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Ein Weg führt durch einen Wald mit dichtem Nebel.

Mobbing, Computerspiele und Freundschaft

29 August 2018

Ich bin 1966 geboren. Als Kind war ich sehr in mich gekehrt, konnte mich wunderbar mit mir selbst beschäftigen und habe früh angefangen zu lesen. In der Realschule war ich der Prügelknabe und die Klassenkasper haben mich bloßgestellt, verprügelt usw. Es gab keine Hilfe von den Lehrern. Das war damals in den 1970ern schon so. Die anderen haben Feten im Keller gefeiert. Ich war NIE eingeladen. Nie. Ich war immer der Außenseiter. Der Höhepunkt war, dass mich mal zwei Mann am Laternenpfahl festgehalten haben…. und jeder durfte mir mal in den Magen, ins Gesicht oder in das Gemächt hauen oder treten.

Eines Tages habe ich einen Computerkurs bei der Volkshochschule gemacht. Zusammen mit dem Kursleiter und einem Freund habe ich dann eine Computer-AG im Jugendzentrum gegründet und geleitet. Diese Freundschaft hält noch immer und er war auch mein Trauzeuge.

Ich habe viel gelesen, bin in meine Traumwelten eingetaucht. Und ich habe extrem viele Computerspiele gespielt. Konnte dort ein Held sein. In den Spielen war ich jemand. Und die Erfolge wurden halt in Kills und Punkten angezeigt. Ich bin vor der Realität geflohen. Dort konnte ich auch mal die anderen verprügeln usw. Ich habe auch viele EGO-Shooter gespielt. Sehr viele EGO-Shooter. Im Nachhinein habe ich mich damals nie den Problemen wirklich gestellt. Ich war feige. Und Feigheit und Angst sind keine guten Ratgeber.

Es ging so weit, dass ich im Urlaub Entzugserscheinungen bekommen habe. Ich habe dann hinterher 24 Stunden am Stück gespielt. Meine Eltern konnten nichts machen. Als dann noch mein Klassenlehrer gesagt hat: „Den auf eine weiterbildende Schule schicken, ist Perlen vor die Säue werfen. Der soll Handwerker werden und fertig“…da war ich kurz davor mir das Leben zu nehmen. Da ich so in mich gekehrt war, habe ich alles runtergeschluckt und auch meine Eltern nicht an mich ran gelassen. Auch meine Mutti nicht, die ich sehr verehre. Da hat mich mein Vater das EINZIGE MAL im Leben zur Seite genommen. Wir sind in den Wald gefahren und haben geredet.

Im Jugendzentrum haben wir auch viele Lan-Parties gemacht. Netzwerke aufgebaut und auch schon mal ein Wochenende durchgezockt. War cool. Tja, und dann wurde im Jugendzentrum eingebrochen. Unser ganzes Computerequipment war weg und es gab kein Neues, weil die Stadt kein Geld hatte. Da hatte mein Freund die Idee mit einer Jonglier- und Akrobatikgruppe. Ich habe damals Bodybuilding gemacht und war natürlich gut als Untermann bei der Akrobatik. Das war auch eine tolle Zeit. Wir haben mit der Gruppe bei Festen im Jugendzentrum Auftritte gehabt. Dort habe ich auch erfahren, was Zusammenhalt bedeutet; wie wichtig Freunde sind, die einen verstehen, die auf dich zählen und dir vertrauen. Schließlich waren die ja auf meinem Rücken unterwegs.

Dann bin ich zum Schreiben gekommen. Nur für mich. Später habe ich auch einen Schreibworkshop in der VHS besucht und dort eine Frau kennen gelernt. Wir waren nie ein Paar, aber sind noch bis heute sehr gut befreundet. Dann haben wir einen Schreibclub gegründet und uns jede Woche einmal getroffen, später einmal im Monat, habe dort auch meine Lebensgefährtin kennen gelernt und fünf Jahre mit ihr zusammen gelebt. Tja, und dann war Schluss. Das war wieder ein Tiefschlag. Aber das kennt ja jeder, der schon mal eine Trennung verarbeiten musste. Da bin ich zurück in das alte Muster gefallen und habe wieder nächtelang gespielt. Danach hat mir meine gute Freundin gesagt: „Jetzt komm mal aus deinem Tal raus!“ und wir haben zusammen eine Tanzschule besucht. Bis Silber sind wir gekommen. Alles gut.

Wenn ich das jetzt so Revue passieren lasse, habe ich es durch Ablenkung und durch Bestätigung von außerhalb des Computers geschafft, insbesondere durch Freunde.

Ich bin selbst aus der Scheiße wieder raus. Ich habe gelernt, mich weiter gebildet und habe was aus mir gemacht. Spielen tue ich immer noch gerne. Aber nicht mehr so wie früher. Überhaupt nicht. Es gab auch eine Phase, in der ich gar nicht mehr gezockt habe. Und wenn jetzt, dann ruhige Wimmelbildspiele oder Abenteuer.

Ich bin über die Sache komplett hinweg und bin glücklich verheiratet. Nach 25 Jahren hatten wir ein Klassentreffen. Dort habe ich alle wieder gesehen… und der Klassenkasper hat gleich gesagt: „Christian, ich weiß wo der nächste Laternenpfahl steht.“ Keiner hat gelacht. Sie sind zu mir hingekommen und haben sich entschuldigt. Haben mir gesagt, dass sie nie damit gerechnet hätten, dass ich komme. Nur wenige haben etwas aus sich gemacht. Mein Klassenlehrer war verblüfft. Das war der Punkt, an dem ich mit dem Thema Schule und Vergangenheit abgeschlossen habe. Es tut nicht mehr weh.

Meine Geschichte zeigt, dass es Computerspielesucht schon immer gab. Es ist keine Erscheinung der Neuzeit. Ich möchte damit den Lesern und Leserinnen Mut machen. Nehmt euer Leben selbst in die Hand. Löst eure Probleme. Nehmt Hilfe in Anspruch, da gibt es heute mehr Möglichkeiten, als ich sie damals hatte. Ihr seid stärker als ihr denkt. Ich glaube an euch.


Wenn auch Du Deine Geschichte, Deine Erfahrungen mit uns und anderen teilen magst, würden wir uns sehr freuen. Wähle Deinen eigenen Weg, wie Du die Geschichte erzählen möchtest und wie viel Du von Dir persönlich preisgeben magst. Wir beraten Dich auch gerne dabei. Melde Dich einfach per Mail.

Vier Menschen stehen an einer Wand und gucken alle in ihr Smartphone. Einfach komplizierte Kommunikation via WhatsApp & Co Auf einem Tisch liegt ein Harry Potter Roman, daneben eine Uhr, ein bisschen Kleingeld und ein Smartphone mit dem Mobile Game Hogwarts Mystery. "Hogwarts Mystery" - Das Mysterium Zeit und Kosten bei "Mobile Games"
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