Der Begriff „Junkie“ oder die Aussage „Du bist süchtig“ wird heutzutage nahezu inflationär gebraucht. In den sozialen Medien tummeln sich selbsternannte Büchersüchtige und Serienjunkies. Haben die alle ein Problem oder nur ein Hobby? Wie ist es mit denen, die „ständig“ am Smartphone, PC oder der Konsole hängen? Von ihren Mitmenschen werden sie häufig ebenfalls als „süchtig“ bezeichnet. Ist das zutreffend? Leiden sie an einer Mediensucht, Smartphonesucht oder Computerspielsucht? Liegt es vielleicht einfach am Unverständnis der anderen für die digitale Welt? Es ist ein wenig von beidem, je nach Einzelfall.
Ja, es gibt Menschen, die übertrieben reagieren und vorschnell Begriffe wie Mediensucht anwenden. Es gibt aber auch Menschen, die ein Problem mit ihrem Mediennutzungsverhalten haben, ein Problem das ernst zu nehmen ist und bei dem meist Hilfe benötigt wird.
Diagnosekriterien
Mediensucht, Medienabhängigkeit, Internetabhängigkeit, exzessiver Medienkonsum, Computerspielsucht (erweitert auf Konsole, Handygames), …
Es gibt zahlreiche Begriffe, aber existiert auch eine klare Definition für das Phänomen der Internetsucht?
Unsere Welt wandelt sich und die Menschen mit ihr. Ebenso wandeln sich unsere Probleme und die Anforderungen an therapeutische Behandlungen. Der Anerkennungsprozess für die Aufnahme in die diagnostischen Kataloge für Medizin und Psychologie ist langwierig, was aus wissenschaftlicher Sicht auch gut so ist. Im ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) fällt Internetsucht noch unter die Restkategorie F.63 „Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle„.
Im für 2018 angekündigten ICD-11 wird Computerspielsucht („Gaming Disorder„) unter der Kategorie für „Substanzgebundene und Verhaltenssüchte“ klassifiziert werden. Die Störung wird beschrieben als andauerndes oder wiederkehrendes Spielverhalten von digitalen oder Video-Spielen, online oder offline. Es werden drei Kriterien genannt, die über einen Zeitraum von 12 Monaten erfüllt sein müssen:
- Kontrollverlust über das Spielverhalten
- Wachsende Bedeutung des Spielens über andere Interessen und tägliche Aktivitäten hinaus
- Weiterspielen trotz negativer Konsequenzen
Wichtig sind dabei die Konsequenzen für die anderen Lebensbereiche, die durch das Spielen entstehen.
Die offizielle Listung im ICD 11 ist wichtig für die Abrechnung der Therapie mit der Krankenkasse. In der fünften Neuauflage des DSM von 2013 finden sich im Anhang vorgeschlagene Diagnosekriterien für die „Internet Gaming Disorder“. Das Aufführen in beiden Klassifikationssystemen unterstützt die Diagnostik und Auswahl der therapeutischen Methoden.
Die Praxis muss sich der bestehenden Problematik bereits vor der offiziellen Diagnose stellen, denn der Bedarf in Beratungsstellen, Praxen und Kliniken ist vorhanden. Zum Glück liegen bereits zahlreiche wissenschaftliche Studien zu problematischer Internetnutzung in verschiedenen Bereichen vor. Viele Erkenntnisse basieren auf den Erfahrungen mit anderen Suchtproblematiken.
Die Klinik „Mediclin“ (Bad Wildungen, Hessen) informiert leicht verständlich über Definition, Symptome und Behandlung der Internetsucht. Diese Informationen findet man in ähnlicher Form auf den verschiedenen Webseiten von Kliniken, die sich mit der Problematik befassen.
Spiele, Sex und Soziale Medien
In zahlreichen Vorträgen und Interviews unterscheidet PD Dr. med. Bert te Wildt (leitender Arzt der Medienambulanz am „LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie“) insbesondere drei häufig auftretende Problemfelder:
- Computerspiele
- Cybersex
- Soziale Medien
Es liegt auf der Hand, dass die Probleme in diesen Bereichen doch recht unterschiedlich sind, in ihren Ursachen, Auswirkungen und entsprechend auch in ihren Behandlungsmöglichkeiten.
Schleichender Übergang
Niemand erwacht eines Tages und ist von heute auf morgen süchtig. Es ist ein schleichender Prozess, der mit zunehmendem Konsum und der Vernachlässigung anderer Lebensbereiche beginnt.
Je früher ein Problem erkannt wird, desto leichter ist es, die Notbremse zu ziehen.
Es ist nicht leicht, zu erkennen und sich einzugestehen, dass ein Problem vorliegt. Doch wenn dieser Schritt geschafft ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Informationen auf webcare+ sollen dabei helfen, die Problematik besser zu verstehen, konkrete Probleme besser zu erkennen und so früh wie möglich Auswege zu finden.
Abstinenz vom Internet?
Wenn es um harte und illegale Drogen geht, ist die Zielsetzung rein rechtlich schon eindeutig: Kein Konsum. Auch eine Therapie der Alkoholabhängigkeit oder bei Tabakkonsum wird die Abstinenz der erlaubten Substanzen gemeinsam mit dem Betroffenen oder der Betroffenen als Ziel gesetzt. Bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass Ziel einer Therapie bei Medienabhängigkeit eine völlige Abstinenz von PC und Smartphone ist?
NEIN!
Unsere Welt wird immer digitaler und ganz ohne das Internet und seine Möglichkeiten geht es nicht mehr. Das Internet ist auch nicht per se ein schlechter Ort und sollte daher nicht gleich verteufelt werden. Abstinenz ist dennoch ein Thema in der Therapie der Medienabhängigkeit, allerdings gezielte Abstinenz von Spielen oder Sozialen Netzwerken oder anderen Problembereichen. Schwierig ist es, den entsprechenden Triggern aus dem Weg zu gehen.
Es ist eine Herausforderung unserer Zeit, allgemein und auch individuell jeder für sich, einen guten Weg zu finden, die digitalen Medien auf eine gute Weise zu nutzen.
Fallstricke bietet das Leben uns viele. Je besser wir sie kennen und verstehen, desto weniger geraten wir hinein und umso leichter können wir uns selbst oder anderen dabei helfen, einen Ausweg zu finden.
Hier findest Du eine Übersicht an Ansprechpartnern, wenn Du auf der Suche nach Hilfe bist.