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Handy-Bildschirm zeigt einen Casino-Raum

Bild: Youssef Sarhan / Unsplash.com (Handy) + stokpic / Pixabay.com (Casino)

Das Smartphone, Online-Glücksspiel und Spielsucht

05 August 2021

Lesezeit 7 Minuten

Glücksspiel gibt es längst nicht mehr nur in Kasinos und Spielhallen. Durch Internet-Plattformen und Handy-Apps sind Angebote inzwischen immer und überall verfügbar. Online-Glücksspiel bringt aus Sicht von Spieler*innen- und Jugendschutz einige Probleme mit sich. Wir haben Helga Lack, Fachberaterin für Glücksspielsucht im Suchthilfezentrum Darmstadt, dazu interviewt.

Helga Lack ist Sozialarbeiterin und systemische Beraterin. Im Rahmen des Hessischen Landesprojekts für Glücksspielsuchtprävention und -beratung ist das Suchthilfezentrum Darmstadt für die Versorgung der Stadt Darmstadt und der Landkreise Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau zuständig. Hier werden glücksspielsüchtige Menschen und ihre Angehörige beraten sowie ambulante Suchtbehandlungen durchgeführt. Frau Lack führt außerdem Informationsveranstaltungen und Fachvorträge über Glücksspielsucht durch, um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

Glücksspiel: Sozial, problematisch, pathologisch

Saskia Rößner: Frau Lack, wie viele Menschen in Hessen und insgesamt in Deutschland sind denn glücksspielsüchtig?

Helga Lack: Bei der Entwicklung einer Glücksspielsucht wird zwischen drei Stadien unterschieden: das soziale Spielen, das problematische Spielen und das pathologische Spielen. Das soziale Spielen dient dem Vergnügen und geschieht in Gesellschaft. Aus Suchtperspektive ist diese Phase noch unproblematisch und nicht behandlungsbedürftig. Die erste Steigerung tritt häufig nach dem ersten größeren Gewinn ein. Es wird häufiger gespielt und andere Interessen treten zurück. Es entsteht ein Druck, das verlorene Geld wieder reinzuholen. Manchmal kommt es hier auch schon zur Aufnahme von Schulden. Das bezeichnen wir als problematisches Spielen.

Pathologisch wird es, wenn die Kontrolle über Spielbeginn, Spielhäufigkeit und Einsatzhöhe verloren geht. Dann ist der Geldbeschaffungsdruck so hoch, dass Betroffene mitunter kriminell werden. Familien können zerbrechen, viele Betroffene werden psychisch krank, vor allem depressiv. Der Anteil der Menschen, die an Suizid denken, ist bei Glücksspielsucht deutlich höher als bei anderen Suchterkrankungen. Das liegt daran, dass die existenzielle Not häufig so groß ist. Die Schulden sind immens, bei meinen Klient*innen im Schnitt 20.000 bis 30.000 Euro, es ging aber auch schon bis 800.000 Euro.

Vier Asse

Foto: Jesus Eca / Unsplash.com

In Deutschland gibt es insgesamt 429.000 problematisch und pathologisch Spielende. Das lässt sich auf Hessen herunterrechnen, sodass wir hier von etwa 16.800 problematischen und 14.700 pathologische Spielenden ausgehen können. Die Zahlen sind aus dem Jahrbuch Sucht 2020 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen.

Immer mehr Menschen abhängig von Sportwetten und Online-Glücksspiel

Saskia Rößner: Sind die Zahlen in den letzten Jahren merklich gestiegen? Welchen Einfluss könnte die Covid19-Pandemie haben?

Helga Lack: Eine aussagekräftige Steigerung der Zahlen konnten wir nicht beobachten, sehr wohl aber eine Verschiebung der Spielform. Vor einigen Jahren waren noch 80 Prozent unserer Klient*innen abhängig von Spielautomaten in Spielhallen. Schon vor der Corona-Pandemie hat sich ein Wandel abgezeichnet, der durch die Lockdowns noch einmal befeuert wurde. Inzwischen sind es nur noch etwa 70 Prozent, die von Automaten abhängig sind. Dafür kommt es zu immer mehr Suchtproblemen bei Sportwetten und Online-Glücksspiel.

Interessant ist, dass die Glücksspielindustrie stetig steigende Gewinne einfährt – trotz der Lockdowns und trotz gleichbleibender Anzahl der Glücksspielabhängigen. Wie das möglich ist, kann ich nicht sagen. Hierzu würde ich mir Untersuchungen und Studien wünschen.

Suchttherapie während der Pandemie erschwert

Saskia Rößner: Beeinflusst die Pandemie auch die Bereitschaft zur und Möglichkeit einer Suchttherapie?

Helga Lack: Einige Spielende haben diese Gelegenheit vielleicht genutzt, um auszusteigen. Manche spielen einfach online weiter, manche machen womöglich eine Therapie, andere denken sich, das Problem hätte sich mit dem Wegfall der terrestrischen Angebote erledigt. Eine Suchterkrankung verschwindet jedoch nicht einfach so. Sucht hat ganz viel mit Gewohnheit zu tun. Wir nennen das auch Suchtgedächtnis. Das Gehirn kann trotz einer langen Pause immer noch durch kleinste Spielhandlungen getriggert werden.

Würfel

Foto: Erik McLean / Unsplash.com

Auch wer sich dazu entschieden hat, die Schließung der Spielhallen als Chance zu einer Therapie zu nutzen, hatte es nicht leicht. Die Behandlung einer Suchterkrankung ist unter Lockdown-Bedingungen erschwert gewesen, weil viele alternative Freizeitaktivitäten nicht möglich waren. Manche werden den Ausstieg sicherlich schaffen, einige werden aber auch mit Rückfälligkeit zu kämpfen haben.

Online-Glücksspiele sind besonders riskant

Saskia Rößner: Vor dem Hintergrund, dass viele Menschen online weiterspielen: Warum ist Online-Glücksspiel in vielerlei Hinsicht riskanter als terrestrische Angebote?

Helga Lack: Zum einen geht der Bezug zum Geld durch die Online-Bezahlmöglichkeiten verloren. In der Spielhalle ist mein Geldbeutel irgendwann leer, dann muss ich erst neues Geld holen, womöglich erst noch bis zur nächsten Bank laufen. Online geschieht das alles mit ein paar Klicks, ohne einen Schein oder eine Münze in der Hand gehabt zu haben. Zudem gibt es zig verschiedene Zahlungsanbieter*innen. Man verliert schnell den Überblick, wie viel Geld man ausgibt.

Auch die soziale Kontrolle fehlt, wenn man zuhause allein am Handy oder PC spielt. Es sind keine Menschen um mich herum, die sich darüber wundern, warum ich seit Stunden auf diesen Bildschirm starre. Niemand spricht mich auf mein Verhalten an und fragt, ob alles ok ist.

Die Verfügbarkeit ist ebenfalls entscheidend. Durch das Smartphone ist das Glücksspiel immer und überall mit dabei. Auch im Home-Office sind die Glücksspielseiten nur einen Klick weit entfernt. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ich mich erst abends nach Feierabend und vielleicht noch bei schlechtem Wetter bis zur nächsten Spielhalle begeben muss.

Saskia Rößner: Das Smartphone spielt ihrer Einschätzung nach also eine wichtige Rolle, wenn es um das Risiko einer Glücksspielsucht geht?

Helga Lack: Ja, nicht nur das Argument der Verfügbarkeit greift hier. Auch der Jugendschutz gestaltet sich schwierig. Das Smartphone ist in der Regel das erste internetfähige Gerät, das Kinder oder Jugendliche besitzen. Es gibt kein Werbeverbot für Online-Glücksspiel und Online-Sportwetten, im Gegenteil: Die sozialen Medien sind voll davon. Und nicht nur die: Auch in Games, die für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren freigegeben sind, taucht Glückspiel inzwischen in unterschiedlichen Formen auf.

Schriftzug "Gambling"

Foto: Stephane Mingot / Unsplash.com

Lootboxen: Vermischung von Glücksspiel und Gaming

Saskia Rößner: Nicht nur Casino-Spiele, Spielautomaten und Sportwetten gehören also zum Glücksspiel. Auch in vielen Computerspielen und Spiele-Apps gibt es glücksspielähnliche Elemente. Können Sie hier denn ebenfalls schon problematisches Nutzungsverhalten beobachten?

Helga Lack: Die Vermischung von Glücksspiel und Gaming ist definitiv ein Risikofaktor. Glücksspielähnliche Elemente in Videospielen, wie diverse In-App-Käufe oder Lootboxen, geben dem Ganzen einen harmlosen Anschein. Ein Klient von uns hat beispielsweise erzählt, dass er rund 200 Euro täglich für In-App-Käufe ausgibt. Solche Summen führen schnell zu Verschuldung und anderen schlimmen Folgen.

In der Diagnose und Behandlung wird jedoch zwischen Glücksspielsucht und Computerspielsucht (Gaming Disorder) unterschieden. In unserer Beratungsstelle treffen wir beides an und die Kliniken, an die wir Betroffene vermitteln, behandeln in der Regel auch beides. Es gibt zwischen den Krankheitsbildern ja auch durchaus Überschneidungen, aber eben auch viele Unterschiede. Daher unterscheiden sich auch die Therapiekonzepte. Bei glücksspielabhängigen Menschen sind der verantwortliche Umgang mit Geld und der Schuldenabbau sehr wichtige Themen in der Therapie, aber auch die Bearbeitung auslösender Probleme, der Aufbau von gesunden Bewältigungsstrategien und Beziehungen sowie das Erlernen eines guten Umgangs mit (negativen) Gefühlen.

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