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Dozent hinter einem Tisch voll Bücher. Im Hintergrund eine Tafel mit vielen Formeln.

Foto: Alexas_Fotos/pixabay

Mediensucht im Jugendalter: Aktueller Forschungsstand

26 September 2019

Am 23. September fand im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf eine Fachtagung des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) statt. Thema war an diesem Tag der aktuelle Forschungsstand zum problematischen Mediengebrauch im Jugendalter. Aber auch Kinder und junge Erwachsene wurden beleuchtet. Unsere Mitarbeiterin Saskia Rößner hat an der Tagung teilgenommen und fasst für Dich die wichtigsten Aussagen zusammen.

Wie viele Kinder und Jugendliche sind von Onlinesucht betroffen?

Prof. Dr. Lutz Wartberg von der Medical School Hamburg hat zunächst das Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen generell anhand verschiedener Studien (u.a. KIM 2018 und JIM 2018) vorgestellt. Kurz und knapp: Die tägliche Onlinezeit steigt seit Jahren an.

Uns interessiert aber insbesondere die Häufigkeit von problematischem oder pathologischen (=krankhaften) Internetkonsum. Die dazu von Prof. Dr. Wartberg vorgestellten Studien (PINTA 2011, EXIF 2015, DAK 2015 + 2017) sind leider meist schon etwas älter.

Die PINTA-Studie geht von 4,0 Prozent der 14- bis 17-Jährigen aus, deren Onlinenutzung zumindest problematisch ist (2,4 Prozent der 14- bis 24-Jährigen). 3,2 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren sind laut EXIF-Studie betroffen. Bei den Jugendlichen von 12 bis 17 sind es nach der DAK-Gesundheitsstudie von 2015 sogar 4,7 Prozent. Insgesamt kann man also von 3-5 Prozent aller Jugendlichen ausgehen.

Mädchen sitzt alleine am Fenster mit Handy in der Hand

Foto: nastya_gepp/pixabay

Im Jahr 2017 hat der DAK-Gesundheitsreport zwischen problematischem Computerspielen (Internet Gaming Disorder) und der problematischen Nutzung sozialer Medien unterschieden. Beim Gaming waren 3,5 Prozent der Studienteilnehmer*innen betroffen, bei Social Media 2,6 Prozent, wie Prof. Dr. Wartberg zeigte.

Junior-Professorin Dr. Katajun Lindenberg von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg hat darauf hingewiesen, dass die Häufigkeit von internetbezogenen Störungen zwischen dem 11. und 21. Lebensjahr immer weiter ansteigt, danach fällt die Anzahl wieder ab.

Was passiert bei einer Internetsucht in unserem Gehirn?

Prof. Dr. Matthias Brand von der Universität Duisburg-Essen hat bildlich dargestellt, was es für unser Gehirn heißt, süchtig zu werden. Im Gehirn gibt es verschiedene Bereiche (Areale). Es gibt beispielsweise ein Areal für Vernunft/rationales Denken. Dieser Bereich heißt Präfrontaler Cortex (PFC). Das lymbische System (LS) hingegen ist für Emotionen/Gefühle verantwortlich.

Bei jedem Menschen streiten sich der PFC und das LS hin und wieder, das ist ganz normal. Der PFC sagt: „Es wäre vernünftiger, das jetzt nicht zu tun. Du musst Wichtigeres erledigen.“ Das LS sagt: „Ich will aber viel lieber das hier machen, das macht viel mehr Spaß.“ Das kennst Du vielleicht vom Lernen für die Schule/Uni, vom Sport oder vom Haushalt.

Gehirn mit Blitzen

Bild: TheDigitalArtist/Pixabay

Bei der Entwicklung einer Sucht gewinnt das LS immer häufiger und der PCF muss sich geschlagen geben. Der PFC wird sogar immer schwächer. Das Gehirn empfindet den Gewinn des LS als Belohnung (=positives Gefühl), mögliche negative Folgen werden (erstmal) verdrängt. Irgendwann kann aus der Suche nach Belohnungen dann ein zwanghaftes Verhalten (=Abhängigkeit) werden, bei dem auch noch andere Bereiche im Gehirn eine Rolle spielen können.

Sucht zu verstehen, ist wichtig für Prävention und Therapie

Das ist zwar eine stark vereinfachte Erklärung, aber dafür gut verständlich. Prof. Dr. Brand hat betont, wie wichtig es für Forscher*innen und Therapeut*innen ist, ein bestimmtes Suchtverhalten zu entschlüsseln und zu verstehen. Denn nur so können wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung (=Prävention) und Behandlung (=Therapie) entwickelt werden.

Prof. Dr. Brand hat außerdem klargestellt, dass eine Sucht nicht einfach so entsteht. Es gibt Risikofaktoren, die einen anfälliger für eine Suchterkrankung machen. Dazu zählen zum Beispiel schlimme Erfahrungen in der Kindheit, psychische Vorerkrankungen oder bestimmte Charaktereigenschaften. Das heißt jedoch nicht, dass diese Menschen in ihrem Leben auf jeden Fall an einer Sucht erkranken werden. Aber ihr Risiko ist höher als bei anderen Menschen.

Dr. Lindenberg hat beispielsweise in einer Studie herausgefunden, dass fast zwei Drittel der Jugendlichen, die eine problematische Internetnutzung aufweisen, noch andere Symptome zeigen: Ein Drittel konnte als depressiv eingestuft werden, ein Viertel hatte körperliche Beschwerden, ein weiteres Viertel hatte Aufmerksamkeitsprobleme und 2 von 10 litten unter sozialen Ängsten. Auf manche Betroffene trafen sogar mehrere dieser Symptome zu.

Junge sitzt alleine auf einer Treppe und guckt aufs Smartphone

Foto: Fangirl/Pixabay

Wie können internetbezogene Störungen behandelt werden?

Dr. Klaus Wölfling von der Ambulanz für Spielsucht an der Universität Mainz hat eine Übersicht über verschieden Möglichkeiten der Prävention (=Vorbeugung) und Therapie bei Internetsucht vorgestellt:

  • Einzeltherapie, Gruppentherapie oder Familientherapie
  • Kurzzeittherapie oder Langzeittherapie
  • Ambulante Therapie oder stationäre Therapie
  • Medikation, d.h. die Verschreibung von Medikamenten
  • Medientraining für Jugendliche und Eltern
  • Beratung für Lehrer*innen
  • Aufklärungsarbeit für Schüler*innen

Was wird in einer Therapie gegen Computerspielsucht gemacht?

Das Medientraining für Jugendliche und die Psychotherapie für junge Erwachsene hat Dr. Wölfling genauer vorgestellt. Eine ganze Therapie in einem Blogartikel zusammenzufassen, ist schwer. Ein paar mögliche Inhalte so einer Behandlung möchten wir Dir aber aufzählen:

  • Therapievertrag (Wer? Wann? Wo? Was? Warum? Wie?)
  • Vereinbarung von Therapiezielen (Nicht mehr spielen, weniger spielen, Schulabschluss schaffen, Arbeit finden, neue Hobbies finden, …)
  • Tagesprotokoll (Was ist passiert? Wie geht es Dir? Wie viel hast Du gespielt?)
  • Kosten-Nutzen-Analyse (Was passiert, wenn Du jetzt so weiterspielst wie bisher? Was ändert sich, wenn Du aufhörst?)
  • Tricks zur Erreichung der Therapieziele ausprobieren (PC wegpacken, PC/WLAN-Passwort ändern lassen, Avatar löschen, …)
  • Elterntausch (Was sagen Eltern anderer Jugendlicher mit problematischem Internetkonsum zu deinem Nutzungsverhalten?)
  • Training, einem selbstgewählten Sucht-Reiz zu widerstehen (z.B. Bild Deines Avatars, Deine Finger auf der Tastatur, …)
  • Biographie-Arbeit (Wie hat sich Dein Konsum entwickelt? Was ist zeitgleich in Deinem Leben passiert? Gibt es Zusammenhänge?)
Avatare aus verschiedenen Computerspielen sitzen in einem Wartezimmer

Bild: Hintergrund (Wartezimmer) von DanielCubas/Pixabay, Avatare von webcare+

Insgesamt geht es also darum, zu verstehen, warum Computerspiele so eine starke Anziehung auf Dich haben, wie Du ein Suchtverhalten entwickeln konntest und wie du da wieder raus kommst und auch draußen bleibst. Dr. Wölfling hat klargestellt, dass es bei einer Therapie nicht darum geht, ab sofort gänzlich offline zu leben. Das wäre in unserer digitalen Gesellschaft vielleicht auch gar nicht möglich. Ziel ist es, ein bestimmtes Problemverhalten (z.B. ein bestimmtes Computerspiel) zu vermeiden.

Therapie: Erfolgsaussichten und Rückfallrisiko

Die Prognose (=Erfolgsaussichten) ist laut Dr. Wölfling übrigens besonders bei den Betroffenen gut, die erst spät mit dem Spielen angefangen haben und dabei kein Geld eingesetzt haben, um sich beispielsweise Ausrüstung, Skins oder Lootboxen zu kaufen. Gerade letztere hat er als gefährlich eingestuft. Die Kombination aus Gaming und Gambling (=Glücksspiel) sei besonders tückisch.

Gewarnt hat Dr. Wölfling davor, dass das Ansehen von Let’s Play Videos zu einem Rückfall führen kann. Zum Beispiel, wenn Du dort siehst, dass es eine neue Quest oder irgendetwas anderes Neues im Spiel gibt, dass Du noch nicht kennst, aber ausprobieren möchtest. Rückfällige Patient*innen können bei der Mainzer Ambulanz übrigens erneut in Therapie gehen. Dr. Wölfling hat berichtet, dass manche Betroffene mehrere Therapiedurchläufe brauchen, bis sie ihre Suchterkrankung unter Kontrolle haben.

Glühbirne in der Mitte, draumherum allerlei Piktogramme und Symbole

Bild: Harishs/Pixabay

Fazit zur DZSKJ-Fachtagung

Die Fachtagung des DZSKJ war vielseitig und informativ – so umfangreich, dass sich unmöglich alles in einem Blogbeitrag zusammenfassen lässt. Wir hoffen, Dir trotzdem ein paar interessante Einblicke gegeben haben zu können. Wir konnten viele Studien auf unsere Leseliste setzten, mit denen wir uns hier in Zukunft bestimmt noch einmal gesondert beschäftigen werden.

eSport Schriftzug im Vordergrund, im Hintergrund ein Bildschirm, auf dem ein Autorennen gespielt wird eSport – Auftakt einer Blogartikel-Serie Staubsauger saugt Konfetti vom Teppich Social Media ausmisten: Frühjahrsputz für Deine sozialen Netzwerke
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