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Gruppe junger Menschen mit bunter Farbe in den Gesichtn macht ein Seflie.

Foto: Julian Gentilezza/Unsplash

Smartphone-Habits: Gewohnheit oder Sucht?

16 Januar 2020

Lesezeit 7 Minuten

Sind wir inzwischen alle süchtig nach unseren Smartphones oder ist unser Handygebrauch nur ein Ausdruck der Digitalisierung? Die Antwort liegt wie so oft wohl irgendwo dazwischen. Smartphone-Habits könnten eine Erklärung bieten.

Das möchten wir Dir anhand der Forschungsarbeit von Prof. Dr. Christoph Klimmt verdeutlichen. Er hat bei der 58. Fachkonferenz Sucht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. einen Vortrag über Smartphone-Habits und das Phänomen POPC gehalten. POPC steht für „permanently online, permanently connected“ (englisch = immer online, immer vernetzt / verbunden).

Smartphone-Habitus = Handy-Gewohnheiten

Für Prof. Klimmt ist weniger die aktive Nutzungszeit (Bildschirmzeit) unserer Smartphones entscheidend. Viel wichtiger findet er, dass wir stets in der Erwartungshaltung leben, jederzeit online und vernetzt sein zu können. Wir erwarten, rund um die Uhr Online-Dienste in Anspruch nehmen zu können, sei es Kommunikation mit Mitmenschen, die Nutzung von Unterhaltungsmedien, das Lesen von Nachrichten / News oder einfache Alltagslogistik (z.B. Online-Bestellungen).

Momente des Nichtstun, der Passivität und des sozialen Rückzugs werden dadurch aktiv vermieden. Das nennt Prof. Klimmt den Smartphone-Habitus (Habitus = Gewohnheiten); oder englisch Smartphone-Habits.

In einem Blogbeitrag haben wir vor ein paar Wochen das Beispiel mit der Bushaltestelle von Prof. Christian Montag vorgestellt. Dem fügt Prof. Klimmt noch zwei weitere Beispiele hinzu:

Wir richten unsere Aufmerksamkeit in Gesprächen häufig nicht mehr exklusiv auf unsere Gesprächspartner*innen, sondern nutzen parallel unser Handy. Für viele junge Menschen ist das ganz selbstverständlich und keine Verletzung von Gefühlen oder Normen. Die ältere Generation sieht das häufig etwas kritischer.

Ein weiteres Beispiel: Besonders schöne Momente oder Situationen werden nicht mehr einfach nur genossen, sondern häufig wie automatisiert mit dem Handy fotografiert und in den sozialen Medien oder via Messenger geteilt. Das Smartphone und seine Online-Medien durchwirken unseren Alltag zunehmend, erklärt Prof. Klimmt.

Auf einem Konzert wird ein Smartphone hochgehalten, um Fotos und Videos zu machen.

Foto: Noiseporn/Unsplash

Starke Gewohnheit ist noch keine Sucht

Das ist nicht immer schlecht. Laut Prof. Klimmt kommen bei der negativen Einschätzung dieses Vernetztseins vor allem diese zwei Ängste zum Tragen:

  1. Menschen mit schwächer ausgeprägtem POPC-Habitus (hier ältere Erwachsene) erleben den Unterschied zu voll-digitalen Menschen (hier vor allem Jugendliche) als beängstigend
  2. „Sucht“ dient eher als Beschreibung eines unerwünschten Zustands denn als ernsthafte Diagnose einer Krankheit

Prof. Klimmt stellt jedoch klar, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung tatsächlich von einer Smartphone-Sucht betroffen ist. Die Smartphone-Habits hingegen betreffen einen Großteil von uns. Die allermeisten Menschen, so Prof. Klimmt, haben ihre Handynutzung stark habitualisiert (= zur Gewohnheit gemacht) und sind nicht süchtig. Der Umgang mit unserem mobilen und smarten Telefon ist für die meisten von uns schlicht zur Routine geworden.

Smartphone-Habits bringen auch Chancen mit sich

Das Smartphone kann für uns in vielen Lebensbereichen eine Entlastung sein. Es ist wie ein digitales Schweizer Taschenmesser, ein Allzweckwerkzeug. Aber wie ein Taschenmesser (immerhin nicht nur ein Werkzeug, sondern auch eine mögliche Waffe) hat ein starker Smartphone-Habitus auch schlechte Seiten. Prof. Klimmt stellt Vor- und Nachteile gegenüber:

Vorteile des Smartphone-Habits:

  • Mehr soziale Verbundenheit im Alltag (auch über große Entfernungen hinweg)
  • Effektive Stimmungsregulation (für Jugendliche wird die Pubertät eventuell erträglicher)
  • Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten und des Wissenszugangs im Alltag
  • Ausbau des Kontakt-Netzwerks, das sich auf bestimmte Interessen bezieht (zum Beispiel ungewöhnliche Hobbies, seltene Krankheiten, …)
  • Erweiterung der kreativen Möglichkeiten

Smartphone-Habits: Risiken und negative Folgen

Gewohnheiten verlangen nach Wiederausführung

Smartphone-Habits können laut Prof. Klimmt zu einem Mangel an Achtsamkeit bei der Mediennutzung führen. Beispiele: Wenn Du gewohnheitsmäßig häufig online gehst, wirst Du dies auch eher in unpassenden Situationen tun (zum Beispiel bei Tisch). Wenn Du gewohnheitsmäßig häufig online gehst, versäumst Du auch eher lohnende Erfahrungen in analogen Situationen (zum Beispiel auf Reisen).

Gewohnheiten interagieren mit Angeboten

Es kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Nutzungsanreize kommen, warnt Prof. Klimmt. Beispiele: Wenn Du gewohnheitsmäßig häufig online gehst, wirst Du eher auf „Du hast neue Nachrichten“ reagieren. Wenn Du gewohnheitsmäßig viel im Netz bist, entscheidest Du Dich seltener gegen das nächste vorgeschlagene Video.

Internet Reliance (englisch = Vertrauen)

Unser Alltagshandeln und Alltagsplanen findet unter der Erwartung statt, jederzeit und überall Online-Zugang zu Diensten, Informationen und Kontakten zu haben, so Prof. Klimmt. Wissen wird nicht mehr als Tugend empfunden, stattdessen wird die Aneignung von Wissen von manchen sogar als überflüssig erlebt. Das Problemlösen unter Offline-Bedingungen kann als ungewohnt und unangenehm empfunden werden. Der Verlust der Online-Verbindung kann als Stressfaktor erlebt werden, so Prof. Klimmt.

Bunte Graffiti an einer Wand. In der Mitte steht das Wort Stress.

Foto: George Pagan/Unsplash

Prokrastination (= Aufschieberitis)

Unangenehme Aufgaben aufzuschieben, schätzt Prof. Klimmt als weit verbreitete Folge der Verlockungen digitaler Medien ein. Häufig geschieht das zum eigenen Schaden, zum Beispiel wenn man die eigenen Ziele dadurch nicht (rechtzeitig) erreicht. Darin sieht er eine Ähnlichkeit zur Online-Sucht. Schlechte Emotionen und Probleme, die durch die verschleppten Aufgaben entstehen, sind eine weitere negative Folge. Das Prokrastinieren des Einschlafens, wenn wir abends noch stundenlang mit dem Handy im Bett liegen, stuft Prof. Klimmt als körperliches Gesundheitsrisiko ein.

Informationsüberlastung

Viele Menschen sind über multiple Kanäle in dramatisch viele Kommunikationsabläufe, -gruppen und -kontexte eingebunden, erklärt Prof. Klimmt. Viele vermeintlich kleine Botschaften binden unsere Aufmerksamkeit und Denkleistung. Wir müssen häufig umschalten zwischen vielen verschiedenen sozialen Kontexten, die alle auf einem Gerät – unserem Smartphone – zusammenlaufen.

Damit nicht genug: Häufig glauben wir, durch Multitasking dennoch den Informationsstrom zu beherrschen. Tatsächlich ist oberflächliche Informationsverarbeitung die häufige Folge: Das kann zur Folge haben, dass wir nicht wirklich produktiv arbeiten, Probleme nicht richtig gelöst werden und wir uns im Nachhinein gar nicht richtig an daran erinnern, was wir getan haben. Zudem kann aus oberflächlicher Verarbeitung noch mehr Kommunikationsaufwand entstehen, z.B. durch Nachfragen, Erklärungen, Korrekturen usw. Insgesamt erhöht Informationsüberlastung die Wahrscheinlichkeit von Fehlern, warnt Prof. Klimmt.

Wenn Du mehr darüber erfahren möchtest, warum Multitasking unmöglich ist und was das mit Deinem Work Flow zu tun hat, dann schau doch mal in diesen Blogbeitrag von uns.

Fazit zu den Smartphone-Habits

Immer erreichbar, immer online – Fluch oder Segen?“ So heißt der Titel eines alten Blogbeitrags von uns. Auch Prof. Klimmt kommt zu dem Schluss, dass die permanente Vernetzung gute wie schlechte Seiten hat. Mehr Kontakte, mehr Spaß, mehr Möglichkeiten. Aber auch: Mehr Stress, mehr Oberflächlichkeit, mehr Konflikte.

Den Übergang von digitalen Habits zu einer digitalen Suchterkrankung schätzt Prof. Klimmt übrigens als fließend ein. Für ihn sind Achtsamkeit in der Mediennutzung (Mindfulness) und Medienkompetenz (Digital Literacy) daher besonders wichtig, in der Prävention wie in der Intervention.

Blau leuchtender Hintergrund. Im Vordergrund hält eine Hand ein Smartphone mit leuchtendem Bildschirm hoch. Auf dem Bildschirm ist ein Stop-Schild zu sehen. Wie wirksam sind Prävention und Frühintervention bei Mediensucht? Bunte Geschenke Digital-Analoges Zeitgeschenk als Last Minute Weihnachtsgeschenk
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