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Gesicht von vorne, dahinter schememhaft Profilansichten nach links und rechts. Das ganze Bild ist mit Mikrotechnik überzogen.

Unser Gehirn und der Smartphone-Reflex

21 November 2019

Lesezeit 6 Minuten

Durchschnittlich 88 Mal pro Tag gucken wir auf unser Handy-Display. Das heißt alle 18 Minuten, wenn wir davon ausgehen, dass wir 16 Stunden wach sind. Durchschnittlich 53 Mal am Tag entsperren wir unser Smartphone. Insgesamt verbringen wir im Schnitt 2,5 Stunden täglich mit unserem digitalen Begleiter. Unter unserer Handynutzung können beispielsweise unsere Konzentration, unser Schlaf, unsere Erholung und unsere Aufmerksamkeit im Straßenverkehr leiden. Sind wir also süchtig?

Sind wir süchtig nach unserem Smartphone?

Einfach lässt sich diese Frage jedenfalls nicht beantworten. Zunächst einmal gibt es zum aktuellen Zeitpunkt offiziell gar keine Smartphone-Sucht. Was auch immer es ist, das uns so an unser Mobiltelefon fesselt, es ist (noch) keine anerkannte Krankheitsdiagnose. Weder im US-amerikanischen (DSM-5), noch im internationalen Diagnose-Katalog (ICD-11) taucht das Handy als Suchtmittel auf. Zwei verwandte Themen haben allerdings bereits Einzug in die Listen gefunden: Internetbezogene Störungen (Internetsucht) und Gaming Disorder (Computerspielsucht).

Prof. Dr. Christian Montag schreibt in seinem Buch „Homo Digitalis“ auf Seite 11: „Die Unterscheidung beider Begriffe [Internetsucht und Smartphonesucht] mag verwundern, da ein Smartphone ohne einen Internetzugang nicht denkbar wäre. In der Wissenschaft wird gerade darüber diskutiert, worin mögliche Unterschiede zwischen beiden Begriffen liegen“ (S. 11).

Handy hält ein Smartphone.

Foto: JESHOOTS-com/Pixabay

Internetsucht oder Smartphone-Sucht?

Die Abgrenzung der beiden voneinander erachtet Prof. Montag als äußerst wichtige Aufgabe für die Wissenschaft. Im Weiteren erklärt er, dass Internet- und Smartphone-Sucht sich teilweise überlappen, dass Internetsucht insgesamt aber etwas weiter gefasst werden kann. Worin liegt das Suchtverhalten also begründet, wenn es um das smarte Mobiltelefon geht?

„[Es] muss geklärt werden, wonach die Nutzer*innen genau süchtig sind. Ist es das Gerät Smartphone selber, weil es so viele Funktionen hat, auf die man nicht mehr verzichten kann? Oder sind es doch nur eng umgrenzte Inhalte auf dem Smartphone? […] Ab wann könnte man von einer tatsächlichen Smartphone-Sucht sprechen?“, fragt Prof. Montag in seinem Buch (S. 14) und gibt den Leser*innen wenige Zeilen später eine vorläufige Antwort:

Einiges spricht dafür, dass diese Symptome aus der Suchtforschung [gedankliche Vereinnahmung, Entzugserscheinungen, Kontrollverlust, berufliche/private Beeinträchtigungen] auch auf den exzessiven Umgang mit dem Smartphone zu übertragen sind.

Griff zum Handy aus Gewohnheit

Prof. Montag meint, zum Verständnis der Entstehung einer Smartphone-Sucht würde sich das psychologische Konzept der operativen Konditionierung eignen. Dabei wird „spontan auftretendes Verhalten aus dem Alltag durch eine folgende Belohnung verstärkt oder durch eine Bestrafung vermindert“, erklärt Prof. Montag (S. 15). Das klingt vielleicht ein bisschen kompliziert. Hier ein Beispiel:

Du stehst an einer Bushaltestelle, Dein Bus fährt aber erst in 20 Minuten. Dir ist langweilig, Du holst Dein Smartphone raus und vertreibst Dir die Zeit mit Messengern und sozialen Medien. Du erfährst unter anderem ein paar gute Nachrichten, siehst ein paar schöne Fotos, hast ein paar Likes für deine Beiträge bekommen. Dein Gehirn empfindet diese kleinen positiven Impulse als Belohnung. Dafür, dass Du in einer Situation der Langeweile zum Handy gegriffen hast, wurdest Du also belohnt. Wenn Dir das nächste Mal langweilig ist, wirst Du es vermutlich wieder tun. Und je öfter Du in einem solchen Augenblick zum Handy greifst, desto stärker wird es für Dich zur Gewohnheit.

Bushaltestellenschild vor blauem Himmel mit Schäfchenwolken.

Foto: stux/pixabay

Der Smartphone-Reflex

Prof. Montag nennt diese Gewohnheit den „Smartphone-Reflex“ (S. 16), da wir irgendwann automatisch (wie ein Reflex) zum Handy greifen, wenn wir nur eine Bushaltestelle sehen. Eine Gewohnheit kann man sich übrigens auch wieder abtrainieren. Das ist allerdings mit viel Willenskraft und viel Zeit verbunden. Durchschnittlich brauchen wir rund zwei Monate, um eine neue Gewohnheit zu erlernen oder eine alte zu verlernen (S. 18). Idealerweise bewahrst Du Dein Smartphone in dieser Zeit an einer schwer zugänglichen Stelle auf (beispielsweise im Innenfach Deines Rucksacks), rät Prof. Montag (S. 17).

Wie wirkt sich starke Smartphone-Nutzung auf unser Gehirn aus?

Wie sich die Smartphone-Nutzung (abgesehen von Gewohnheiten) insgesamt auf unser Gehirn auswirkt, wurde bisher nur wenig erforscht. Ein paar Forschungsergebnisse konnte Prof. Montag jedoch finden und zusammenfassen (S. 23-24):

  • Lernen, mit einem Smartphone umzugehen, kann Spuren in den Gehirnbereichen hinterlassen, die für die Bewegung und Koordination der Hände und Finger eine große Rolle spielen. Man denke nur mal daran, wie schnell manche von uns eine Messenger-Nachricht tippen können. Durch solches Erlenen kann unser Gehirn wachsen.
  • Menschen, die zuvor kein Smartphone genutzt haben, erbrachten nach drei Monaten Nutzungszeit schlechtere Leistungen bei der Lösung von Mathe-Aufgaben.
  • Die gleiche Versuchsgruppe regierte stärker auf soziale Zurückweisung nach der dreimonatigen Testphase mit Smartphones.
  • In einer anderen Studie wurde bei besonders starken Smartphone-Nutzer*innen eine geringere Erregbarkeit des rechtsseitigen präfrontalen Kortex festgestellt. Das ist ein Bereich im Gehirn, der beispielsweise für Entscheidungsfindung, Gefühlsregulierung und unser Gedächtnis wichtig ist.
  • Bei gesunden Versuchspersonen kann der exzessive Umgang mit dem Smartphone zu Symptomen führen, die dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ähnlich sind.

Wenn du weniger Zeit mit Deinem Smartphone verbringen möchtest, schau doch auch einmal in unseren Blogbeitrag „Smartphone-Zeit reduzieren: 7 einfache Tricks“.

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