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eSportler vor einem Bildschirm

Foto: Florian Olivo/Unsplash

eSport und psychosoziale Gesundheit (Webinar)

24 Oktober 2019

Lesezeit 7 Minuten

Am 17. Oktober 2019 haben wir gemeinsam mit dem Sportwissenschaftler Prof. Dr. Matthias Wagner von der Universität der Bundeswehr in München ein Webinar veranstaltet. Prof. Dr. Wagner hat im Online-Seminar beleuchtet, wie sich übermäßiges eGaming auf die psycho-soziale Gesundheit auswirken kann. Ausgangspunkt dafür war zunächst eine Unterscheidung zwischen eSport, eGaming und virtuellen Sport-Simulationen. Dieser Blogartikel ist eine Zusammenfassung des Webinars. Zum Webinar geht’s hier.

eSport, eGaming und virtuelle Sportarten

Es gibt keine allgemein gültige Definition von eSport. Beispielsweise fasst der Esport-Bund Deutschland (ESBD) den Begriff anders auf als der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB).

ESBD: „eSport ist der unmittelbare Wettkampf zwischen menschlichen Spieler/innen unter Nutzung von geeigneten Video- und Computerspielen an verschiedenen Geräten und auf digitalen Plattformen unter festgelegten Regeln. […] Die für den deutschen Bereich aktuell relevanten eSport-Spiele sind League Of Legends (Strategie), DOTA 2 (Strategie), Counter-Strike: Global Offensive (Taktik-Shooter), StarCraft II (Strategie), FIFA (Sportspiel) als größte Titel. Dazu kommen Overwatch (Taktik-Shooter), Heroes Of The Storm (Strategie), NBA2KX (Sportspiel), Rocket League (Sportspiel), Call Of Duty (Shooter) sowie eine Vielzahl weitere Spiele.“

DOSB: „Der Begriff „eSport“ steht für eine außerordentlich breite Palette höchst unterschiedlicher virtueller Angebots- und Spielformen mit Wettkampf-Charakter. Da in diesem breiten Verständnis die Bezeichnung „Sport“ nicht zielführend und in weiten Teilen aus unserer Sicht irreführend ist, verzichten wir im Folgenden auf die Bezeichnung „eSport“ und verwenden stattdessen den Begriff eGaming. Wir unterscheiden insgesamt in eGaming und elektronische Sportarten-Simulationen (oder kurz virtuelle Sportarten).“

eGaming: Suchtpotential und ethische Bedenken

Der DOSB möchte den Sportbegriff nicht auf Spiele anwenden, die keinen direkten Bezug zu anerkannten analogen Sportarten haben. Dazu gibt er unter anderem diese zwei Beweggründe an: Das Suchtrisiko und die ethische Hinterfragung von z.B. Gewaltinhalten in eGaming-Spielen, d.h. in Shootern und Strategiespielen.

DOSB: „Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Videospielen inzwischen als potenziell suchtgefährdende Tätigkeit und damit als Gesundheitsrisiko eingestuft; damit ist dies nicht ohne weiteres mit den Zielen eines gesunden und bewegten Lebensstils vereinbar, für den der DOSB mit seinen Werten steht.“  Und: „Beim eGaming gibt es keine Differenzierung nach ethischen Grundsätzen; vielmehr steht eine Vielzahl der Spiele im klaren Widerspruch dazu sowie zu den ethischen Werten des Sports, die im DOSB-Leitbild formuliert sind, und in Grundsatzdokumenten der DOSB-Mitgliedsorganisationen.“

Sind die Argumente des DOSB gerechtfertigt?

Die Leitfrage des Webinars setzte Prof. Dr. Wagner daher wie folgt:

Ist die vom DOSB propagierte Ausgrenzung sogenannter eGaming-Szenarien aus dem Definitionsrahmen des organisierten Sports bzw. die dieser zu Grunde liegende Argumentation eines erhöhten Suchtrisikos empirisch begründbar?

Um diese Frage beantworten zu können, wurden sieben Teilfragen untersucht:

  1. Besteht Einigkeit bei der Definition von eGaming induzierter, psychosozialer Störungen (= Gaming Disorder / Computerspielsucht)?
  2. Existieren gültige Methoden zur Diagnose von eGaming induzierten, psychosozialen Störungen?
  3. Impliziert exzessives eGaming epidemiologisch relevante, psychosoziale Störungen?
  4. Sind durch pathologisches eGaming induzierte, psychosoziale Langzeitstörungen nachgewiesen?
  5. Wirkt sich eGaming mit Gewaltinhalten auf die Wahrnehmung in der analogen Welt aus?
  6. Weisen Personen mit eGaming induzierten, psychosozialen Störungen ein spezifisches Persönlichkeitsprofil auf?
  7. Existieren evidenzbasierte Programme zur Therapie von eGaming induzierten, psychosozialen Störungen?
Mehrere eSportler vor Bildschirmen

Foto: Magnus/Unsplash

Besteht Einigkeit bei der Definition von Gaming Disorder / Computerspielsucht?

Antwort: Ja und nein, es gibt unterschiedliche Definitionen nach international anerkannten Diagnosekatalogen, die sich inhaltlich aber sehr ähnlich sind (Quellen: DSM-5 nach Wartberg et al. 2017, ICD-11 nach WHO). Die Definitionen an sich sind jedoch alle umstritten (Quellen: Kuss, Griffith und Pontes 2017, Schimmenti et al 2016). Das erschwert die Auswertung und den Vergleich unterschiedlicher Studien.

Existieren valide Methoden zur Erfassung von eGaming induzierten, psychosozialen Störungen?

Antwort: Ja, Prof. Dr. Wagner hat vier Fragebogen-Varianten vorgestellt, die entweder neun oder 27 Fragen enthalten, die sich an den neun Kriterien der DSM-5 Diagnose orientieren. Die Patient*innen können entweder mit ja / nein oder mit einer 5-stufigen Skala von ja bis nein antworten (Quelle: Lemmens et al. 2015).

Impliziert exzessives eGaming epidemiologisch relevante, psychosoziale Störungen?

Antwort: Ja. Schätzungen zur Anzahl der Erkrankten gibt es bereits seit etwa 20 Jahren. Der Durchschnittswert liegt über die Jahre bei 4,7 Prozent (Feng et al. 2017). Der aktuelle Wert für Deutschland liegt bei 5,7 Prozent (Quelle: Wartberg et al. 2017), vergleichbar mit dem Wert von Erkrankungen wie Adipositas (= krankhaftes Übergewicht) oder der Aufmerksamkeitsstörung ADHS (Quelle: Schienkiewitz et al. 2018, Göbel et al. 2018).

Sind durch pathologisches eGaming induzierte, psychosoziale Langzeitstörungen nachgewiesen?

Antwort: Ja, eine Studie konnte zeigen, dass über 80 Prozent der Personen, die an einer Gaming Disorder erkrankt sind, dies auch zwei Jahre später noch sind (Quelle: Gentile et al 2011). Außerdem ergab die Studie, dass Spieler*innen, die starke oder ansteigende Symptome der Gaming Disorder aufweisen, auch verstärkt psycho-soziale Probleme entwickeln. Beispiele hierfür sind Depressionen oder Angststörungen.

EIne Gruppe von Menschen sitz auf einem großen Sofa und guckt auf mehreren Bildschirmen einem eSport Wettkampf zu

Foto: Sean Do/Unsplash

Wirkt sich eGaming mit Gewaltinhalten auf die Wahrnehmung in der analogen Welt aus?

Antwort: Ja, eGaming mit Gewalt-Inhalten kann die Wahrnehmung der Realität verändern – es wurden kleine bis mittlere Effekte identifiziert (Quelle: Bushmann 2016). Diese Studienergebnisse deuten darauf hin, dass sogenannte „Killerspiele“ durchaus das viel diskutierte, gefährdende Potential haben. Was wir laut Prof. Dr. Wagner jedoch nicht tun sollten, ist, diese Effekte populistisch auszuschlachten.

Weisen Personen mit eGaming induzierten, psychosozialen Störungen ein spezifisches Persönlichkeitsprofil auf?

Antwort: Ja, die Persönlichkeit eines Menschen ist von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung einer Gaming Disorder. Persönlichkeitszüge, die die Entstehung der Erkrankung begünstigen können, sind zum Beispiel Impulsivität oder ein geringes Selbstwertgefühl (Quelle: Brand et al 2016). Faktoren, die eine Suchtentwicklung unwahrscheinlicher machen, sind beispielsweise Offenheit für neue Erfahrungen, soziale Verträglichkeit mit anderen oder Gewissenhaftigkeit (Quelle: Gervasi et al. 2017).

Existieren evidenzbasierte Programme zur Therapie von eGaming induzierten, psychosozialen Störungen?

Antwort: Ja, Prof. Dr. Wagner stellte als Beispiel hierfür ein Achtsamkeitstraining vor. Dieses verspricht einen gewinnbringenden Beitrag zur Therapie von Computerspielsucht (Quellen: Heinz et al. 2011, Li et al. 2017).

Fazit: Sind die Argumente des DOSB gerechtfertigt?

Prof. Dr. Wagner kam zu dem Schluss, dass die oben genannten Forschungsergebnisse die Argumentation des DOSB stützen. Allerdings wies er auch darauf hin, dass wir uns dringend auf eine einheitliche Definition von eSport und Computerspielsucht einigen müssen. Außerdem seien Standards für die Diagnose-Stellung nötig. Auch breit und lang angelegte Studien gebe es bisher zu wenig. All das sei jedoch Voraussetzung, um die psychosozialen Risiken von eSport zuverlässig bewerten zu können, so Prof. Dr. Wagner.

Person spielt am Computer ein Spiel

Foto: Sean Do/Unsplash

Tanzen, Radfahren, Tennis – ist das auch eSport?

Neben den schon angesprochenen Aufgaben sieht Prof. Dr. Wagner noch weitere mögliche Untersuchungsfelder im Spannungsfeld von Sport und Spiel, die gesellschaftlich und wissenschaftlich beleuchtet werden könnten. Beispiele hierfür sieht er in Virtual- oder Augmented Reality basierten Exergames, Serious Games oder physical eSports.

Blogartikel-Serie zu eSport

Dieser Gastbeitrag wurde im Rahmen unserer Blogartikel-Serie zu eSport veröffentlicht. Schau doch auch mal in die anderen Beiträge rein:

Quellen

  • Brand, M., Young, K. S. Laier, C., Wölfling, K., & Potenza, M. N. (2006). Integrating psychological and neurobiological considerations regarding the development and maintenance of specific Internet-use disorders: An Interaction of Person-Affect-Cognition-Execution (I-PACE) model. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 71, 252-266.
  • Bushman, B. J. (2016). Violent media and hostile appraisals A meta-analytic review. Aggressive Behavior, 42 (6). 605-613.
  • Feng, W.,Ramo, D., Chan, S.& Bourgeois, J. (2017). Internet Gamin Disorder: Trends in
  • Prevalence 1998-2016. Addictive Behavior, 75, 17-24.
  • Gentile, D. A., Choo, H.,  C., Liau, A., Sim, T., Li, D., & Fung, D. et al. (2011). Pathological Video Game use Among Youths: A Two-Year Longitudinal Study. Pediatrics, 127 (2), e319-e329.
  • Gervasi AM, La Marca L, Costanzo A, Pace U, Guglielmucci F, Schimmenti A. Personality and Internet Gaming Disorder: a Systematic Review of Recent Literature. Curr Addict Rep 2017; 4 (3): 293-307.
  • Göbel, K., Baumgarten, F., Kuntz, B., Hölling, H., & Schlack, R. (2018). ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittsergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Monitoring, 3 (3), 46-53.
  • Heinz, K., Heidenreich, T., Wenhold, F., & Brand, R. (2011). Achtsamkeit und Akzeptanz. Grundlagen und Perspektiven eines neuartigen Trainings für den Leistungssport. Zeitschrift für Sportpsychologie, 18 (4), 145-154.
  • Kuss, D. J., Griffiths, M. D., & Pontes, H. M., (2017). Chaos and confusion in DSM-5 diagnosis of Internet Gaming Disorder: Issues, concerns, and recommendations for clarity in the field. Journal of Behavioral Addiction, 6 (2), 103-109.
  • Lemmens J. S, Valkenburg P. M, & Gentile D. A. (2015). The Internet Gaming Disorder Scale. Psychological Assessment 27 (2), 567-582.
  • Li W, Garland EL, McGovern P, O’Brien JE, Tronnier C, Howard MO. Mindfulness-oriented recovery enhancement for internet gaming disorder in U.S. adults: A stage I randomized controlled trial. Psychology of addictive behaviors: journal of the Society of Psychologists in Addictive Behaviors 2017; 31 (4): 393–-02.
  • Schienkiewitz, A., Mensink, G.B., M., Kuhnert, R., & Lange, C. (2018). Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Healh Monitoring, 2 (2), 21-28.
  • Schimmenti, A., Przybylski, A., K., Bean, A. M., van Roiij, A. J.,Ferguson, S. J., Kardefelt-Winter, D., et al. (2016). Scholar´s open Debatepaper on the World Health Organization ICD-11 Gaming Disorder proposal.
  • Wartberg, L., Kriston, L., & Thomasius, R. (2017). Prävalenz und psychosoziale Korrelate von Internet Gaming Disorder. Deutsches Ärzteblatt, 114 (25), 419-424.
  • Fotos: Florian Olivo, Magnus, Sean Do, Sean Do / Unsplash
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