Niklas Luginsland ist 23 Jahre und spielt für den VfB Stuttgart Fußball – nicht in der Mercedes-Benz Arena, sondern auf virtuellem Rasen im Computerspiel FIFA. Niklas hat Glasknochen und sitzt im Rollstuhl. Eine Karriere als Profi-Fußballer wäre für ihn in der analogen Welt unmöglich gewesen. Welche Chancen für die Inklusion von Menschen mit Behinderung er im eSport sieht, darüber spricht er im Interview mit unserer Projektkoordinatorin Saskia Rößner.
Saskia Rößner: Du spielst seit mehr als einem Jahr für den VfB Stuttgart professionell FIFA. Seit wann spielst Du FIFA und wie bist du auf die Idee gekommen, eSportler zu werden?
Niklas Luginsland: Mit dem FIFA-Spielen habe ich 2004 angefangen, da war ich acht Jahre alt. Damals war das natürlich nur eine Freizeitbeschäftigung, ein Hobby von mir. Das Internet war zu der Zeit auch noch nicht so verbreitet. Ich habe eher offline gegen den Computer oder mit und gegen Freund*innen gespielt.
Erst mit 18 habe ich angefangen, kompetitiv (= in Wettkämpfen) FIFA zu spielen. Ich habe angefangen, mich offline und online bei verschiedenen Turnieren mit anderen Spieler*innen zu messen. Da habe ich gemerkt, dass ich relativ gut bin. Ich konnte Spiele für mich entscheiden und Wettkämpfe gewinnen. Auf nationaler und internationaler Ebene spiele ich erst seit ein paar Jahren.
Im Jahr 2018, also letztes Jahr, wurde ich von der Agentur eSports Reputation angesprochen. Die managen und betreuen mich bis heute. Die haben auch den Kontakt zum VfB Stuttgart hergestellt. Der hat mich dann im August 2018 unter Vertrag genommen.
Fußballbegeistert war ich schon immer. Ich bin als Kind schon Mitglied beim VfB geworden. Das ist mein absoluter Herzensverein. Und jetzt meine beiden Leidenschaften – den Fußball und den eSport – miteinander verbinden zu können, ist eine ziemlich coole Sache.
Saskia Rößner: Wie oft trainierst Du, seitdem Du beim VfB bist und auf was achtest Du sonst noch?
Niklas Luginsland: Seitdem das neue FIFA-Spiel rausgekommen ist, versuche ich, vier bis fünf Stunden am Tag zu trainieren. Sobald ich mich an die Neuheiten gewöhnt habe, wird das wieder etwas weniger. Ansonsten mache ich noch viel Physiotherapie. Körperliche Fitness trägt auf jeden Fall zu einem besseren FIFA-Spielen bei.
Mentales Training ist auch sehr sinnvoll, auch wenn es hierzu noch keine Vorgaben vom Verein gibt. Ich ernähre mich auch grundsätzlich gesund, das habe ich schon immer. Die Ernährung spielt sicherlich auch eine Rolle für die Spielleistung. Jeden Tag Pizza wäre eher kontraproduktiv und ist in der eSport-Szene auch nicht Programm.
Saskia Rößner: Der eSport ermöglicht es Dir, Profi-Fußballer zu sein. Auf dem Rasen wäre das durch Deine Erkrankung nicht möglich. Wie schätzt Du das Inklusionspotential von eSport ein – für einzelne Personen, aber auch für die Gesellschaft?
Niklas Luginsland: Ich fange mal bei mir persönlich an. Mir ermöglicht der eSport, mich gleichberechtigt mit Millionen anderer Menschen weltweit zu messen. Ich habe hier keinen klar ersichtlichen Nachteil. Klassisch Fußball zu spielen ist für mich hingegen unmöglich.
Die Frage nach dem Inklusionspotential von eSport ist immer auch eine Einzelfallbetrachtung. Wenn man Einschränkungen hat, muss man für sich selbst schauen, was geht und was nicht. eSport ist aber extrem vielfältig. Es gibt viele verschiedene Spiele, nicht nur FIFA oder Fußball. Da gibt es bei vielen die Möglichkeit, das sie sagen „Ja, das kann ich“. Ich denke, eSport bietet viel Potential für die Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft.
Saskia Rößner: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Deutsche Behindertensportverband (DBS) haben dem eSport aberkannt, ein richtiger Sport zu sein. Was sagst Du zu dieser Entscheidung? Welche Chancen hätte eine Anerkennung für Inklusion haben können?
Niklas Luginsland: Die Diskussion um eSport ist mittlerweile so groß, da sollte jeder sein Urteil selbst fällen. Für mich persönlich kann ich sagen, FIFA-Spielen hat viele Komponenten, die einen Sport ausmachen: beispielsweise der Wettbewerb-Charakter, die Hand-Augen-Koordination und die Reaktionszeit. Wenn man zwei-gegen-zwei spielt, hat man auch eine Team-Komponente. Das sind alles Elemente, die einen Sport ausmachen. Natürlich hat man nicht die Eigenschaften von einem physischen Sport – ähnlich wie bei Schach oder Darts.
Für das Beispiel FIFA hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gesagt, sie nennen es nicht eSport, sondern eSoccer (soccer = englisch für Fußball). eSoccer erkennt der DFB als Sportart an. Die Deutsche Fußball Liga richtet mittlerweile die FIFA-Bundesliga aus. Die Weltmeisterschaft wird vom Verband FIFA ausgerichtet. Im Bereich FIFA braucht man also vielleicht nicht unbedingt noch die Anerkennung vom DOSB.
Für andere digitale Spiele kann ich nicht einschätzen, wie wichtig eine Anerkennung als Sport wäre. Ich vermute, der Grundgedanke vom DOSB ist, dass manche der Spiele zu viele gewaltverherrlichende Inhalte haben, um sie offiziell als Sport einzustufen.
Saskia Rößner: Vor kurzem wurde der erste eigenen Verein nur für eSportler mit Handicap gegründet. Dient ein eigenes Team der Inklusion oder grenzt man die Spieler*innen damit nicht eher von den anderen Teams ab? Wie schätzt Du das ein?
Niklas Luginsland: Das Team will sich mit anderen – ganz „normalen“ – Teams messen. Da steht also genauso ein Wettbewerbsgedanke dahinter wie bei anderen Mannschaften auch. Solange das Team am regulären Liga-Betrieb teilnimmt, ist das für mich keine Ausgrenzung. Die Idee finde ich sogar ziemlich cool.
Saskia Rößner: Für manche Menschen stellen Computerspiele einen digitalen Rückzugsort dar, um der analogen Welt zu entfliehen. Denkst Du, im Fall von Menschen mit einer Behinderung ist dies für die Inklusion eher förderlich oder eher hinderlich?
Niklas Luginsland: Das kann beides sein. Ich kenne Leute, die sagen, dass ihnen das Internet erst ermöglicht, sich regelmäßig mit sozialen Kontakten auszutauschen. Da ist es von der körperlichen Situation nicht möglich, viel zu reisen oder viele Veranstaltungen zu besuchen. Ich denke, man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass das nur die digitale Welt ist. Für mich ist es sehr wichtig, Freund*innen zu treffen, Familien und Sport-Veranstaltungen zu besuchen.
Saskia Rößner: Hast Du schon negative Erfahrungen mit anderen Spieler*innen gemacht, die mit Deiner Erkrankung nicht umgehen konnten? Wie verhältst du dich in diesen Situationen und was würdest Du Hobby-Spieler*innen raten, die aufgrund einer Behinderung oder anderer Umstände mit Mobbing oder Ausgrenzung konfrontiert sind?
Niklas Luginsland: Also direkt angesprochen hat mich so noch niemand. Aber es ist durchaus schon vorgekommen, dass es bei Twitter nach einem nicht so guten Spiel negative Kommentare gab. Das war auch am Anfang so, als ich beim VfB vorgestellt wurde. Da haben Leute gefragt: „Was will der denn da? Der kann doch gar nichts“.
Ich habe gelernt, damit umzugehen. Vor allem, wenn ein Kommentar allgemein negativ formuliert ist. Das sind Einzelvorfälle, auf die ich nicht weiter eingehe. Ich habe eine positive Lebenseinstellung und über solche Kommentare sehe ich einfach hinweg. Es wird immer Menschen geben, die mit einem Probleme haben. In meinem Fall vielleicht Berührungsängste wegen meiner Erkrankung oder Neid auf meine spielerischen Erfolge. Dadurch darf man sich aber nicht von seinem Weg abbringen lassen.
Saskia Rößner: Ich finde, das ist eine tolle Einstellung! Niklas, vielen Dank für die spannenden Einblicke in Deinen Alltag als eSportler und Deine Einschätzungen zum Inklusionspotential von eSport.
Blogartikel-Serie zu eSport
Dieser Gastbeitrag wurde im Rahmen unserer Blogartikel-Serie zu eSport veröffentlicht. Schau doch auch mal in die anderen Beiträge rein: