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Mann von oben bis unten mit gelben Klebenotizen beklebt

Foto: Mindspace Studio / Unsplash.com

Nudging: Sanftes Schubsen oder digitale Nötigung?

20 Oktober 2022

Lesezeit 6 Minuten

Vor einigen Wochen haben wir uns der Frage gewidmet, inwieweit WhatsApp unseren Alltag beherrscht. Anlass dafür war eine Publikation (Bachmann 2019), die uns vom Institut für Digitale Ethik zur Verfügung gestellt wurde. Schon damals sind wir auf das Phänomen Nudging gestoßen, allerdings ohne es zu wissen oder beim Namen zu lesen.

WhatsApp wurde in der Studie von Befragten nicht nur zu Organisationszwecken genutzt, sondern auch als Kontrollinstrument: Lesebestätigung, Zeitpunkt des letzten Log-Ins, Profilbild und Status können nämlich einiges über die Kontakte aus dem Telefonbuch verraten. Die Befragten genossen das Machtgefühl. Gleichzeitig empfanden sie es als höchst unangenehm, selbst auf diese Art kontrolliert werden zu können.

WhatsApp als Kontrollinstrument

 „Die Kontrolle durch andere wird mit Druck und Stress verbunden. Verantwortlich hierfür machen die Proband*innen die Transparenz und Gläsernheit der eigenen WhatsApp-Nutzung, die ihrem Empfinden nach eine Erwartungshaltung in anderen weckt. Die Teilnehmer*innen fühlen sich verpflichtet, auf eingehende Nachrichten umgehend zu antworten, um Missverständnissen vorzubeugen. Sie haben Angst, die Sender*innen der Nachricht zu kränken oder zu beleidigen, da ein Nicht-Beantworten der Nachricht – obwohl sie gelesen wurde – als Desinteresse interpretiert werden kann. […] [Es] wird deutlich, dass die Proband*innen selbst so handeln, wie sie von anderen nicht behandelt werden wollen“ (Bachmann 2019: 45).

Der Psychologe Prof. Dr. Christian Montag erklärt in seinem neuen Buch (2021), wie das mit Nudging zusammenhängt.

WhatsApp-Doppelhaken als Nudging

Nudging heißt, jemanden zu schubsen (Montag 2021: 89). Diejenigen, die die Anfänge sozialer Netzwerke mitbekommen haben, erinnern sich vielleicht an das Gruscheln bei StudiVZ. Facebooks Äquivalent dazu ist das Anstupsen. Bei WhatsApp gibt eine solche Funktion nicht per Knopfdruck, aber indirekt.

Sicherlich sind Dir schon einmal die kleinen Haken aufgefallen, die in vielen Messengern unter den einzelnen Nachrichten angezeigt werden. Ein Haken bedeutet, Deine Nachricht wurde verschickt. Zwei Haken heißen, Deine Nachricht wurde übermittelt. Wenn die Haken die Farbe ändern, wurde Deine Nachricht gelesen.

WhatsApp Chat

Foto: ITECHirfan / Pixabay.com

Die Haken sind also eine Art Lesebestätigung.  Und diese veranlasst (schubst) uns, etwas zu tun, was wir vielleicht eigentlich gar nicht tun wollen: Die Lesebestätigung immer wieder prüfen, nach dem Lesen ungeduldig auf eine Antwort warten oder als Empfänger*in nach dem Lesen hastig antworten, um bloß keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen.

Nudging: Sozialer Druck und Stress

„Das Ausliefern der Applikation WhatsApp mit einer aktivierten Lesebestätigung erzeugt für einige Menschen auf Versender- und Empfänger-Seite sozialen Druck, und als Konsequenz wird mit großer Wahrscheinlichkeit schneller kommuniziert“, schreibt Christian Montag (S. 88). „Für einige Konsument*innen entsteht vor allen Dingen eines: Stress“ (S. 89).

Digitale Nötigung: Nudging auch anderswo

Fallen Dir noch andere Elemente in sozialen Medien ein, die Dich zu etwas verleiten, was Du eigentlich gar nicht tun willst oder woran Du zuvor nicht einmal gedacht hast? Uns schon! Wie wäre es mit den vielen Werbeanzeigen im Newsfeed (Sponsored Posts, Social Selling)? Hast Du Dir da schon mal ein Produkt genauer angesehen oder sogar gekauft? Oder die Autoplay-Funktion von Videos – egal ob auf YouTube oder ebenfalls im Newsfeed: Wie oft hast Du schon ein Video angeschaut, bei dem Du gar nicht selbst auf „play“ geklickt hast? Oder die Streaks bei Snapchat: Wie häufig schickst Du Snaps hin- und her, nur um Streaks am Laufen zu halten, obwohl Du gar nichts zu sagen oder zeigen hast?

Post its

Foto: Kelly Sikkema/Unsplash und Saskia Rößner/webcare+

WhatsApp-Lesebestätigung deaktivieren

Das Phänomen beschränkt sich aber nicht nur auf soziale Medien. Auch anderen Apps könnte man Nudging nachsagen. Denk nur einmal an die vielen Notifications, die Dir Deine Apps schicken. Wie Du sie deaktivieren kannst, zeigen wir Dir übrigens hier.

Auch den WhatsApp-Doppelhaken kannst Du deaktivieren. Das geht so:

  • WhatsApp > Einstellungen > Konto > Datenschutz > Lesebestätigung

Dort kannst Du ebenfalls einstellen, wer sehen kann, ob Du online bist oder wann Du zuletzt online warst. Bei vielen anderen Messengern lässt sich die Lesebestätigung ebenfalls deaktivieren. Hier zwei Beispiele:

  • Signal > Einstellungen > Datenschutz > Lesebestätigung
  • Threema > Einstellungen > Privatsphäre > Lesebestätigung senden

Generell lohnt sich der Blick in die Einstellungsmöglichkeiten der Apps, die Du zur Kommunikation nutzt. Auch wenn Du vielleicht nicht alles deaktivieren willst, ist es immer gut, zu wissen, was geht und was nicht. Auch die Kenntnis darüber, was die anderen sehen können und was nicht, kann hilfreich sein. Nimm Dir doch einfach mal zehn Minuten Zeit und stöbere in Deinen Einstellungen.

Dutzende WhatsApp Logos mit roten Punkten

Grafik: markrademaker/ pixabay.com

Den Blogbeitrag darüber, wie WhatsApp unseren Alltag beherrscht, kannst Du übrigens hier nachlesen. Und die Vor- und Nachteile alternativer Messenger haben wir hier für Dich zusammengestellt.

Themenreihe Addictive Design

Dieser Blogbeitrag ist Teil der Themenreihe zu Addictive Design. Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:

Quellen

  • Bachmann et al. (2019): Wie WhatsApp den Alltag beherrscht. Eine empirische Studie zum ambivalenten Umgang mit Messengerdiensten, Bundesanzeiger Verlag, Köln.
  • Montag (2021): Du gehörst uns! Die psychologischen Strategien von Facebook, TikTok, Snapchat & Co – und wie wir uns vor der großen Manipulation schützen.
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