Stell Dir vor, Du könntest nicht gut hören, sehen oder sprechen. Oder Du könntest Deine Hände nicht so schnell oder so filigran bewegen. Aber Du willst – wie Deine Freund*innen auch – gerne Videospiele spielen. Und zwar nicht nur solche, die extra für Menschen mit irgendwelchen Einschränkungen entwickelt wurden. Auch die ganz normalen und beliebten Spiele-Titel. Vielleicht sind viele davon Dir aber zu hektisch oder zu schwierig. Es wäre Doch toll, wenn Du ein Spiel einfach an Deine Fähigkeiten anpassen könntest, oder? Das medienpädagogische Projekt Gaming ohne Grenzen setzt sich genau dafür ein. Wir haben sie interviewt.
Gaming ohne Grenzen will Inklusion und Diversität fördern
Saskia: Das Projekt Gaming ohne Grenzen will Diversität und Inklusion in der Gaming-Community fördern. Was können wir uns unter diesen Begriffen vorstellen?
Gaming ohne Grenzen: Diversität heißt für uns, dass Unterschiedlichkeit als Bereicherung empfunden wird. Menschen sind ganz verschieden und genau das macht sie wertvoll. In unserem Projekt liegt der Fokus aber mehr auf Inklusion als auf Diversität. Das bedeutet, dass wir die Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Games-Bereich fördern wollen. Nichtsdestotrotz begrüßen wir auch die Teilhabe von allen Personengruppen, die bisher nicht viel oder gar nicht mitgedacht werden.
Inklusion im Bereich Gaming verbinden wir mit der Vision, dass jede Person mit ihren Besonderheiten ohne große Anpassungsleistungen teilhaben kann. Das bezieht sich nicht nur auf die Barrieren in Spielen, sondern auch auf die Barrieren in Köpfen. Eine gelungene Inklusion im Games-Bereich ist ziemlich umfangreich. Das bedeutet, dass alle Menschen unabhängig ihrer Fähigkeiten mitspielen können. Dazu bedarf es einer großen Auswahl von Einstellungsmöglichkeiten. Die Spiele sollten möglichst flexibel anpassbar sein.
Barrieren und Barrierefreiheit in Videospielen
Saskia: Wie ist es denn aktuell um Diversität und Inklusion in digitalen Spielwelten bestellt? Warum ist ein Projekt wie eures nötig?
Gaming ohne Grenzen: Wir haben schon das Gefühl, dass Inklusion immer mehr in den Fokus der Gamesbranche rückt. Allerdings gibt es noch viele Baustellen. Es ist wichtig, dass Menschen mit Einschränkungen direkt in den Entwicklungsprozess digitaler Spiele eingebunden werden, um Barrierefreiheit voranzubringen.
In unseren Spieletest-Gruppen wollen wir Inklusion leben und gemeinsam spielen. Dadurch kann unser Projekt herausfinden, welche Methoden und Maßnahmen dabei helfen, Inklusion im Games-Bereich überall zu fördern. Auch entdecken wir so Barrieren in Spielen, die auf Entwickler*innenseite vermieden werden können. Unsere Ergebnisse halten wir auf unserer barrierefreien Webseite fest und machen so Informationen zugänglich.
Menschen mit Behinderung werden in digitalen Spielen kaum bis gar nicht repräsentiert. Auch gibt es einige Negativbeispiele: In “Life is Strange” ist eine Hauptfigur nach einem Unfall querschnittsgelähmt. Im Spiel wird es so dargestellt, als hätte sie damit ihre Lebensqualität verloren. Diese Darstellung finden wir falsch und diskriminierend. Hier wünschen wir uns mehr Positivbeispiele wie z.B. in “Marvel’s Avengers” – die neue Heldin “Cerise” sitzt in einem sehr realistischen Rollstuhl und verfügt über Superkräfte. Behinderungen sollten normalisiert und keinesfalls als Minderung der Lebensqualität angesehen werden.
Inklusion: Ausschluss und Frustration bei Games
Saskia: Welche Risiken/Herausforderungen bergen digitale Spiele im Hinblick auf Inklusion und Diversität?
Gaming ohne Grenzen: Gerade beliebte Spiele, die aber wenig zugänglich sind, bieten hier eine besondere Herausforderung. Indem Menschen aufgrund ihrer Behinderung davon ausgeschlossen werden, gemeinsam zu spielen, führt das zum einen zu Frustration. Aber auch zu einer sozialen Exklusion, da sie zum Beispiel im Anschluss nicht mitreden können oder einfach nicht Teil des Gruppen-Erlebnisses sind. Dies steht als exemplarisches Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Inklusion auch im Freizeitbereich möglich zu machen.
Wir wünschen uns mehr Transparenz darüber, inwiefern Entwickler*innen-Studios Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben. Ein sichtbares Netzwerk, wo Menschen mit verschiedenen Behinderungen in Kontakt treten können, wäre ein guter Schritt. So könnten Spiele langfristig barrierefreier entwickelt werden.
Computerspiele als Chance für Inklusion
Saskia: … und welche Chancen bieten sie?
Gaming ohne Grenzen: Gaming verbindet! Spielende bleiben über Games teilweise über Jahre hinweg in Kontakt. In den interaktiven Räumen haben Menschen einen Zugang zu Erlebnissen und Handlungen, die ihnen aufgrund einer Einschränkung sonst nicht möglich wären. Wenn verschiedene Möglichkeiten und Perspektiven in digitalen Medien ausreichend berücksichtigt werden, öffnet sich ein wichtiger Lebensraum für mehr Menschen und es wird möglich, ungeachtet sichtbarer Unterschiede in Kontakt zu treten. Wir haben die Hoffnung, dass Repräsentation von Vielfalt in digitalen Spielen dabei hilft, Berührungsängste abzubauen und Verschiedenheit zu normalisieren.
Digitale Spiele sind ein audiovisuelles Medium, welches schon von Natur aus einige Barrieren für Menschen mit Hör- oder Seh-Einschränkungen birgt. Lange war es nicht denkbar, dass Gamer*innen mit Behinderungen ebenfalls Spaß an herkömmlichen Videospielen haben könnten. Mit den passenden Einstellungsmöglichkeiten muss aber niemand ausgeschlossen werden.
So können beispielsweise Menschen mit einer Höreinschränkung und Taubheit ebensogut Story-Games spielen, wenn sie Untertitel anbieten. Es gibt auch schon Spiele für Menschen mit Blindheit oder starker Seheinschränkung. Da werden dann alle Infos über Ton und Sprache wiedergegeben, was dem Spaßfaktor und der Spannung keinen Abbruch tut. Auch im Bereich der Motorik gibt es bereits viele Einstellungsmöglichkeiten in Games und unterstützende Technologien, die anpassbar auf individuelle Bedürfnisse oder Vorlieben sind.
Gaming ohne Grenzen: Spiele auf Barrierefreiheit testen
Saskia: Mit welchen Methoden möchtet ihr die derzeitige Situation verbessern? Und wer kann mitmachen?
Gaming ohne Grenzen: Unser Projekt Gaming ohne Grenzen möchte herausfinden, welche digitalen Spiele mit verschiedenen Einschränkungen spielbar sind, welche Hürden vermeidbar sind oder mit Hilfe von Technologien überwindbar werden. Dazu testet das medienpädagogische Team gemeinsam mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in fünf wöchentlich stattfindenden inklusiven Spieletest-Gruppen im Raum Köln und Umgebung verschiedene Spiele, Konsolen und assistive Technologien.
Mitmachen können Jugendliche mit und ohne Behinderung von 12-27 Jahren. In unseren Gruppen kann jede*r ungeachtet etwaiger Behinderungen oder Einschränkungen mitspielen. Wir simulieren beispielsweise auch Einschränkungen und erhoffen uns durch solche Perspektivenwechsel mehr Empathie untereinander zu fördern. Wichtig ist uns vor allem, dass alle Teilnehmer*innen gemeinsam spielen. Wir bieten einen geschützten Raum, in dem Erfahrungen gemacht und Spaß gehabt werden kann.
Standorte sind die Kölner Stadtteile Mülheim, Deutz und Porz sowie Bergisch Gladbach. Mehr Infos gibt es auf der Gruppen-Seite des Projekts. Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität gibt es die Möglichkeit, einen Fahrdienst zur Abholung zu organisieren.
Die Ergebnisse der Tests werden auf der barrierefreien Projekt-Website festgehalten, die im deutschsprachigen Raum bisher einzigartig ist.
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