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Neonzeichen, ein Herz, in der Mitte steht "Love 24 Hours".

Foto: Wyron A/Unsplash

Cybersex: Bin ich süchtig nach Pornos?

28 März 2019

Lesezeit 8 Minuten

Unter Pornografie versteht man die Darstellungen sexuellen Verhaltens jeglicher Art, das von jeder denkbaren Zusammensetzung handelnder Akteur*innen ausgeführt wird, schreibt Prof. Dr. med. Volker Faust, Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Doch kann man auch süchtig nach Pornos sein?

Süchtig nach Sex, Selbstbefriedigung oder Pornografie

Exzessives Sexualverhalten gibt es immerhin. Schätzungen zufolge sind davon zwischen drei und sechs Prozent der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum betroffen. Der Frauenanteil darunter wird auf acht bis 25 Prozent geschätzt.

Dr. Christl Ruth Vonholdt, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, erklärt, Sexsucht könne sich verschieden äußern: Als Sucht nach Sex, Selbstbefriedigung oder Pornografie. Man kann also tatsächlich pornosüchtig sein. Doch wie viel Pornogucken ist noch normal? Und ab wann ist man süchtig?

Bett vor einem Fenster, daneben Scheinwerfer.

Foto: Sereja Ris/Unsplash

Interview mit Sexualpädagoge Benedikt Geyer

Unsere Online-Redakteurin Saskia Rößner hat den Sozialarbeiter & Sozialpädagogen Benedikt Geyer interviewt. Er arbeitet bei pro familia Mainz und berät dort Jugendliche, Eltern und Fachkräfte rund ums Thema Sexualität.

Saskia Rößner (webcare+): Herr Geyer, ab wann ist man süchtig nach Pornografie?

Benedikt Geyer (pro familia): Die Jugendlichen, die zu mir kommen, erzählen mir oft, dass sie gehört hätten, man könne sexsüchtig werden. Sie wollen wissen, wie viel Sex, Selbstbefriedigung oder Pornogucken noch „normal“ sei. Ich erkläre ihnen dann, dass man nicht gleich süchtig ist, nur weil man beispielsweise etwas viel konsumiert oder häufig masturbiert.

Bei einer Sucht kommt es vor allem auf folgende Faktoren an: Kann ich nur noch an das eine denken? Beherrscht es meinen kompletten Alltag? Ignoriere ich negative Auswirkungen zugunsten des Suchtmittels? Vernachlässige ich andere Lebensbereiche wie Familie, Freund*innen, Ausbildung oder Arbeit? Für die Diagnose einer Suchterkrankung gibt es strenge Kriterien, die gelten auch für die Sucht nach Pornografie.

Saskia Rößner: Was darf man sich unter Online-Pornografie vorstellen?

Benedikt Geyer: Pornografie gibt es schon seit Menschen sich Formen des künstlerischen Ausdrucks suchten. Früher als Skulpturen, Malerei, Text oder Fotografie. Heute durch technischen Fortschritt auch als Videoaufnahmen auf Datenträgern oder im Internet und hier auch als (interaktive) Virtual Reality.

Was sich im Bereich Pornografie durch das Internet verändert hat, sind vor allem die leichtere Zugänglichkeit, die größere Verbreitung und ein vielseitigeres Angebot. Es gibt zahlreiche Videoplattformen, die vom Prinzip her etwa so aufgebaut sind wie YouTube. Man kann zum Beispiel nach Stichworten suchen oder bestimmte sexuelle Vorlieben und Körperbilder filtern.

Silouette einer nackten Person vor einem Fenster

Foto: Maru Lombardo/Unsplash

Saskia Rößner: Was sollte man beim Schauen von Pornos im Internet beachten?

Benedikt Geyer: Die Plattformen beobachten das eigene Nutzungsverhalten und zeigen personalisierte Vorschläge für weitere Videos an. Sie haben klar das Ziel, Nutzer*innen möglichst lange auf dem Portal zu halten. Nicht alle Angebote sind kostenlos, manche Videos oder Plattformen verlangen eine Gebühr oder haben Premium-Bereiche.

Unternehmen können auch personalisierte Werbeanzeigen schalten. Häufig finden sich jedoch unseriöse Angebote, beispielsweise für angeblich potenzsteigernde Mittel, die nicht ausreichend medizinisch getestet wurden oder gar in Deutschland verboten sind. Ebenfalls finden sich dort häufig Anzeigen für illegales Glücksspiel. Auch Computerviren können sich hinter den Anzeigen verstecken. Davon sollte man also die Finger lassen!

Saskia Rößner: Laut einer Studie hatten 93 Prozent der männlichen Jugendlichen und 63 Prozent der weiblichen Jugendlichen im Laufe ihrer Pubertät Kontakt mit pornografischen Inhalten im Internet. Wie erklären Sie sich das?

Benedikt Geyer: Gesetzlich kann man die Frage leicht beantworten: Pornos sind erst ab 18 Jahren zu beziehen, fertig. Die Videoplattformen führen in der Regel aber keine (zuverlässige) Altersüberprüfung durch. Hier stößt die nationale Gesetzgebung im weltweiten Internet an ihre Grenzen.

Jugendliche gucken sich Pornos im Internet aus unterschiedlichen Gründen an: Zur Unterhaltung, als Teil der Identitätsbildung, zur Vorlage bei der Selbstbefriedigung, zur Information oder als Art digitale Mutprobe. Wenn sie in einer Suchmaschine eine Frage zum Thema Sex eingeben, werden ihnen mitunter auch pornografische Suchergebnisse angezeigt. Daher ist es eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft, genügend seriöse und altersgerechte Aufklärungsangebote gerade auch im Internet bereitzustellen.

Generell gesprochen: die Jugendlichen wissen sehr genau, dass sie im Netz (inklusive Darknet) alles sehen können.  Ab einem gewissen Alter und Zugängen zum Internet ist dies auch nicht mehr sinnvoll durch beispielsweise Filter zu regeln. Ich glaube, wir sollten zwei wesentliche Punkte vermitteln: „Du bist mitverantwortlich für das, was Du dir anschaust! Und: Wenn Dir etwas komisch vorkommt oder Du über Gesehenes reden magst: Erwachsene sind ansprechbar.

Laptop auf einem Bett

Foto: Gerson Repreza/Unsplash

Saskia Rößner: Welchen Einfluss hat Online-Pornografie denn auf Jugendliche und ihre Entwicklung?

Benedikt Geyer: Das lässt sich nicht verallgemeinern. Es gibt vielfältige Behauptungen oder Befürchtungen, dass der Konsum von Pornos sich in der Entwicklung von Jugendlichen negativ niederschlagen würde. Beispiele sind da sexuelle Freizügigkeit, Beziehungsunfähigkeit, die Übernahme unrealistischer sexueller Normen und stereotyper Geschlechterrollen usw.

Ich würde mit solchen monokausalen (= einseitigen) Erklärungsmodellen sehr vorsichtig sein. Jugendliche sind eben kein „weißes Blatt Papier“, auf welches solche Medieninhalte treffen und Wirkung entfalten. Aus meiner täglichen Arbeit mit Jugendlichen kann ich allerdings berichten, dass je jünger Zuschauer*innen sind, desto schwieriger fällt es ihnen, das Gesehene einzuordnen. Daher ist Aufklärung und das Setzen von Gesprächsangeboten durch Eltern, Erziehungsberechtigte oder Expert*innen sehr wichtig.

Saskia Rößner: Ich habe den Eindruck, die Forschung fokussiert meist mögliche negative Folgen von Pornografie-Konsum. Gibt es auch positive Seiten?

Benedikt Geyer: Aus meiner Praxis gesprochen: Sicherlich! Einerseits kann Pornografie bei der sexuellen Orientierung hilfreich sein. Es besteht die Chance, Vielfalt und Diversität sichtbar zu machen. Jedoch ist eine gezielte Suche mitunter nötig und der Mainstream deutlich anders geprägt.

Auch bieten unterschiedliche Darstellungsformen in Pornografie die Möglichkeit, das Gesehene als Anregung für die partnerschaftliche Sexualität zu nutzen oder im Bereich der Selbstbefriedigung seine Fantasie auszuleben.

Und nicht zuletzt bieten pornografische Angebote auch die Möglichkeit der Abgrenzung; also das Gesehene gerade nicht übernehmen zu wollen, sich zu positionieren. Die Forschung hat hier aber deutlichen Nachholbedarf, fundierte Ergebnisse zu liefern.

Nackter Körper in glitzernden Regenbogenfarben angemalt

Foto: Sharon McCutcheon/Unsplash

Saskia Rößner: Wenn man sich fragt, ob die eigene Sexualität oder der Pornokonsum „normal“ sind, wo können Betroffene sich beraten lassen und Hilfe bekommen?

Benedikt Geyer: Bei pro familia beraten wir nicht nur Jugendliche, sondern auch Angehörige (zum Beispiel Eltern/Erziehungsberechtigte oder Partner*innen) sowie pädagogische Fachkräfte. Gerade für junge Menschen und Jugendliche haben die meisten pro familia vor Ort eine extra Sprechstunde ohne Voranmeldung. Wir organisieren außerdem Elternabende sowie Fachberatung und Fortbildungen für Sozialarbeitende, Erziehende, Lehrkräfte oder Ehrenamtliche. Oft ist der Pornokonsum jedoch auch ein Thema für die Sexual- und/oder Paarberatung.

Es gibt darüber hinaus einige Online-Angebote, bei denen man sich beraten lassen kann, sogar anonym. Beispiele sind www.sextra.de von pro familia oder www.loveline.de von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

Ob tatsächlich eine Sex- oder Pornosucht vorliegt, sollte von einem/einer spezialisierten Suchttherapeut*in abgeklärt werden. Beratungsstellen, auch pro familia, verfügen teilweise selbst über solche Therapeut*innen. Falls nicht, können diese aber auf jeden Fall helfen, einen Kontakt herzustellen.

Saskia Rößner: Herr Geyer, vielen Dank für das Interview!

Übrigens: Die Suchtforschung unterscheidet zwischen substanzgebundenen Süchten (Alkohol, Nikotin, Drogen, Medikamente, usw.) und Verhaltenssüchten. Zu letzerer gehört die Sex- oder Pornosucht. Zu anderen Verhaltenssüchten wie Kaufsucht oder Glücksspielsucht haben wir auch schon Blogartikel geschrieben.

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