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Zwei Hände haken sich an den kleinen Fingern ineinander

Foto: sweetlouise / Pixabay.com

Ist eine Online-Freundschaft eine richtige Freundschaft?

14 Januar 2021

Lesezeit 6 Minuten

473 Freund*innen bei Facebook, 380 Follower bei Twitter, 2.195 Abonnent*innen bei Instagram, 178 Kontakte bei Xing oder LinkedIn: Online lässt sich ganz einfach Kontakt halten mit Menschen aus aller Welt und allen Lebensphasen. Ob alte Schulkamerad*innen, Freund*innen aus der Studienzeit, ehemalige Kolleg*innen, Familienmitglieder oder Reisebekanntschaften – mit einem Klick sind alle erreichbar. Doch ist eine Freundschaft online wie offline gleichwertig?

Digitale Freundschaft: Bequem und schnell

Wochenlang auf die Antwort Deiner Brieffreundschaft aus Übersee warten? Für viele junge Menschen in Zeiten von E-Mail und Messenger unvorstellbar. Das verstaubte Adressbuch in der Schreibtischschublade hat scheinbar ausgedient. Die Kontaktdaten darin aktuell zu halten, glich eh einer Sisyphos-Arbeit. Online ist das alles viel einfacher, vor allem dank sozialer und beruflicher Netzwerke.

Man könnte also meinen, das Internet ermögliche es uns, soziale Beziehungen besser zu koordinieren und intensiver zu pflegen. Alle sind relativ schnell erreichbar, irgendwer ist immer online und über private Probleme lässt sich ohne direkten Augenkontakt ohnehin leichter reden. Oder?

Freundschaft online oder offline: Beides gleich gut?

Glüer und Lohaus (2016) haben 1.890 Jugendliche in Deutschland zu ihren Online- und Offline-Freundschaften befragt. Zunächst einmal sollten die Studienteilnehmenden beschreiben, wie sie sich eine gute Freundschaft vorstellen. Das haben sie einmal für Online-Freund*innen gemacht und einmal für Offline-Freund*innen. Wie siehst Du das? Was macht für Dich eine gute Freundschaft aus? Gibt es dabei für Dich Unterschiede zwischen Online- und Offline-Freund*innen?

Computer, auf dessen Bildschirm steht: "Stay connected", bleib verbunden

Foto: Ehimetalor Akhere Unuabona / Unsplash.com

Die Jugendlichen in der Studie beschrieben die beiden Arten von Freundschaft jedenfalls nicht genau gleich. Die meisten von ihnen bewerteten eine Freundschaft in der analogen Welt qualitativ besser als eine virtuelle. Die Offline-Freundschaft wurde zudem auch insgesamt viel positiver beschrieben. Vielleicht überraschend: Auch persönliche Probleme haben die Jugendlichen lieber offline als mit ihren Online-Freund*innen besprochen. Scheinbar ist eine Umarmung doch mehr wert als die vermeintliche Anonymität hinterm Bildschirm. Insgesamt schnitt die Qualität einer Offline-Freundschaft in der Studie sehr viel besser ab als die einer Online-Freundschaft.

Freund*innen offline und online kennenlernen

Reine Online- und reine Offline-Freundschaften gibt es vermutlich nur selten. Viel häufiger dürften Mischformen sein. Mit Freund*innen aus dem analogen Leben tauschen wir uns auch digital aus. Menschen, die wir online kennengelernt haben, treffen wir vielleicht irgendwann auch mal persönlich.

Auch bei solchen Mischformen gibt es offensichtlich qualitative Unterschiede in der Freundschaft. Zwei israelische Studien (Mesch und Talmund 2007a+b) kamen zu dem Ergebnis, dass Freund*innen, die wir offline kennengelernt haben, eine höhere Freundschaftsqualität aufweisen als Freund*innen, die wir online kennengelernt haben. Zu dem gleichen Schluss kommen auch Glüer und Lohaus. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Freundschaften im weiteren Verlauf vorwiegend online oder vorwiegend offline gepflegt werden. Auch wenn Online-Freund*innen, die wir offline (!) kennengelernt haben, in der Studie von Glüer und Lohaus qualitativ besser bewertet wurden als Online-Freund*innen, die wir auch dort (online) kennengelernt haben.

Eine Begründung hierfür sehen Mesch und Talmund in der sozialen Ähnlichkeit. Menschen, die wir in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft kennenlernen, haben voraussichtlich mehr Gemeinsamkeiten mit uns. In der Schule ist das zum Beispiel das Alter, in der Nachbarschaft der Wohnort (vielleicht auch der Lebensstandard). Am Arbeitsplatz lernen wir Menschen mit ähnlicher Ausbildung und ähnlichem Beruf kennen. Bei Freizeitaktivitäten treffen wir Personen, die das gleiche Hobby oder ähnlcihe Interessen haben wie wir. Wir sind uns also nicht nur sehr ähnlich, sondern verbringen auch viel Zeit miteinander. Bei Online-Freundschaften kann soziale Ähnlichkeit zwar auch vorkommen (zum Beispiel in Themen-Foren oder Multiplayer-Games), ist aber unwahrscheinlicher. Dennoch gilt das Prinzip auch online: Je ähnlicher wir uns sind, desto enger ist das soziale Band zwischen uns.

Luftballon mit Smiley

Foto: congerdesign / Pixabay.com

Online wie offline: Die Menge macht’s!

Und noch einen Faktor sehen Mesch und Talmund: Die Dauer der Freundschaft. Freund*innen aus der analogen Welt kennen wir häufig schon jahrelang, manchmal Jahrzehnte. Online-Freundschaften sind im Vergleich dazu meist noch relativ jung oder halten nicht so lange an wie Offline-Freundschaften. Je länger eine Freundschaft besteht, desto intensiver kann sie werden. Daher sind die langjährigen Offline-Freund*innen für uns in der Regel besonders wichtig.

Eine niederländische Studie von Antheunis und Kolleg*innen (2012) zeigt ebenfalls, dass die Qualität von Freundschaft über die Zeit zunimmt. Das gilt sowohl für reine Online- und Offline-Freundschaften als auch für Mischformen. Die Qualität von reinen Online-Freundschaften blieb allerdings durchweg unter dem Niveau der anderen beiden.

Das Argument mit der Freundschaftsdauer hat allerdings einen Haken: Es ist durchaus möglich, dass Du Menschen, die Du schon sehr lange kennst, in dieser langen Zeit nur ganz selten getroffen hast. Andererseits kannst Du mit Menschen, die Du noch nicht so lange kennst, bisher sehr viel Zeit verbracht haben. Glüer und Lohaus haben sich daher nicht die Dauer der Bekanntschaft, sondern die Häufigkeit des Kontakts angesehen. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Je häufiger wir miteinander Kontakt haben, desto enger wird die Freundschaft. Das gilt sowohl für Offline- als auch für Online-Freund*innen.

Für Tang (2010) bedeutet das auch: Wenn Du Dich mit Offline-Freund*innen zusätzlich online austauschst, kann das eure Freundschaft intensivieren. Oder anders herum: Wenn Du Online-Freund*innen auch offline triffst, kann sich die Qualität eurer Freundschaft verbessern. Je mehr Räume eure Freundschaft einnimmt, desto enger wird sie.

Mehrere Menschen legen ihre Hände aufeinander nach dem Motto "Einer für alle, alle für einen".

Foto: jarmoluk / Pixabay.com

Wie gut ist eure Freundschaft?

Ob Deine Online-Freund*innen „richtige“ oder gute Freund*innen sind, können wir Dir pauschal nicht beantworten. Vielleicht helfen Dir die oben vorgestellten Studien aber dabei, das herauszufinden. Sicher ist jedenfalls: Auch Online-Freundschaften können tolle Freundschaften werden. Trotzdem sind die guten alten Offline-Freund*innen zumeist immer noch die besseren.

Zum Schluss noch eine kleine Warnung: Wie im analogen Leben gibt es auch im Internet Menschen, die Dir vielleicht nur vormachen, Dein*e Freund*in zu sein. Die Beweggründe für ein solches Verhalten können vielfältig sein. Wichtig ist nur: Pass auf Dich auf! Gib Menschen, die Du nicht persönlich kennst und denen Du nicht zu 100 Prozent vertraust, keine sensiblen Daten von Dir. Vollständiger Name, Adresse, Passwörter, Kontonummer oder ähnliches braucht ein*e Freund*in nicht. Sei außerdem vorsichtig mit Fotos und Videos. Und wenn Dir etwas komisch vorkommt, vertrau Dich Deinen Offline-Freund*innen oder einem Familienmitglied an. Manchmal hilft ein zweiter Blick, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Zum Nachlesen

  • Glüer & Lohaus (2016): Participation in social network sites: Associations with the quality of offline and online friendships in German preadolescents and adolescents https://cyberpsychology.eu/article/view/6175
  • Mesch & Talmud (2007a): The quality of online and offline relationships: The role of multiplexity and duration of social relationships http://dx.doi.org/10.1080/01972240600677805
  • Mesch & Talmud (2007b): Similarity and the quality of online and offline social relationships among adolescents in Israel http://dx.doi.org/ 10.1111/j.1532- 7795.2007.00529.x
  • Tang (2010): Development of online friendship in different social spaces http://dx.doi.org/10.1080/13691180902998639
  • Antheunis, Valkenburg & Peter (2012): The quality of online, offline, and mixed-mode friendships among users of a social networking site http://dx.doi.org/10.5817/CP2012-3-6
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