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Controller für eine Spielekonsole

Foto: Adam Valstar/Unsplash

Gaming: Spielend Lernen für Jung und Alt

18 Juli 2019

Lesezeit 8 Minuten

Jana Timme (30) hat Soziale Arbeit / Sozialpädagogik in Düsseldorf studiert. Privat spielt sie leidenschaftlich Videospiele. Bereits während ihres Studiums hat sie diese Bereiche ihres Lebens miteinander verknüpft. So spielten bei ihren Studien-Schwerpunkten digitale Medien und Kulturarbeit sowie die Gaming-Kultur oft eine tragende Rolle.

Auch in der Berufspraxis bringt sie beides zusammen. Daraus entstehen eindrucksvolle Lötarbeiten, spannende Workshops und berührende Geschichten. Im kommenden Semester hat Jana außerdem einen Lehrauftrag an der Hochschule Düsseldorf zum Thema digitale Sozialarbeit. Unsere Online-Redakteurin Saskia Rößner hat die Sozialpädagogin zu den Themen Gaming und Gamification interviewt.

Videospiele in sozialen Einrichtungen?

Saskia: Jana, du setzt Videospiele bei deiner Arbeit in sozialen Einrichtungen ein. Was genau können wir uns darunter vorstellen?

Jana: Es geht mir darum, Videospiele sinnvoll in meine Arbeit zu integrieren und auf die Lebenswelt der Menschen einzugehen, mit denen ich zusammenarbeite. Oft wird der Fokus leider eher auf die negativen Aspekte von Videospielen gelegt und Potentiale (z.B. im Bereich Inklusion) übersehen.

Selbst gebaute Druck-Knöpfe und Taster von Jana Timme

Foto: Jana Timme

Ich biete Workshops für Kinder und Jugendliche an, in denen es darum geht, sich genauer mit dem Medium digitale Spiele auseinanderzusetzen und Medienkompetenz und soziales Verhalten zu fördern. Spiele sind aber nicht nur etwas für junge Menschen, auch Ältere finden daran Gefallen, wenn sie einen emotionalen Bezug herstellen können. So habe ich etwa zusammen mit meinen Kolleg*innen in einem Altenzentrum ein Gaming- und Virtual-Reality-Angebot aufgebaut. Das war nicht immer so einfach, da viele der Bewohner*innen vorher noch nie mit digitalen Medien in Berührung gekommen sind. Da gab es einige spannende Herausforderungen, zum Beispiel wenn es um das Steuern von Spielfiguren ging.

Saskia: Du baust auch selbst Controller. Was hat es damit auf sich?

Jana: Ich baue nicht direkt eigene Controller, sondern benutze verschiedene Bauteile zum Anschluss an den XBox Adaptive Controller. Der wurde letztes Jahr im September von Microsoft auf den Markt gebracht. Das Besondere an dem Controller ist, dass man für jede einzelne Taste, die es auf einem normalen Controller gibt, etwas anderes anschließen kann, beispielsweise einen Drucktaster oder einen Joystick. Diese Taster kann man beliebig mit bestimmten Funktionen verknüpfen, zum Beispiel Laufen (links/rechts) oder Springen.

Da die Taster so groß sind, können Menschen, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, sie leichter bedienen als die kleinen Knöpfe an herkömmlichen Controllern oder auf einer Computertastatur. Spezielle Controller können leider relativ teuer sein. Menschen, die beispielsweise mit einer Behinderung leben, sind häufiger von Armut betroffen und können sich das nicht immer leisten. So ein Druck-Taster lässt sich mit ein bisschen Löten aber ganz einfach selbst bauen. Zum Beispiel aus Fahrradgriffen, Druckknöpfen und einem Kabel mit passendem Anschluss – so baue ich mir meine eigenen Steuerungsmöglichkeiten.

Kabel, Knöpfe und Löt-Equipment auf einem Tisch

Foto: Jana Timme

Kann Gaming soziale Kompetenzen fördern?

Saskia: Deine selbst gebauten Taster kommen auch in Workshops für Kinder und Jugendliche zum Einsatz. Wie sieht das aus?

Jana: Ich habe für meine Workshops mehrere solcher Taster zusammengelötet. Bei mir wird meistens miteinander statt gegeneinander gespielt. Da müssen dann mehrere Kinder gleichzeitig eine Figur steuern: Eines läuft, eines springt und eines bewegt die Kamera – zum Beispiel. Ich leite sie zwar an und erkläre, wie das Spiel funktioniert, aber danach ziehe ich mich zurück und lasse die Teilnehmenden machen.

Es ist interessant, was da für eine Kommunikation abläuft, wie sie sich gegenseitig absprechen. Wie schaffen wir es, gemeinsam ans Ziel zu kommen? Das Erfolgserlebnis danach ist dann umso schöner. Zusammenarbeit, Teamwork, Konfliktmanagement – in meinen Workshops geht es mir vor allem um die Förderung sozialer Kompetenzen.

Kann Gaming kognitive Fähigkeiten fördern?

Saskia: Erzähl uns bitte auch noch ein bisschen aus Deiner praktischen Arbeit mit älteren Menschen. Was machst Du mit ihnen und was bewirken Videospiele bei ihnen?

Jana: Im Altenpflegezentrum haben wir zum Beispiel Biografie-Arbeit mit Virtual Reality (VR) und Google Earth gemacht. Mit Google Earth können wir uns Fotos von Straßen und Orten ansehen. Mit der VR-Brille stehen wir dann mittendrin. So können wir virtuell an viele Orte reisen, obwohl wir eigentlich in einem Kölner Altenzentrum am Rhein sitzen.

Eine Bewohnerin wollte zum Beispiel den Eiffelturm in Paris sehen, weil sie daran schöne Erinnerungen hat. Auch der Kölner Dom war ein beliebtes Ziel. Man kommt mit den Bewohner*innen ins Gespräch während man sie auf ihrer virtuellen Reise begleitet. Eine Bewohnerin hat so ihren alten Wohnort besucht und erzählte von früher und was sich seitdem alles so verändert hat. Dort war mal ein Kiosk, da mal eine alte Kneipe. So werden kognitive Fähigkeiten trainiert.

Bewohner*innen eines Altenzentrums spielen mit Janas Drucktastern

Foto: Jana Timme

Mit einem technik-interessierten Bewohner des Altenpflegezentrums sind wir zusammen Autorennen gefahren. Das erste Mal war noch sehr holprig. Ein Ehrenamtler hat dann ein bis zwei Mal pro Woche mit ihm zusammen gespielt. Auch Simulationsspiele, beispielsweise Fliegen oder Zugfahren, haben ihm große Freude bereitet. Als ich einige Zeit später nochmal mit ihm gespielt habe, war ich verblüfft, wie fit er im Umgang mit Spiel und Controller geworden ist.

Viele dieser digitalen Angebote könnte man dabei durchaus als gamifiziert bezeichnen. Das Konzept von Gamification könnte grundsätzlich in bestimmten sozialen Bereichen zielgruppenorientiert umgesetzt beziehungsweise eingesetzt werden.

Was ist Gamification?

Saskia: Jana, erklär uns doch bitte einmal, was Gamification überhaupt ist.

Jana: Gamification bezeichnet den bewussten Einsatz von typischen Videospielelementen in spielfremden Umgebungen, zum Beispiel im Schulunterricht oder in der Reha. Im Grundsatz geht es dabei um die Förderung von Motivation.

Dabei können verschiedene Spielelemente eingesetzt werden, beispielsweise ein Levelsystem, Belohnungen, Highscores oder Leaderboards. Erledigt man Aufgaben, steigt man Level auf und erhält Belohnungen. Wichtig sind dabei unter anderem positive Rückmeldungen, klare Spielregeln und eine freiwillige Teilnahme. Beispiele dafür sind z.B. Duolingo oder Classcraft.

Ist Gamification auf jede Zielgruppe anwendbar?

Saskia: Du arbeitest mit Kindern und Jugendlichen sowie mit älteren Menschen. Für welche Zielgruppen ist Gamification denn prinzipiell geeignet?

Jana: Theoretisch für alle. Der Spieltrieb steckt in jedem von uns. Die Workshop-Leitung muss allerdings gut recherchieren. Dazu gehört auch, seine Zielgruppe gut zu kennen. Vieles hängt davon ab, welche Spielerfahrungen die jeweiligen Personen gemacht haben. So gibt es zum Beispiel auch verschiedene Spieltypen. Es spielt zum Beispiel nicht jede*r gerne kompetitiv. Die Aufgabe wäre es dann, mein Gamification Konzept so individuell anzupassen, dass die jeweilige Zielgruppe es auch annehmen kann.

Bei mir geht es speziell um den Einsatz von Videospielen zu bestimmten Themen und Zwecken. Ich muss mir also kein neues Spiel ausdenken. Ich bette es stattdessen möglichst sinnvoll in meine Arbeit ein. Dabei kann es natürlich sein, dass ich auf Personen treffe, die Videospiele von vornherein ablehnen. Da muss ich dann auf andere Medien zurückgreifen.

Kinder spielen mit dem XBox Adaptive Controller

Foto: Jana Timme

Saskia: Wie viel Arbeit steckt dahinter? Spielen klingt ja erstmal ganz einfach.

Jana: Um Gamification erfolgreich anzuwenden, muss man nicht leidenschaftlich Videospiele zocken. Man sollte viel eher dem Thema gegenüber offen sein und bereit sein, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Gamification umzusetzen, ist nicht so einfach, wie es vielleicht klingt. Dazu braucht es mehr als einfach nur ein paar Spielelemente in vorhandene Abläufe zu integrieren. Es erfordert viel Zeit, Recherche, Vorbereitung und ein gutes Design um Gamification erfolgreich einzusetzen. Mit erfolgreich ist dabei gemeint, dass es bei den Teilnehmenden positive Entwicklungen bewirkt.

Saskia: Siehst Du einen Zusammenhang zwischen Computerspielsucht und Gamification?

Jana: Es gibt bei dem Einsatz von Gamification durchaus Elemente (zum Beispiel Levelsysteme und Belohnungen), die dazu beitragen, dass Videospiele ein erhöhtes Suchtpotential aufweisen können. Bevor man sich also entscheidet, Gamification gezielt einzusetzen, ist es deswegen wichtig, sich bewusst zu machen, zu welchen Methoden man greift und was diese bewirken können. Man sollte sich zunächst intensiv mit dem Medium, das man einsetzen möchte, und seinen potentiellen Risiken auseinandersetzen.

Bietet Gaming/Gamification eine Chance für Inklusion?

Saskia: Welche Chancen siehst du im Bereich Inklusion durch Gaming und Gamification?

Jana: Digitale Medien, also auch Videospiele, bieten große Möglichkeiten für gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe. Insgesamt sehe ich die größten Chancen von Gamification im sozialen und im Bildungsbereich, vor allem auch für Menschen mit Behinderung. So könnten zum Beispiel in der Arbeitswelt Arbeitsabläufe attraktiver gestaltet und individuell auf spielerischer Ebene angepasst werden. Auch wenn es nur langsam voran geht, sind wir – glaube ich – mittlerweile auf einem ganz guten Weg zu digitaler Inklusion. Es gibt aber auf jeden Fall noch viel zu tun und viel zu lernen.

Saskia: Jana, du hast uns unglaublich interessante Einblicke in Deine Arbeit mit Videospielen gezeigt. Wir möchten Dir danken, dass Du Dir dafür die Zeit genommen hast, und wünschen Dir viel Erfolg für Deinen Lehrauftrag und Deine nächsten Workshops.

Wenn Du mehr zu Jana Timmes Arbeit erfahren möchtest, kannst Du sie auf Twitter oder Instagram (@tea_punkt) besuchen.

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