative Messenger gibt es sehr wohl. Ein paar davon haben wir in diesem Blogbeitrag vorgestellt.

Handy-Bildschirm zeigt verschiedene Messenger-Apps

Foto: Adem Ay Zs/Unsplash.com

WhatsApp ist allerdings immer noch der Marktführer, den fast alle nutzen. Auf einen anderen Messenger umzusteigen, heißt also vermutlich weniger Kontakte dort zu haben. Das schürt unsere evolutionäre Angst vor sozialer Isolation. Wir fürchten, wichtige Infos und Ereignisse zu verpassen. Wissenschaftler*innen sprechen hier im Zusammenhang mit digitalen Medien von Fear of Missing Out (FoMO), wozu du hier mehr lesen kannst.

Weniger Kontakte bedeutet aber auch weniger Nachrichten, weniger Spam und weniger Stress. Klingt doch nach einem ganz guten Deal, oder nicht?

Quelle

Bachmann et al. (2019): Wie WhatsApp den Alltag beherrscht. Eine empirische Studie zum ambivalenten Umgang mit Messengerdiensten, Bundesanzeiger Verlag, Köln.

Frau mit Laptop auf Sofa Sofalizing: Was ist das? Warndreieck und Kettcar Handy am Steuer: Rückblick auf die Aufklärungsaktion von webcare+
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