Ob Farmville, Hay Day oder Stardew Valley: Aufbauspiele rund ums Farm-Leben sind bei vielen beliebt. Getreide und Gemüse anbauen, Tiere füttern und pflegen, Traktor fahren und Zäune aufbauen: Auf einem virtuellen Bauernhof kann genauso viel zu tun sein wie auf dem Bauernhof in der Nachbarschaft. Investiert man genug Zeit und Arbeit, so kann aus einem kleinen romantischen Selbstversorgungs-Hof irgendwann ein landwirtschaftlicher Großbetrieb werden. Neben Bauernhöfen gibt es solche Aufbauspiele beispielsweise auch für Zoos oder Vergnügungsparks. Was das mit Social Media, Ikea und dem Besitztumseffekt zu tun hat, erklärt Dir dieser Blogartikel.
Der Ikea-Effekt
Vom Ikea-Effekt hast Du vielleicht schon einmal gehört. Wenn Du etwas selbst baust oder bastelst, erscheint es Dir wertvoller, als ein vergleichbarer Gegenstand, den du fertig gekauft hast. Wissenschaftler*innen haben das zum Beispiel mit Lego, Origami und Ikea-Möbeln getestet. Daher haben sie dieses psychologische Phänomen Ikea-Effekt genannt.
„Als Ikea-Effekt wird in der Verhaltensökonomik der Zuwachs an Wertschätzung bezeichnet, der selbst entworfenen oder zumindest selbst zusammengebauten Gegenständen im Vergleich zu fertig gekauften Massenprodukten entgegengebracht wird.“ (Stangl 2022)
Der Besitztumseffekt
Mit dem Ikea-Effekt verwandt ist der Besitztums-Effekt (englisch: Endowment Effect), der nicht ganz so bekannt ist.
„Personen, die im Besitz eines Gutes sind, bewerten dieses regelmäßig wesentlich höher als Personen, die nicht im Besitz des Gutes sind. Grundsatz: ‚Was ich einmal habe, gebe ich nur ungern wieder her.‘“ (Gillenkirch 2022)
Psychologe Christian Montag erklärt, wie sich der Besitztumseffekt bei digitalen Farm-Spielen bemerkbar machen kann: „Mir wird meine Online-Welt immer wichtiger. […] Die Online-Nutzer*innen entwickeln eine emotionale Bindung an den digitalen Bauernhof. […] Mit jedem Tag, den ich mit meinem Bauernhof länger verbringe, wird es schwerer, die Reißleine zu ziehen“ (Montag 2021: 92).
„Mein Schatz!“: Avatare und Profile
Das heißt, je länger du deinen digitalen Bauernhof, Zoo oder Vergnügungspark besitzt und pflegst, desto schwerer fällt es dir wahrscheinlich, ihn (bzw. dein Konto) wieder zu löschen. Falls Du eher ein Fan von Rollenspielen oder anderen Spielen mit Charakterentwicklung bist, gilt gleiches für deinen Avatar. Einen Level 1-Charakter zu löschen, fällt nicht allzu schwer. Bist du erstmal auf Level 20, 50 oder 99 angekommen, kann das schon sehr viel mehr Überwindung kosten.
„Der Endowment-Effect wirkt aber nicht nur in […] Spielen, sondern auch auf diversen Social-Media-Plattformen. […] Wer will schon mal eben seinen einflussreichen […] Kanal mit [X] Follower*innen löschen?“, schreibt Christian Montag (2021: 92f.). Aber was, wenn Du eher ein*e genüssliche*r Social Media-Nutzer*in bist und nur mit Menschen vernetzt bist, die Du auch im analogen Leben kennst? Auch dann kann dein Profil Dir über die Jahre immer wichtiger werden. Beispielsweise als Telefonbuch-Ersatz, um mit alten Freund*innen in Kontakt zu bleiben. Oder als digitales Foto-Album mit vielen schönen Erinnerungen. Ein weiteres Beispiel für den Besitztumseffekt in sozialen Medien könnten die Streaks bei Snapchat sein. Die Zahl neben der kleinen Flamme zeigt an, wie lange Du schon täglich mit einem Deiner Kontakte kommunizierst. Lässt Du mal einen Tag aus, startet der Zähler wieder bei null. Je höher die Zahl, desto höher der Druck, die Streaks nicht verfallen zu lassen. Je besser Du Dein Social Media-Konto hegst und pflegst, desto wertvoller kann es dir also erscheinen.
Der Super-Besitztumseffekt
Der US-amerikanische Forscher Cass Sunstein hat sogar herausgefunden, dass der Besitztumseffekt bei sozialen Medien viel stärker zu sein scheint, als bei Gegenständen der analogen Welt.
„Social-Media-Nutzer*innen wurden gefragt, wie viele US-Dollar sie pro Monat für ihr jeweiliges Social-Media-Produkt zahlen würden (Willingness to Pay). Zusätzlich wurden andere Nutzer*innen der jeweiligen Social-Media-Plattformen gefragt, wie viel Geld man ihnen pro Monat zahlen müsste, damit sie die Plattform dann nicht nutzen (Willingness to Accept). […] Den Nutzer*innen sind ihre Profile über die Zeit so ans Herz gewachsen, dass man ihnen durchschnittlich 64-100 US-Dollar pro Plattform zahlen müsste, damit sie die Nutzung der Plattform für einen Monat einstellen. Allerdings wären Nutzer*innen […] gerade einmal bereit, fünf bis zehn US-Dollar pro Plattform für die Nutzung zu zahlen.“ (Montag 2021: 93f.)
Das Verhältnis zwischen dem Gegenwert des Nutzens und dem Gegenwert des Nicht-Nutzens liegt bei sozialen Medien bei 1:10 bis 1:20. In der Grafik unten siehst Du, wie sich das Verhältnis bei den einzelnen Plattformen gestaltet. Bei früheren Untersuchungen mit analogen Gegenständen habe das Verhältnis eher bei 1:2 gelegen, so Montag (2021: 93). Sunstein spricht daher von einem Super-Besitztumseffekt bei sozialen Medien.
Digital Decluttering: Weniger ist manchmal mehr
Seien wir mal ehrlich: Viele Menschen neigen dazu, Dinge zu horten. Selbst solche, die sie gar nicht unbedingt brauchen. Es könnte ja sein, dass wir sie irgendwann in ferner Zukunft doch mal gebrauchen könnten. Spätestens beim nächsten Umzug bereuen wir unser Sammelverhalten dann aber doch ein bisschen.
Aufräumen und Altlasten loszuwerden, tut oft richtig gut. Nicht nur in der analogen Welt, auch in der digitalen. Digital Decluttering nennt sich das, quasi ein digitaler Frühjahrsputz. Ob alte Fotos auf Instagram, Likes auf Facebook oder längst eingestaubte Spiele-Avatare und verwahrloste virtuelle Bauernhöfe: Das Löschen kostet anfangs erstmal Überwindung. Im Nachhinein kann es sich aber doch oft gut und befreiend anfühlen.
Mehr zum digitalen Frühjahrsputz auf Twitter, Instagram und Facebook kannst du übrigens hier nachlesen.
Themenreihe Addictive Design
Dieser Blogbeitrag ist Teil der Themenreihe zu Addictive Design. Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:
- Hooked-Zyklus: Wollen soziale Medien uns süchtig machen?
- Von Farbenpsychologie und Signalfarbe: Die kunterbunte Welt sozialer Medien
- Nudging: Sanftes Schubsen oder digitale Nötigung?
- FOMO: Über Snaps, Stories und unsere Angst, etwas zu verpassen
- Likes: Hundeschule für Social Media-Nutzer*innen?
- Infinite Scrolling: Internetseiten ohne Ende, Surfen ohne Ende?
Quellen
- Montag (2021): Du gehörst uns! Die psychologischen Strategien von Facebook, TikTok, Snapchat & Co – und wie wir uns vor der großen Manipulation schützen.
- Sunstein (2019): Valuing Facebook, in: Behavioural Public Policy, S. 1-12.
- Stangl (2022): Ikea-Effekt, in: Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, .
- Gillenkirch (2022): Besitztumseffekt, in: Gablers Wirtschaftslexikon.