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Rote Hand und das Wort Stop auf einem Smartphone-Bildschirm

Bild: Toni Hukkanen / Unsplash.com, Kurious / Pixabay.com

Smartphone-Reflex abgewöhnen – ein Selbsttest

21 Januar 2021

Lesezeit 7 Minuten

Du kennst das vielleicht: Dein Handy klingelt oder vibriert. Was machst Du? Sofort zum Handy greifen, Bildschirm aktivieren und überprüfen, was es Neues gibt? Das geht nicht nur Dir so. Der reflexartige Griff zum Handy scheint weit verbreitet zu sein. Und zwar nicht nur bei einem akuten Reiz (Klingeln/Vibration), sondern auch ganz ohne Anlass. Zum Beispiel in Momenten der Langeweile. Du stehst an einer Fußgängerampel und wartest auf Grün? Kurzer Blick aufs Handy. Du wartest an der Haltestelle auf Deinen Bus? Blick aufs Handy. Du sitzt im Wartezimmer? Griff zum Handy. Und so weiter. Der Molekularpsychologe Prof. Dr. Christian Montag nennt das den Smartphone-Reflex.

Der Smartphone-Reflex

Die Apps auf unserem Smartphone sind häufig so programmiert, dass sie unser Belohnungssystem im Gehirn ansprechen. Wenn wir in einer Situation zum Handy greifen, erhalten wir mitunter eine Belohnung. Zum Beispiel in Form von einer guten Nachricht, einem schönen Foto oder einem Like auf unseren letzten Social Media Post. Das Gehirn merkt sich, dass es in dieser Situation belohnt wurde. Kommen wir das nächste Mal in so eine Situation, bekommen wir erneut das Verlangen, aufs Handy zu gucken. Je öfter sich das wiederholt, desto stärker wird das Verlangen. Irgendwann haben wir uns den Griff zum Handy so sehr angewöhnt, dass wir vom Smartphone-Reflex sprechen können. Mehr dazu kannst du in unserem Blogbeitrag darüber nachlesen.

Die gute Nachricht: So eine Angewohnheit können wir uns auch wieder abtrainieren. Die schlechte Nachricht: Das ist gar nicht so einfach. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Unsere Gewohnheiten zu ändern, bereitet uns manchmal erhebliche Mühe und dauert ziemlich lange. Durchschnittlich zwei Monate brauchen wir, um uns etwas an- oder abzugewöhnen, so Christian Montag. Ganz schön lange. Wir wollten trotzdem wissen, ob es funktioniert: Kann man sich den reflexartigen Griff zum Smartphone wieder abgewöhnen? Und wenn ja, wie? Unsere Online-Redakteurin Saskia hat das für Dich getestet. Hier ihr Erfahrungsbericht:

Der Selbsttest: Smartphone-Reflex abgewöhnen

Nicht zum Handy greifen! Nein, wirklich nicht! Gar nicht so einfach wie man vielleicht denkt. Vor allem, wenn man kein Festnetztelefon hat. Hinter jedem Klingeln, hinter jeder Vibration könnte eine wichtige Nachricht stecken. Also eine wirklich wichtige: Die Chefin braucht dringend ein Dokument, die Mama ist krank und braucht etwas aus der Apotheke, im Tierschutz-Ehrenamt gibt es einen Notfall… Da fällt es schwer, das Handy links liegen zu lassen und erst einmal das in Ruhe zu beenden, was man eben gerade so macht.

Person steht auf einer Brücke und hält ein Smartphone in der Hand.

Foto: freestocks / Unsplash.com

Anfangs dachte ich mir, wird schon irgendwie klappen. Einfach nicht zum Handy greifen, wenn es klingelt. Den Ton und die Vibration ganz auszustellen kam für mich nicht in Frage. Bei wirklich wichtigen und dringenden Anliegen rufen mich meine Mitmenschen an statt zu schreiben. Für solche Fälle will ich dann doch erreichbar sein. Die kurzen Pieps und Vibrationen bei Notifications zu ignorieren, war aber härter als ich dachte.

Notifications deaktivieren

Plan B: Notifications deaktivieren und nur die Anrufe durchkommen lassen. Das hat zwar funktioniert, hatte aber eine Schattenseite: Wenn ich dann mal Zeit hatte und meine Nachrichten checken wollte, musste ich mich erst einmal durch alle Apps tippen und prüfen, ob es etwas Neues gibt. Wer nur einen Messenger und eine E-Mail-App nutzt, bei dem ist das schnell getan. Wenn man allerdings statt Whatsapp drei andere Messenger hat, dazu noch E-Mail, SMS, Social Media und ein paar andere Apps nutzt, dann kann das schnell mal einige Minuten dauern. Und dann kommt ja noch das Diensthandy dazu. Als Online-Redakteurin gibt es auch darauf Messenger und mehrere Social Media Apps. Da wäre ein kurzer Blick ins Infocenter meines Handys erheblich schneller gewesen. Also war das irgendwie auch nicht das Gelbe vom Ei.

Griff zum Handy? Nein, nicht jetzt!

Plan C: Klingt simpel, ist es auch, hat aber überraschend gut geholfen. Ein einfacher Sticker auf der Rückseite meiner Handyhülle. „NEIN“ prangt dort in bunten Buchstaben. Nein, nicht zum Handy greifen. Nein, nicht den Bildschirm entsperren, Nein, nicht jetzt. Wenn das Handy plötzlich anders aussieht als gewohnt, sorgt das für Irritation. Ich habe zwar anfangs immer noch zum Handy gegriffen, meine Hand ist dann aber zurück gezuckt. Nein! Erstaunlich, was ein kleiner bunter Aufkleber zu vollbringen vermag. Der Trick funktioniert natürlich nur, wenn das Handy mit dem Display nach unten liegt. Liegt es anders herum, ist der Aufkleber nicht mehr sichtbar und folglich wirkungslos. Gleiches gilt, wenn das Handy in der Jacken- oder Hosentasche steckt. Dafür musste ich mir etwas anderes überlegen.

Nein-Aufkleber auf einem Smartphone

Foto: Saskia Rößner / webcare+

Smartphone-Reflex on Tour? Lieber ab in den Rucksack damit!

Wenn ich unterwegs bin, habe ich mein Handy normalerweise immer in meiner rechten Jackentasche. Ich bin Rechtshänderin und kann so jederzeit schnell einen Blick auf die Uhr oder meine Nachrichten werfen. Und das passiert ehrlich gesagt ziemlich oft. An jeder Fußgängerampel, an der Bushaltestelle, am Bahnhof, in der Warteschlange… Der Versuchung zu widerstehen, solange ich das Handy in der Hand spüre, war unfassbar schwer. Daher meine Idee: Das Handy irgendwo hin packen, wo es meinen Körper nicht direkt berührt. Noch besser: Es irgendwo hin packen, wo es nicht so leicht herauszuholen ist.

Die Lösung: Ab in den Rucksack damit! Natürlich könnte ich das Smartphone auch in eine der vielen kleinen Außentaschen packen. Da komme ich mit wenigen Handbewegungen dran. Aber das ist ja nicht der Sinn meines Tests gewesen. Also habe ich es ab sofort in einer Innentasche des großen Fachs verstaut. Ein netter Nebeneffekt: Dort ist es viel sicherer vor Diebstahl geschützt als in einer der Außentaschen. Je nach Geräuschkulisse (Straßenverkehr, Menschenmenge) höre ich das Klingeln oder Vibrieren noch nicht einmal. Oder ich schalte beides für die Dauer meines Weges einfach direkt aus.

Noch ein positiver Nebeneffekt: Ich konzentriere mich wieder viel mehr auf den Verkehr. Hast du auch schon mal die Grünphase an einer Fußgängerampel verpasst, weil du schnell einen Kommentar bei Instagram abschicken wolltest? In den falschen Bus bin ich durch Handy-Ablenkung glücklicherweise noch nicht eingestiegen. Ich kenne aber jemanden, dem das schon passiert ist. Übrigens: Wenn ich mal Fahrrad oder Auto fahre, ist das Handy für mich absolut tabu (Ausnahme: Navi im Auto). Ich finde, am Steuer hat das Smartphone nichts zu suchen. Warum? Das kannst du hier nachlesen.

Smartphone steckt in Rucksacktasche

Foto: Saskia Rößner / webcare+

Fazit: Smartphone-Reflex abtrainiert?

Ich habe vor gut drei Monaten mit meiner Smartphone-Entwöhnung begonnen. Nach den ersten Rückschlägen sind inzwischen deutliche Fortschritte zu erkennen. So richtig zufrieden bin ich aber noch nicht und werde sicherlich noch mindestens einen Monat brauchen, um mein Zielverhalten zu verinnerlichen. Es ist aber toll, mich selbst dabei zu beobachten, wie sich meine Reflexe verändern, wie es manchmal in meinem Kopf rattert und wie ich manchmal die Augen verdrehe, weil ich doch wieder unbewusst zum Handy gegriffen habe.

Hier mein kleines Fazit nach drei Monaten Smartphone-Training:

  • Klingeln/Vibration zu ignorieren, klappt nicht so gut
  • Unnötige Notifications nur ausstellen, falls es für Dich sinnvoll ist
  • Handyhülle mit Warnhinweisen versehen
  • Handy wegpacken, zum Beispiel in den Rucksack
  • Durchhalten lohnt sich

Und jetzt bist du dran! Hast Du auch Lust, Dir Deine Smartphone-Reflexe abzutrainieren?

Falls das auf eigene Faust nicht klappen sollte: Du kannst Dich vertrauensvoll an eine Beratungsstelle wenden, die sich damit auskennt. Die gibt es in vielen Orten deutschlandweit. In unserer interaktiven Karte kannst Du ganz einfach nach einer Anlaufstelle in Deiner Nähe suchen.

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