Yvonne “MissMadHat” Scheer ist Gamerin, eSportlerin und Genderbeauftragte des österreichischen eSport Verbands (ESVÖ). Sie gibt regelmäßig Vorträge und Interviews zum Thema “Gender and Diversity”.
Natalie Denk ist Bildungswissenschaftlerin, Medienpädagogin und Spieleforscherin. Sie arbeitet seit 2014 am Zentrum für Angewandte Spieleforschung der Donau-Universität Krems. Seit Juli 2019 ist sie Leiterin des Zentrums. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Game Based Learning, Educational Game Design sowie der Auseinandersetzung mit Alters- und Gender-Aspekten im Zusammenhang mit digitalen Spielen. Darüber hinaus arbeitet sie bei PICAPIPE GmbH am Projekt „League of Girls“, einer Plattform und Initiative zur Förderung von Frauen im eSport.
Saskia Rößner: Bei den Menschen, die Computer- oder Videospiele spielen, ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ausgewogen. Sieht das im eSport ähnlich aus? Wenn nicht, woran könnte das liegen?
Yvonne Scheer: Bei den genannten Statistiken sind neben PC-Spieler*innen auch Konsolen- und Smartphone-Spieler*innen miteinbezogen. Letztere sind zu einem Großteil weiblich. Smartphone-Spiele haben aber nichts mit eSport zu tun. Der eSport selbst ist aktuell (noch) eine Männerdomäne. Dies liegt aber an vielen verschiedenen Faktoren u.a. an Vorurteilen und Klischees, mit welchen Spieler*innen konfrontiert sind.
Natalie Denk: Im E-Sport sind ja tatsächlich nur etwa 5 Prozent der Personen, die an Turnieren teilnehmen, Frauen. Hier muss einem auch klar sein, dass die Teilnahme an E-Sport Turnieren und professionelles Gaming etwas komplett anderes sind und auch andere Voraussetzungen und Rahmenbedingungen brauchen, als das Spielen im Hobby-Bereich. Das wäre in etwa derselbe Vergleich, als wenn ich mir Personen ansehe, die hobbymäßig gerne Joggen gehen und jene, die bei professionellen Langstreckenläufen mitmachen und Spitzenleistungen erzielen.
Nichtsdestotrotz ist die Frage, warum eine derartige Kluft zwischen allgemeinem Interesse an Computerspielen bei Frauen und aktiver Teilnahme an eSport-Turnieren besteht, legitim und wichtig. Grundsätzlich stehen eSport-Turniere für alle Geschlechter gleichermaßen offen – abgesehen von Female only (=nur Frauen) Formaten. Dennoch haben Frauen mit diversen Einstiegshürden zu kämpfen, welche stark in der geschlechtsspezifischen Sozialisation verwurzelt sind.
Saskia Rößner: Welche Einstiegshürden sind das?
Natalie Denk: E-Sport ist eine sehr männlich dominierte Szene. Frauen fehlt es mitunter an weiblichen Rollenvorbildern. Auch die Angst vor sexistischem Verhalten könnte abschreckend wirken, beispielsweise beleidigende Kommentare in den Online Communities. Wenn eine Frau in einem Spiel mal schlecht abschneidet, dann heißt es auch rasch, dass sie schlecht spielt, gerade WEIL sie eine Frau ist.
Saskia Rößner: Und was meinen Sie mit geschlechtsspezifischer Sozialisation?
Natalie Denk: Wir wachsen mit bestimmten gesellschaftlich konstruierten Geschlechterrollen auf. Welche Tätigkeiten bzw. welche Rollenbilder werden gesellschaftlich eher als “weiblich” oder als “männlich” angesehen? Computerspielen ist hiernach eher männlich konnotiert. Das kann sich dahingehend auswirken, dass Spielerinnen in der professionellen Gaming Szene (wie etwa dem E-Sport), in der Spieleentwicklung (von den großen Studios bis hinein in die Indie Game Szene), bei LAN-Partys oder der aktiven Beteiligung an Online Gaming Communities unterrepräsentiert bleiben.
Saskia Rößner: Es gibt gemischte eSport-Turniere und solche, die nur für Frauen zugänglich sind. Wie kam es zu der Idee, extra Frauen-Turniere zu etablieren? Werden weibliche Spielerinnen dadurch wirklich gefördert oder eher von der restlichen eSport-Szene ausgegrenzt?
Yvonne Scheer: Frauenturniere wie das GIRL GAMER Festival sind gut, um die weibliche Szene sichtbar zu machen. Es gibt durchaus Damen, die nur mit und gegen Damen spielen möchten, um der Gefahr von Belästigung oder Vorurteilen aus dem Weg zu gehen. Grundsätzlich hoffe ich persönlich, dass es in einigen Jahren mehr gemischte Teams geben wird – denn ich selbst habe auch in einem gemischten Team gespielt und konnte viele positive (als auch wenige negative) Turnier-Erfahrungen sammeln.
Natalie Denk: Das langfristige Ziel sollte meiner Ansicht nach sein, dass alle Geschlechter gemeinsam spielen, sich gleichermaßen in der Szene wohlfühlen und Geschlecht keine Rolle spielt. In herkömmlichen Sportarten mögen physiologische Unterschiede getrennte Wettkämpfe für Frauen und Männer rechtfertigen. Im E-Sport ist das anders. Female only Turniere können jedoch dazu beitragen, darauf und auf die Unterrepräsentation von Frauen im E-Sport aufmerksam zu machen. Sie bieten Frauen zudem einen geschützten Raum, wo sie ohne Vergleich zum männlichen Geschlecht und ohne sexistisches Verhalten spielen können.
Natalie Denk: Das „Gender-Problem” im E-Sport lässt sich jedoch nicht allein mit female only Ligen lösen.
Saskia Rößner: Bei unseren Recherchen zum Thema Gaming stoßen wir häufig auf Berichte von Frauen, die beim Spielen mit sexistischen Anfeindungen konfrontiert wurden. So etwas kommt also auch im professionelleren Umfeld des eSports vor?
Yvonne Scheer: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, ja. “Du gehörst in die Küche”, “Bring uns eine Runde Bier” oder “Gegen das Team wollen wir zuerst spielen, das ist leicht, da spielt ein Mädl mit” sind Kommentare, mit denen ich bei Offline-Turnieren direkt oder indirekt konfrontiert war. Online habe ich durchaus auch schon unfreundlichere Nachrichten bekommen. Bei Offline-Events gibt es grundsätzlich mittlerweile sogenannte eSport-Referees (= Schiedsrichter*innen) die auch über dieses Thema aufgeklärt sind und im Ernstfall einschreiten.
Natalie Denk: Bisher habe ich noch keine E-Sportlerin kennengelernt, die nicht von sexistischen Vorfällen berichtet hat. Es handelt sich hier immer um Einzelfälle und davon darf nicht auf die gesamte Community geschlossen werden. Aber diese toxischen Stimmen sind leider oft die lautesten und richten auch entsprechenden Schaden an.
Saskia Rößner: Wir haben jetzt viel über Frauen gesprochen. Können Sie auch etwas zu anderen sexuellen Identitäten oder Orientierungen im eSport oder in der Spieleszene generell sagen? Gibt es hierzu schon statistische Erhebungen oder persönliche Erfahrungen?
Yvonne Scheer: Hier gibt es tatsächlich eine neue Statistik. Die LGBTQ Community – sofern geoutet – hat es laut der Umfrage offensichtlich auch nicht leicht im Gaming Bereich.
Natalie Denk: Yvonne, danke für den Link, den kannte ich noch nicht. Zu diesem Thema passt auch die Frage nach der Diversität der Spieler*innen. Leider ist es nach wie vor der Fall, dass immer wieder von den “Gamern” die Rede ist, als ob dies eine stark homogene Gruppe wäre. Wenn man genauer hinschaut, ist dies eigentlich komplett absurd, schon allein deshalb, weil ein Großteil der Bevölkerung Computerspiele spielt – unabhängig von der sexuellen Orientierung.
Zudem sind Computerspiele als Medium wiederum an sich höchst divers: Es gibt die unterschiedlichsten Genres, Spielmechaniken, Spiele für verschiedene Plattformen – vom Smartphone bis hin zur High-End Virtual Reality Brille. Computerspiele ermöglichen die unterschiedlichsten Spielerfahrungen, fordern und fördern unterschiedliche Fertigkeiten und Kompetenzen usw.
Es gibt jedoch einen Punkt, wo die Diversität leider aufhört und das ist leider oft in der Gestaltung von Charakteren und Spielwelten. Hier wird deutlich, dass die Gaming-Industrie die Diversität der Spieler*innen nach wie vor nicht anerkennt bzw. ignoriert. Hier schwingt eindeutig oft noch die Vorstellung des stereotypischen “Gamers” mit, der heterosexuell, jung, weiß und vor allem auch männlich ist. Also da gibt es auf jeden Fall noch viel zu tun – etwa im Bereich der allgemeinen Bewusstseinsbildung (was wiederum der Diversität im eSport zu Gute kommen kann) und in der Ausbildung innerhalb der Spielebranche. An der Donau-Uni haben wir im Masterlehrgang “Game Studies” das Fach “Gender & Diversity” eingeführt, das ich unterrichte.
Saskia Rößner: Wie können oder wie sollten Menschen reagieren, die aufgrund ihres Geschlechts oder eines anderen Merkmals von anderen Spieler*innen oder eSport-Fans beleidigt oder bedroht werden?
Yvonne Scheer: Schwierige Antwort, da es hier auf den Typ Mensch ankommt, der damit konfrontiert ist. Ich persönlich habe gelernt, diese “Bullies” und deren Nachrichten zu ignorieren. Online kann man andere Spieler*innen stumm schalten, blockieren oder melden. Anfeindung führt meist zu einer unnötigen Diskussion ohne gute Argumente. In der oben genannten Statistik gibt es einen Punkt, wie Gamer*innen damit umgehen. Man lernt, Leuten online nicht sofort zu vertrauen, denn im WWW ist jeder anonym.
Bei Offline-Turnieren trauen sich die Gamer*innen in der Regel nicht, negative Kommentare direkt zu äußern bzw. ist man eigentlich sofort mit dem ganzen Team (in meinem Fall) konfrontiert. Wie Gamer*innen in Einzeldisziplinen bei Offline-Turnieren mit dieser Situation umgehen, kann ich leider nicht sagen.
Natalie Denk: Es gibt diverse Bewältigungsstrategien, um mit sexistischen Äußerungen, Hate Speech, etc. umzugehen. Ich sehe es durchaus auch als Aufgabe von Verbänden und Vereinen, eben diese zu vermitteln. Das sollte genauso zum Coaching eines E-Sport-Teams gehören, wie gesundheitliche Aspekte oder eben Spielstrategien. Und es ist vor allem auch wichtig, darüber zu sprechen und derartige Vorfälle nicht als unwichtig unter den Tisch zu kehren oder zu verharmlosen.
Hier ein Beitrag zum Thema, der von Regina Steiner über unsere League-of-Girls Plattform veröffentlicht wurde:
Saskia Rößner: Vor welchen großen Herausforderungen hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter steht die eSport-Szene in den nächsten Jahren?
Yvonne Scheer: Die Aufklärung zur Gleichbehandlung in eSport und Gaming steht im Vordergrund. Wenn wir die heutige Jugend bereits in die richtige Richtung erziehen und diese Gender-Klischees nicht zulassen, werden wir das aktuelle Problem in der virtuellen und analogen Gesellschaft hoffentlich in einigen Jahren nicht mehr vorfinden.
Natalie Denk: Da stimme ich Yvonne auf jeden Fall zu. Wir müssen das Thema bei der geschlechtsspezifischen Sozialisation anpacken. Ich finde es auch sehr wesentlich, dass in unserer Gesellschaft ein Know-how und Verständnis rund um eSport gesellschaftlich aufgebaut wird. Das betrifft sehr viele Bereiche: Bildung, Wirtschaft, Politik, usw. Hier darf man auch nicht immer nur an die Tätigkeit von eSportler*innen denken. In der eSport-Branche gibt es so viele Aufgabengebiete und vor allem auch mögliche Arbeitsfelder, die oft unterbeleuchtet bleiben. Das ist natürlich auch ein Fall für die Berufsorientierung. Dort wiederum kann sehr gut das Thema Gender & Diversity einfließen.
Momentan suchen wir auch nach Wegen und vor allem auch Förderungen, um hier noch viele weitere Maßnahmen durchzuführen und Initiative zu ergreifen. Yvonne und ich haben hier schon viel Zuspruch aus der eSport-Community in Österreich bekommen und wir versuchen gerade, auch die Vernetzung zu stärken, um gemeinsam Projekte auf die Beine zu stellen.
Saskia: Liebe Natalie Denk, liebe Yvonne Scheer, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für Ihre Projekte zur Förderung der Diversität im eSport.
Mehr dazu…
- Frauen in der Gaming-Branche: 9 Fragen an Wissenschaftlerin und Gamerin Natalie Denk,OWAYO Magazin
- Frauen im E-Sport: Wo stehen wir?, Grimme Game
- Titelbild: Tomasz_Mikolajczyk/Pixabay
Blogartikel-Serie zu eSport
Dieser Gastbeitrag wurde im Rahmen unserer Blogartikel-Serie zu eSport veröffentlicht. Schau doch auch mal in die anderen Beiträge rein: