Blog

Laptop-Bildschirm zeigt einen Laptop, der einen laptop zeigt, der einen Laptop zeigt und so weiter.

Foto: geralt / Pixabay.de

Infinite Scrolling: Seiten ohne Ende, Surfen ohne Ende?

10 November 2022

Lesezeit 6 Minuten

Hast Du schon einmal von „Pull to Refresh“ und „Infinite Scrolling“ gehört? Sie begegnen Dir beispielsweise in den sozialen Netzwerken in Deinem Newsfeed. Hier bekommst Du zahlreiche Beiträge zu sehen, die Du von oben nach unten durchgucken, kommentieren oder teilen kannst.

Pull to Refresh: Die Erfindung des Infinite Scrolling

Pull to Refresh ist Englisch und heißt ins Deutsche übersetzt wörtlich „Ziehen zum Aktualisieren“. Wenn Du im Newsfeed weit nach unten gehst, kommt vielleicht irgendwann ein vorläufiges Ende. Vorläufig ist es deshalb, weil Du oft die Möglichkeit hast, noch mehr Neuigkeiten zu laden. Manchmal durch ein Tippen/Klicken, manchmal durch ein Ziehen. Ziehen zum Aktualisieren. Pull to Refresh. Geboren sind Internetseiten ohne Ende und damit auch Scrollen ohne Ende: Infinite Scrolling.

Saee Paliwal beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Verhaltenssüchten. Sie arbeitet an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Eine ihrer Forschungsthesen ist, dass man Social Media Apps mit Glücksspielautomaten vergleichen kann.

Der einarmige Bandit der sozialen Medien?

Vielleicht kennst Du den Glückspielautomaten, bei dem man einen Hebel an der Seite nach unten zieht. Daraufhin kommen im Fenster des Automaten verschiedene Symbole ins Rollen. Wenn das Rollen stoppt und überall das gleiche Symbol angezeigt wird, gewinnt man. Man nennt den Automaten umgangssprachlich auch den einarmigen Banditen. Saee Paliwal vergleicht diesen Spielautomaten mit dem Pull to Refresh. Wir ziehen nach unten und warten gespannt, ob es tolle Neuigkeiten gibt. Wenn ja, freuen wir uns. Wenn nicht, ziehen wir weiter und weiter und weiter…

Hand hält ein Handy. Aus dem Handy kommt eine Hand, die ein Handy hält. Und so weiter.

Bild: Alexandra_Koch / pixybay.com

Klassisches Glücksspiel zeichnet sich dadurch aus, dass man Geld einsetzten muss und der Ausgang überwiegend oder komplett vom Zufall abhängt. Wie zufällig sind die Beiträge, die uns in unserem Newsfeed angezeigt werden? Immerhin werden diese von Algorithmen (Entscheidungssysteme aus künstlicher Intelligenz) zusammengestellt. Wir bezahlen unseren Social Media Newsfeed nicht mit Geld und können auch keines gewinnen. Die Währung könnte jedoch eine andere sein. Wir können interessante Neuigkeiten, spannende Geschichten oder schöne Fotos gewinnen. Und womit bezahlen wir? Mit unserer Zeit? Mit unseren Daten? Mit unserer Gesundheit? Die Antworten auf all diese Fragen bleiben an dieser Stelle offen.

Addictive Design: Kann Infinite Scrolling süchtig machen?

Selbst der Entwickler von Pull to Refresh, Loren Brichter, hat das Glücksspiel-Prinzip seiner Erfindung erkannt: „Pull-to-Refresh macht süchtig. Als ich damals daran arbeitete, war ich nicht reif genug, um über die Folgen nachzudenken. Ich […] bereue definitiv die Schattenseiten.“ Inzwischen versucht er offenbar selbst, sich aus dem Sog der sozialen Medien zu befreien. Und da ist er nicht der einzige: Einige Entwickler*innen der großen Technik-Konzerne haben den sozialen Medien inzwischen scheinbar den Rücken gekehrt. Ihre Motivation: Ethische Bedenken und/oder Selbstschutz. Den Vergleich von Pull to Refresh und anderen Social Media Funktionen zu Glücksspiel zieht auch Tristan Harris. Er hat früher für Google gearbeitet und nachgeforscht, wie andere Technik-Unternehmen ihre Nutzer*innen möglichst süchtig nach ihren Angeboten machen.

Hin- und wieder Inhalte neu zu laden, macht natürlich nicht direkt süchtig. Wie genau eine Medienabhängigkeit entstehen kann, kannst du hier nachlesen. Ob Infinite Scrolling und Pull-to-Refresh tatsächlich zur Entstehung einer Suchterkrankung beitragen können, dazu fehlen noch wissenschaftliche Studien. Dass die Entwickler*innen solche Elemente jedoch mit genau diesem Ziel entwickeln und andererseits selbst von ihren Erfindungen Abstand nehmen, sollte uns jedoch zu denken geben.

Illustration: Kopf mit sichtbarem Gehirn, um den Glühbirnen, Stoppuhren und Sanduhren kreisen.

Bild: chenspec / pixybay.de

Infinite Scrolling: Surfen ohne Ende?

Was passiert mit uns, wenn wir immer wieder nach unten ziehen, immer wieder aktualisieren, immer wieder neue Inhalte laden können? Stell Dir vor, Du liegst abends im Bett und möchtest noch etwas lesen. Du nimmst ein Buch und liest los. Irgendwann wirst Du zu müde, Deine Augen zu schwer, um weiter zu lesen. Du sagst Dir: Eine Seite noch, es ist doch gerade so spannend. Diese eine Seite gibt es beim Infinite Scrolling aber nicht. Du musst/kannst nicht mehr auf die nächste Seite klicken (oder umblättern), bevor Du weitere Inhalte angezeigt bekommst. Du kannst einfach immer wieder am unteren Rand Deines Bildschirms ziehen, um neue Inhalte zu laden. Immer und immer weiter, theoretisch endlos. Das kann man sich ungefähr so vorstellen, als würde man mit einer endlos langen Schriftrolle im Bett liegen.

Ohne Seiten oder andere Orientierungspunkte kann man schnell das Zeitgefühl verlieren. Wie lange habe ich schon gelesen? Wie viel habe ich schon gelesen? Wie viel will ich noch lesen? Wie viel ist genug? Wo/wann soll ich aufhören? Ist es Dir schon einmal passiert, dass Du mit Deinem Handy oder Tablet ins Bett gegangen bist, wolltest nur noch kurz jemandem „Gute Nacht“ schreiben, warst Dann aber doch noch eine halbe Stunde oder länger beschäftigt?

Selbsthilfetipp: Nutzungslimits festlegen und Timer stellen

Wie viel Zeit willst Du wirklich in Deinem Newsfeed verbringen? In manchen sozialen Netzwerken oder auch in deinen Handy-Einstellungen kannst du App-Timer einrichten. Beispielsweise 15 Minuten für Facebook, 5 Minuten für Instagram, 5 Minuten für TikTok. Wenn die Zeit um ist, bekommst du eine Nachricht, die dich darauf hinweist. Wie du so ein Limit bei Facebook und Instagram einrichten kannst, zeigen wir dir in diesem Blogbeitrag. Bei deinem Smartphone geht das je nach Betriebssystem in etwa so:

  • Android: Einstellungen > Digitales Wohlbefinden > App-Timer
  • iPhone: Einstellungen > Bildschirmzeit > App-Limits

Wenn deine App-Zeit abgelaufen ist, bekommst du eine Benachrichtigung, die dich darauf hinweist. Das App-Symbol wird dann je nach Betriebssystem bis zum Ende des Tages verblasst oder grau angezeigt. Versuchst du, die App erneut zu öffnen, klappt das nicht. Stattdessen erhältst du die Info, dass deine Zeit für heute aufgebraucht ist.

Smartphone-Bildschirm, der eine Uhr zeigt.

Bild: viarami / pixabay.de

Themenreihe Addictive Design

Dieser Blogbeitrag ist Teil der Themenreihe zu Addictive Design. Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:

Quellen

Ansteck-Buttons mit Social Media-Logos Besitztumseffekt: Social Media-Konto gehegt und gepflegt Rotes Kästchen mit Herz Likes: Hundeschule für Social Media-Nutzer*innen
Diesen Artikel Teilen auf:
Interessante Beiträge

Du hast Fragen oder Anregungen?

Schreib uns gerne eine Nachricht, wir helfen Dir weiter.