Webcare+ ist ein Selbsthilfe-Projekt, d.h. unsere Zielgruppe sind hauptsächlich Menschen, die schon unter einer problematischen Mediennutzung leiden. Doch heute gucken wir wieder einmal über unseren Tellerrand und werfen einen Blick in den Bereich Prävention. Denn am schönsten wäre es, wenn so etwas wie eine Internetsucht gar nicht erst entstehen würde.
Wir würden uns wünschen, dass alle Menschen so medienkompetent sind, dass sie ihre Internetnutzung vollständig unter Kontrolle haben. Und falls doch einmal eine Person ins Wanken gerät, wünschen wir uns, dass diese Person so früh wie möglich die notwendige Unterstützung erfährt. Prävention und Frühintervention verfolgen genau diese Ziele: Vorbeugen und früh helfen.
Doch wie wichtig und wie wirksam sind Projekte und Maßnahmen, die den Ausbruch einer Mediensucht verhindern oder sie möglichst frühzeitig behandeln wollen?
Das haben vier Wissenschaftlerinnen der Universität Heidelberg untersucht. Carolin Szász-Janocha, Sophie Kindt, Katharina Halasy und Katajun Lindenberg haben Forschungen dazu analysiert und Forschungsgruppen kontaktiert. So konnten sie den (inter-) nationalen Forschungsstand zu Prävention und Frühintervention bei internetbezogenen Störungen (= Fachbegriff für Internetsucht) zusammentragen.
Die Erkenntnisse aus dieser Übersichtsarbeit wollen wir für Dich in diesem Blogartikel zusammenfassen. Den vollständigen Bericht kannst Du hier nachlesen.
Was ist Prävention?
Das Bundesgesundheitsministerium definiert Prävention wie folgt: „Prävention ist im Gesundheitswesen ein Oberbegriff für zielgerichtete Maßnahmen und Aktivitäten, um Krankheiten oder gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden, das Risiko der Erkrankung zu verringern oder ihr Auftreten zu verzögern.“
Als Beispiele für Prävention von internetbezogenen Störungen ziehen die vier Wissenschaftlerinnen der Uni Heidelberg u.a. folgende Maßnahmen heran: Informationsvermittlung in Schulklassen, Medienbildung, kritische Reflexion des eigenen Mediengebrauchs, allgemeine Untersuchung der psychischen Gesundheit, Aufbau positiver Alternativen zur Mediennutzung usw.
Was ist Frühintervention?
„Frühintervention verfolgt das Ziel, als gefährdet erkannte Personen und deren Umfeld eine geeignete Unterstützung anzubieten (Begleitung, Beratung oder Behandlung). Das Ziel der Intervention ist sowohl die Förderung und Aktivierung der umfeldbezogenen und individuumsbezogenen Ressourcen als auch das Reduzieren von Risiken“, definiert der Fachverband Sucht.
Beispielhaft nennen die Heidelberger Wissenschaftlerinnen hier kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen und psycho-edukative Elemente wie Digital Detox.
Warum sind Prävention und Frühintervention bei Mediensucht wichtig?
Die Autorinnen der Übersichtsarbeit schätzen präventive und frühintervenierende Maßnahmen als überaus wichtig ein – für einzelne Betroffene ebenso wie auch für unsere Gesellschaft insgesamt: „Psychische und Verhaltensstörungen verursachen in Deutschland die zweithöchsten Kosten im Gesundheitssystem“ (S.262). Höhere Kosten, aber auch nur mit einem geringen Abstand, machen laut des Statistischen Bundesamtes nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus.
Die Wichtigkeit von Prävention und Frühintervention liegt jedoch nicht nur im Finanziellen begründet. „Die Verhinderung oder Verzögerung des Ausbruchs von internetbezogenen Störungen […] durch Prävention sowie die Verkürzung der Krankheitsdauer durch Frühintervention sind von hoher klinischer Relevanz, da sie die Lebensqualität verbessern und die Zahl an gesunden Lebensjahren in der Bevölkerung erhöhen“ (S. 261).
Außerdem verkürzt die „Früherkennung den Zeitraum zwischen Erkrankung und Behandlung und verbessert somit die Prognose. Zudem weisen Betroffene von internetbezogenen Störungen oft eine geringe Behandlungsmotivation auf und suchen nur selten eigenmotiviert Behandlungsangebote auf, was die Behandlung erschwert. Niedrigschwellige Präventions- und Frühinterventionsangebote ermöglichen hingegen einen frühen Zugang zur Behandlung für (potentiell) gefährdete Nutzer*innen und können somit einer Manifestierung der Störung entgegenwirken“ (S. 262).
Den großen Vorteil von Präventions- und Frühinterventionsmaßnahmen im schulischen Setting sehen die Autorinnen vor allem in der Erreichbarkeit ganzer Altersgrupen und potentiell auch der Eltern.
Wie wirksam sind Prävention und Frühintervention bei Mediensucht?
Bei substanzgebundenen Süchten haben sich präventive Maßnahmen bereits als sehr wirksam gezeigt, schreiben die Autorinnen. Auch bei substanzungebundenen Abhängigkeiten haben die Wissenschaftlerinnen in ihren Nachforschungen erste Hinweise auf eine positive Wirkung solcher Präventionsmaßnahmen entdeckt. Die betreffen aktuell zwar vor allem den Bereich Glücksspielsucht, ließen sich aber durchaus zumindest auf Computerspielsucht übertragen, so die Einschätzung der Autorinnen.
Im internationalen Raum gibt es dafür sogar schon Beispiele, wie die vier Heidelbergerinnen schreiben: In manchen ostasiatischen Ländern begrenzen „Shutdown“-Regelungen die Spieldauer, indem die Computerspiele in bestimmten Zeitfenstern (zum Beispiel nachts) nicht ausgeführt werden können. Und „Fatigue“-Systeme (von französch fatigué = müde) erschweren nach zu langer Spieldauer den Fortschritt im Spiel, sodass Spieler*innen erstmal eine Pause einlegen müssen, wenn sie weiterkommen wollen.
Von den zwölf Programmen in Deutschland, die von den Wissenschaftlerinnen untersucht wurden, wurden sieben auf die Veränderung der Symptome (also die Wirksamkeit) evaluiert. Allerdings wurden die meisten Evaluierungen nicht mit wissenschaftlichen Standards durchgeführt, was ihre Aussagekraft einschränkt. Drei Programme wurden wissenschaftlich hochwertig ausgewertet. Zwei von ihnen konnten eine positive Wirksamkeit auch 12 Monate nach dem Programm noch nachweisen.
Prävention und Frühintervention bei Mediensucht: Fazit
Prävention und Frühintervention sind wichtig – für einzelne Betroffene und für unsere Gesellschaft. Und sie scheinen – nach ersten Ergebnissen – auch wirksam zu sein. Wirksamkeitsstudien im Bereich Prävention und Frühintervention von internetbezogenen Störungen gibt es jedoch noch zu wenige, kritisieren die vier Wissenschaftlerinnen. Die Forschung hat bisher hautsächlich die Wirksamkeit von Angeboten für Menschen mit bereits stark ausgeprägten Krankheitsbildern fokussiert.
Das Fazit der vier Heidelbergerinnen lautet daher: „National und international bestehen diverse Bemühungen bei der Prävention und Frühintervention von internetbezogenen Störungen. Für einen weiteren Fortschritt in diesem Bereich sind qualitativ hochwertige Wirksamkeitsstudien sowie deren Publikation essentiell“ (S. 259).