Wenn Dir eine Person erzählt, dass sie tausend Freund*innen oder mehr bei Facebook (oder Follower bei Instagram) hat, was denkst Du dann? Vielleicht: „Wie cool, das hätte ich auch gerne“? Oder doch eher: „Wie anstrengend. Das wäre nichts für mich“? Die Frage nach der Anzahl der Social Media-Freundschaften interessiert auch die Wissenschaft. Es gibt beispielsweise eine ganze Menge an Studien, die untersucht haben, ob es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl unserer Freund*innen in sozialen Netzwerken und unserem psychischen Wohlbefinden gibt. Vor kurzem hat ein chinesischer Forscher eine Meta-Analyse (Huang 2021) dazu veröffentlicht, deren Ergebnisse wir hier für Dich zusammenfassen.
Social Media und Psyche: Fast 100 Studien zeigen einen Trend
In der Meta-Analyse hat Huang insgesamt 90 wissenschaftliche Artikel mit 98 unabhängigen Stichproben untersucht. In der Summe ergeben sie über 33.000 Studienteilnehmende. Eine einzelne Studie mit so vielen Menschen durchzuführen, wäre viel zu aufwändig. Daher sind solche Meta-Analysen in der Regel sehr hilfreich. Sie fassen viele Einzelstudien zu einem Trend zusammen.
Die meisten von Huang untersuchten Einzelstudien beziehen sich auf Facebook. Es gibt jedoch auch ein paar Ausnahmen: Instagram, Myspace, VK (russisches Netzwerk) und We Chat Moments (chinesisches Netzwerk). Ein paar Studien befassen sich auch mit sozialen Netzwerken allgemein, ohne sich auf ein spezielles festzulegen. Die Anzahl der Social Media-Freund*innen schwankt in den Studien zwischen 64 und 740, das Alter der Studienteilnehmenden zwischen 14 und 60 Jahren.
Psychologische Forschung verstehen
Psychologische Studienergebnisse sind für Laien nicht so einfach zu entschlüsseln. Psycholog*innen arbeiten viel mit Zahlen, Tabellen und Graphen. Mit der untenstehenden Infografik haben wir versucht, die Ergebnisse der Meta-Analyse anschaulicher darzustellen. Du kannst Dir das in etwa so vorstellen:
Zusammenhänge werden in der Psychologie auf einer Skala von -1 bis +1 und mit Kommazahlen dargestellt. Um das zu vereinfachen, arbeiten wir mit einer Skala von -100 bis +100. Alle Zahlen von -100 bis -1 lassen sich übersetzten in „je mehr, desto weniger“ (negativer Zusammenhang). Null bedeutet, dass es keinen Zusammenhang gibt. Alle Zahlen von +1 bis +100 heißen „je mehr, desto mehr“ (positiver Zusammenhang).
- -100 bis -1 = je mehr, desto weniger
- 0 = kein Zusammenhang
- +1 bis +100 = je mehr, desto mehr
Außerdem gilt: Je weiter eine Zahl bei der Null liegt, desto schwacher ist der Zusammenhang. Je weiter die Zahl bei -100 oder +100 liegt, desto stärker ist der Zusammenhang.
Zusammenhang zwischen Freundschaftszahl und Wohlbefinden
In der Meta-Analyse von Huang liegen viele der Trendzahlen nah bei null. Depression ist mit einem Wert von +1 kaum nennenswert. Die anderen Indikatoren besagen:
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto mehr Selbstvertrauen (+6)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto mehr Angst (+8)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto mehr Wohlbefinden (+8)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto mehr Zufriedenheit (+10)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto mehr Glück (+15)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto weniger Verzweiflung (-6)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto weniger Einsamkeit (-11)
- Je mehr Social Media-Freundschaften, desto weniger soziale Angst (-19)
Die beiden höchsten Werte liegen bei Glück (+15) und sozialer Angst (-19). Die Zusammenhänge sind insgesamt also eher schwach ausgeprägt. Trotzdem besitzen diese Zahlen schon eine gewisse Aussagekraft.
Auffällig ist, dass alle positiven Gefühlslagen (Wohlbefinden, Selbstvertrauen, Zufriedenheit, Glück) in einem positiven Zusammenhang zur Freundschaftsanzahl stehen. Die Ergebnisse bezüglich negativer Gefühlslagen (Depression, Angst, Verzweiflung, Einsamkeit und soziale Angst) lesen sich hingegen widersprüchlich. Manche von ihnen stehen in positivem, andere in negativem Zusammenhang mit der Anzahl der Freundschaften in Social Media. Huang kommt daher zu dem Fazit, dass hier weiter Forschung notwendig ist, die nach Ursachen für diese Umstände sucht.
Wie die Nutzung sozialer Medien sich generell auf unser psychisches Wohlbefinden auswirken kann (unabhängig von der Anzahl der Freundschaften dort), kannst du in diesem Blogartikel nachlesen.
Korrelation ist nicht gleich Kausalität
Die Trends aus dieser Meta-Analyse bedeuten jedoch nicht, dass mehr Social Media-Freundschaften automatisch glücklicher machen oder zu Ängstlichkeit führen. Bei wissenschaftlichen Daten gibt es zwei wichtige Arten von Zusammenhängen: Korrelation und Kausalität. Kausalität bedeutet, dass eine Sache zu einer anderen führt. Korrelation beschreibt hingegen nur einen bloßen Zusammenhang, ohne (nachgewiesene) Kausalität. Es kann sich also auch um einen zufälligen Zusammenhang handeln, zumindest wenn man nur eine einzelne Studie betrachtet.
- Kausalität: Ursache-Wirkung-Zusammenhang
- Korrelation: Zusammenhang, eventuell zufällig
Wenn bei einer Meta-Analyse mit beinahe hundert Stichproben so eine Korrelation besteht, ist der Zusammenhang sehr wahrscheinlich nicht zufällig. Ob hier allerdings auch eine Kausalität besteht, ist dann immer noch nicht geklärt. Dazu müssten über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder die gleichen Menschen zur gleichen Sache befragt werden. Sonst lässt sich nicht sagen, ob die vielen Online-Freundschaften zu mehr Angst geführt haben. Oder ob sich ängstliche Menschen lieber online Freund*innen suchen als auf der Straße.
Social Media-Freundschaften und Follower lassen sich kaufen
Tausend Facebook-Freund*innen zu gewinnen, funktioniert nicht über Nacht. Zumindest nicht, wenn Du sie auf ehrliche und natürliche Weise gewinnen möchtest. In der Fachsprache nennt sich das auch „organisch“. Ein großes Netzwerk organisch aufzubauen kostet viel Zeit.
Wer es eilig hat und mit vielen Freund*innen oder Followern angeben will, kann sich diese inzwischen einfach online kaufen. Die Online-Suchanfragen zu „Follower kaufen“ haben sich in den letzten Jahren sogar vervielfacht (Verhoeven 2019). Das kostet gar nicht mal so viel, bringt Dir (abseits vom kurzweiligen Angeben) aber auch nicht wirklich etwas. Die gekauften Profile folgen Dir zwar, interagieren aber nicht mit Deinen Beiträgen. Du hast also vielleicht tausend Freund*innen, aber keiner davon kommentiert Deine Beiträge oder klickt bei Deinen Fotos auf „Gefällt mir“. Das stellen wir uns ziemlich einsam vor.
Aber selbst, wenn die gekauften Follower mit dir interagieren würden: Wäre die Vorstellung, dass wildfremde Leute, die womöglich nicht einmal Deine Sprache sprechen, ihren Senf zu Deinen Beiträgen dazu geben, nicht irgendwie auch gruselig?
Unser Gehirn kann nur 150 Freund*innen haben
Tausend Freund*innen brauchst Du aber auch gar nicht, niemand von uns. Denn unser Gehirn wäre mit dieser Masse an sozialen Kontakten hoffnungslos überfordert. Das hat der britische Psychologe Robin Dunbar herausgefunden (Dunbar 1993). Er hat sich unsere Gehirn-Kapazitäten und unser Sozialverhalten angesehen und untersucht, mit wie vielen Menschen wir sinnvoll interagieren können. Sein Ergebnis: Im Durschnitt schaffen wir es, mit lediglich 150 Menschen befreundet zu sein. Diese Zahl ist in der Wissenschaft unter „Dunbar’s Number“ oder auf Deutsch „Dunbar-Nummer“ bekannt.
„Die Dunbar-Zahl bezeichnet eine hypothetische, kognitive Grenze der Anzahl an Menschen, mit denen ein Individuum soziale Beziehungen unterhalten kann. […] Im Allgemeinen beträgt die Dunbar-Zahl um die 150 mit einer Schwankungsbreite zwischen 100 und 250.“ (Stangl 2022)
Dieser Richtwert gilt nach ersten Studien auch in der digitalen Welt, also in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Instagram (Goncalves et al. 2011). Statt auf tausend Facebook-Freund*innen oder 10.000 Instagram-Follower neidisch zu sein, ist es also vollkommen ok, nur wenige (und dafür vielleicht intensivere) Freundschaften zu pflegen. Übrigens haben wir uns auch mal angesehen, ob Online-Freundschaften und Offline-Freundschaften qualitativ gleichwertig sind. Den Blogbeitrag dazu findest du hier.
Quellen
- Dunbar, R. I. M. (1993): Coevolution of neocortical size, group size and language in humans, in: Behavioral and Brain Sciences, 16, 681-735.
- Goncalves, B., Perra, N. & Vespignani, A. (2011): Modeling Users Activity on Twitter Networks: Validation of Dunbars Number, in: PLoS One 6, e22656.
- Huang, Chiungjung (2021): Correlations of online social network size with well-being and distress: A meta-analysis, in: Cyberpsychology Vol. 15, No.2,
- Stangl, W. (2022): Dunbar-Zahl, in: Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
- Verhoeven, Tim (2019): Die Risiken der Digitalisierung. Wie Fakes, Betrug und die Frage der Moral unseren Arbeitsalltag verändern wird.