Blog

Slot Machine mit YouTube und Twitch-Logos

Bild: Collage aus Adrian Howe und DO-Studio / Pixabay.com

Slot Machine Trend auf Twitch und YouTube

17 März 2022

Lesezeit 8 Minuten

Glücksspiel findet man in Kasinos und Spielhallen, in Kneipen und anderen Gastronomiebetrieben. Seit Sommer 2021 ist Online-Glücksspiel auch in Deutschland legal, auch wenn es vorher schon zahlreiche illegale Angebote im Netz gab. Neuerdings sieht man Glücksspiele, vor allem Slot Machine, immer häufiger auf YouTube und Twitch. Entweder als kurze Highlight-Videos (Gewinnerlebnisse) oder als Live-Streams. Warum das so beliebt ist und was potentielle Risiken sein könnten, haben wir Dr. Tobias Hayer gefragt. Der Bremer Wissenschaftler forscht seit vielen Jahren zu Glücksspiel und Glücksspielsucht.

Was sind Slot Machines?

Saskia Rößner: Herr Dr. Hayer, was versteckt sich hinter dem Begriff Slot Machine?

Dr. Tobias Hayer: Slot Machines sind Automatenspiele, die Geräte werden auch „Einarmige Banditen“ genannt. International gibt es verschiedene Arten von Automatenspielen. In Deutschland unterscheiden wir zwischen Geldspielautomaten und Glücksspielautomaten.

Geldspielautomaten sind in Spielhallen und in der Gastronomie zu finden. Sie sind gedeckelt, was die Höhe von Einsatz, Gewinn und Verlust betrifft, aber in hoher Zahl verfügbar. Glücksspielautomaten finden sich hingegen nur in Spielbanken (Kasinos), sind also nur bedingt zugänglich, erlauben aber weitaus höhere Gewinn- und damit auch Verlustmöglichkeiten. Über die Ausspielung von Jackpots sind hier in Einzelfällen sogar Gewinne in Millionenhöhe möglich.

Im Zuge der Digitalisierung werden Automatenspiele aber auch online angeboten – und zwar in allen Varianten und Variationen.

Verschmelzung von Gaming und Gambling

Saskia Rößner: YouTube ist die bekannteste Video-Plattform der Welt. Zu unterscheiden ist hier zwischen Live-Streams und nachträglich hochgeladenen (und möglicherweise bearbeiteten) Videos. Twitch ist ebenfalls eine Video-Plattform, allerdings primär für Videospiele. Wie kommt es, dass neuerdings auch Glücksspiele wie Slot Machines auf diesen Plattformen unterwegs sind?

Dr. Tobias Hayer: Auf YouTube wie auf Twitch finden sich Influencer*innen, die mit dem Hochladen oder Streamen ihrer Videos Geld verdienen. Für den Slot Machine-Trend sehe ich vor allem zwei Gründe.

Der erste Grund ist, dass Gaming und Gambling sich zunehmend vermischen. Früher waren es die Gamer*innen, die auf Twitch und YouTube ihre Inhalte gestreamt haben. Inzwischen gibt es in Computerspielen immer mehr Glücksspiel-Elemente. Anders herum lassen auch Glücksspiele immer häufiger Skill- oder Gaming-Anteile erkennen. Diese beiden Produktarten sind also – zumindest online – nicht mehr trennscharf. Dass nun auch Slot Machines gestreamt werden, kann ein Resultat dieser Entwicklung sein. Influencer*innen aus dem Gaming-Bereich springen einfach auf diesen Zug auf.

Twitch-Logo auf Smartphone

Foto: Caspar Camille Rubin / Unsplash.com

Slot Machines: Geschäftsmodell der Influencer*innen

Saskia Rößner: Und der zweite Grund?

Dr. Tobias Hayer: Der zweite Grund ist, dass Influencer*innen mit Slot Machine Streaming auf unkomplizierte und vielleicht sogar spaßige Art Geld verdienen können. Ich gehe davon aus, dass die allermeisten Influencer*innen, die Automatenspiele streamen, dafür Geld von den Anbieter*innen dieser Spiele bekommen. Handfeste Zahlen dazu gibt es leider (noch) keine.

Aber so wie die Streams aufgebaut sind, steckt da ein gewisses Geschäftsmodell dahinter. Wenn es Influencer*innen gelingt, Leute aus ihrer Community über Empfehlungslinks auf die Seiten der Online-Kasinos zu lenken, verdienen sie damit Geld. Da gibt es verschiedene Vertragsmodelle diesseits oder jenseits der Legalität. Sie können eine Prämie für jede*n Neukund*in verdienen oder an deren Einsätzen und Verlusten beteiligt werden.

Werbung wirkt, vor allem bei jungen Menschen

Saskia Rößner: Aber lassen Leute aus der Community sich denn so einfach ködern?

Dr. Tobias Hayer: Wir haben relativ gute wissenschaftliche Befunde zu den Effekten von Glücksspiel-Werbung. Vereinfacht ausgedrückt: Wir wissen, dass Werbung wirkt und zwar in allen Bereichen. Sonst würden Unternehmen nicht so viel Geld für Werbung ausgeben. Und wir wissen, dass vor allem junge Menschen besonders empfänglich für Werbung sind. Genau die finden sich in der Regel in den Communities der Influencer*innen.

Mann hält Smartphone mit YouTube-Logo vor sein Gesicht

Foto: Rachit Tank / Unsplash.com

Zudem sind die strukturellen Bedingungen in Streams ganz andere als bei einem Werbeplakat auf der Straße oder einem Werbespot im Fernsehen. In Streams können die Leute in Interaktion mit ihren Idolen gehen, beispielsweise über den Chat.

Das Identifikationspotential ist auch viel größer. Influencer*innen werden als Leute von der Straße oder von nebenan wahrgenommen, nicht als abgehobene und unerreichbare Stars, die weit weg sind von der eigenen Lebenswirklichkeit. Daher glaube ich, dass Werbung in Streams oder Social Media nochmal brisanter zu bewerten ist, als klassische Werbeformate.

Slot Machine Streaming: Unrealistische Gewinnerwartungen

Saskia Rößner: Gibt es noch andere Faktoren, die erklären, warum Slot Machine-Videos so beliebt sind?

Dr. Tobias Hayer: Ja, unrealistische Gewinnerwartungen. Ich persönlich finde es ja ziemlich langweilig, anderen Menschen beim Zocken zuzusehen. Bei Videospielen kann ich das noch verstehen. Da geht es um Fähigkeiten und Training, da kann ich als Zuschauer*in auch was für mein eigenes Spielverhalten mitnehmen. Beim Glücksspiel ist das anders. Da kann ich noch so viel Erfahrung haben, hier spielt immer noch der Zufall die entscheidende bzw. ausschließliche Rolle.

Wenn wir einen Stream stundenlang verfolgen würden, würden die Influencer*innen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mehr Geld verlieren als gewinnen. Zumindest wenn die Technik dahinter nicht manipuliert wurde. Denn damit, dass Spielende im Schnitt mehr Geld ausgeben als gewinnen, verdienen die Anbieter*innen ja ihr Geld.

Wenn online aber nur kurze Ausschnitte gezeigt werden, verzerrt das die Realität. In kurzen Highlight-Videos werden große Gewinnmomente mit hoher Emotionalität präsentiert. Die Streamer*innen rasten da zum Teil vollkommen aus. Von den vielen Stunden und den vielen Euros, die sie zuvor investiert haben, ist allerdings selten etwas zu sehen. Das schürt eine unrealistische Gewinnerwartung und sendet die Botschaft: „Gewinnen ist einfach. Probiere Du es doch auch einmal!“ Diese kognitive Verzerrung verleitet leider dazu, es tatsächlich einmal selbst auszuprobieren.

Kreditkarte auf Notebook-Tastatur

Foto: cardmapr / Unsplash.com

Fehlender Jugendschutz auf Twitch und YouTube

Saskia Rößner: Zwei Risiken dieses Streaming-Trends sind also Abzocke und Irreführung. Gibt es noch andere Gefahrenmomente?

Dr. Tobias Hayer: Ja, der fehlende Jugendschutz. Die Teilnahme an Glücksspielen ist in Deutschland erst ab 18 Jahren erlaubt. In Kasinos und Spielhallen gibt es zumindest Personal, das das überprüfen kann und muss. Dieser Jugendschutz fehlt im Internet gerade auf sozialen Netzwerkseiten oder – wenn es ihn denn gibt – kann ganz leicht umgangen werden.

Saskia Rößner: Welche Bedenken gibt es aus Sicht der Suchtforschung beim Streaming von Slot Machines?

Slot Machine Streams als Trigger für Glücksspielsucht

Dr. Tobias Hayer: Auf jeden Fall. Anbieter*innen und zum Teil auch Influencer*innen verdienen umso mehr Geld, je mehr, exzessiver und süchtiger die Leute spielen. Da reicht es meiner Ansicht nach nicht aus, wenn ein*e Influencer*in nach drei Stunden Zocken mal kurz sagt: „Macht das lieber nicht. Das ist dumm!“ Diese Botschaft verhallt vor dem Hintergrund der oben genannten psychologischen Tricks und der Glorifizierung des Glücksspiels, die hier stattfindet.

Die Glücksspielforschung zeigt ganz klar noch ein weiteres Gefahrenmoment auf: Werbung für und Streaming von Glücksspielangeboten fungieren als Trigger für ehemals Glücksspielsüchtige. Wenn sie damit konfrontiert werden, erhöht das die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls. Die Algorithmen, die entscheiden, welche Werbeanzeigen und welche Videoempfehlungen uns angezeigt werden, machen leider auch nicht vor dieser vulnerablen Gruppe Halt.

Mehr Sensibilisierung, mehr Moral

Saskia Rößner: Was würden Sie sich persönlich im Hinblick auf die Digitalisierung von Glücksspielangeboten wünschen?

Dr. Tobias Hayer: Ich habe vor allem drei Wünsche. Der erste Wunsch: Es gibt inzwischen zwar einige gute Presseberichte und Reportagen über die Geschäftsmodelle von Glücksspielanbieter*innen und Influencer*innen. Ich wünsche mir aber eine stärkere öffentliche Diskussion über dieses Phänomen. Das Thema muss im Sinne der Aufklärung vom Graufeld ins Hellfeld kommen. Nur so können breite Bevölkerungsschichten erreicht werden und vor allem auch Eltern und Lehrkräfte für die Risiken sensibilisiert werden.

Mein zweiter Wunsch: Ich habe das Gefühl, die Streamer*innen wissen ganz genau, was sie da machen. Und in aller Regel wissen sie auch ganz genau, woher das Geld kommt, dass sie in diesem Kontext verdienen. Da wünsche ich mir ein Stück weit mehr soziales Gewissen und Moral.

Game Over in Leucht-Buchstaben

Foto: Saskia Rößner / webcare+

Glücksspielstaatsvertrag muss nachgebessert werden

Mein dritter Wunsch ist eine Nachbesserung des Glücksspielstaatsvertrages. Wir haben seit Juli 2021 einen Glücksspielstaatsvertrag, der alle möglichen Formen von Online-Glücksspiel legalisiert hat. Darin ist meiner Einschätzung nach das Thema Werbung viel zu offen angegangen worden. Die Glücksspiel-Anbieter*innen haben viel zu viele Freiräume. Social Media Marketing findet zudem nur in einem kleinen Absatz und dort auch nur am Rande Erwähnung: Die Empfehlungslinks sind an einer Stelle eingeschränkt worden. Die Vergütung darüber darf nicht mehr variabel gestaltet sein, also umsatz-, einsatz- oder einzahlungsabhängig.

Diese Einschränkung begrüße ich. Das ist der richtige Weg. Aber davon unberührt bleiben feststehende Vergütungen, beispielsweise pro Neukund*in 5 Euro. Das ist weiterhin erlaubt und ich finde, diese Lücke sollten die Gesetzgeber*innen schließen. Kurzum: Glücksspiel-Werbung sollte einerseits viel restriktiver behandelt werden. Anderseits sollte Social Media Marketing noch einmal breiter in den Glücksspielstaatsvertrag aufgenommen werden.

Saskia Rößner: Das wünschen wir uns auch, Herr Dr. Hayer. Vielen Dank für das Interview.

Hilfeangebote bei Glücksspielsucht

  • Infomaterialien der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. zu Glücksspielsucht
  • Liste der Beratungsstellen in Hessen (PDF, 122 KB)
  • Beratungsstellen nach Postleitzahl
  • Bundesweite Hilfeseite der Landeskoordinierungsstellen Glücksspielsucht
  • Selbsttest in nur wenigen Minuten: Wie riskant ist Deine Teilnahme an Glücksspielen?
  • Professionelle Online-Beratung per E-Mail oder Chat sowie häufig gestellte Fragen (FAQ)
  • Infotelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: 0 800 – 137 27 00 (montags bis donnerstags 10 bis 22 Uhr, freitags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, kostenlos und anonym)
  • Selbsthilfe-Telefon der anonymen Spieler*innen: 0 18 05 – 10 40 11 (täglich 19 bis 21 Uhr, 14 Cent pro Minute aus dem deutschen  Festnetz, abweichende Mobilfunkpreise)
  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen kann eine große Erleichterung und zugleich Unterstützung sein. Eine Liste von Selbsthilfegruppen findest Du bei den anonymen Spieler*innen oder beim Fachverband Glücksspielsucht.
Social Madia App-Symbole auf einem Smartphone Machen viele Social Media-Freundschaften glücklich? Vogelhaus Auxilium Reloaded – Wohngruppe für Menschen mit riskantem Medienkonsum
Diesen Artikel Teilen auf:
Interessante Beiträge

Du hast Fragen oder Anregungen?

Schreib uns gerne eine Nachricht, wir helfen Dir weiter.