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Foto: Hybrid / Unsplash.com

Machen Digitalen Medien depressiv? Über Internetnutzung und psychisches Wohlbefinden

13 August 2020

Lesezeit 8 Minuten

Macht das Internet uns glücklich? Oder unglücklich? Vielleicht auch beides oder nichts von beidem? Darüber diskutieren nicht nur Eltern mit ihren Kindern, sondern auch pädagogische Fachkräfte, Wissenschaftler*innen und die Öffentlichkeit. Sogar Bücher titeln einen Zusammenhang zwischen digitalen Medien, Unbehagen und sogar Depression. Doch gibt es so einen Zusammenhang wirklich?

„Eine Studie hat herausgefunden, dass…“

Zahlreiche Studien haben sich dieser Frage bereits gewidmet, jedoch leider oft mit geringer Fallzahl. Wenn nur wenige Menschen an einer Studie teilnehmen, sind ihre Ergebnisse für sich allein genommen nur bedingt gültig. Aussagen wie „Eine Studie hat herausgefunden, dass…“ sind in diesem Falle daher eher unangebracht. Auch wenn so ein knackiges Statement in der medialen Berichterstattung vielleicht viel besser ankommt als eine lange und komplizierte Erklärung.

Betrachten wir aber alle Studien gemeinsam und vergleichen ihre Ergebnisse, lassen sich daraus mitunter aussagekräftige Schlüsse ziehen. Und so eine Meta-Studie wurde letztes Jahr veröffentlicht. Das internationale Forschungsteam um Dong Liu (Australien, China und USA) hat sich 124 Studien angeschaut, die untersucht haben, wie sich unsere Internetnutzung auf unser psychisches Wohlbefinden auswirkt. Da die Veröffentlichung komplett auf Englisch ist, fassen wir hier die zentralen Aussagen für Dich zusammen.

Digitale Medien sind nicht alle gleich

Eines vorweg: Die Frage, ob Internetnutzung uns glücklich(er) macht oder für Depression verantwortlich sein kann, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Die Antwort ist etwas komplizierter. Denn es kommt darauf an, was Du im Internet nutzt. Und wie Du es nutzt. Das Forschungsteam hat sich fünf Nutzungsarten digitaler Medien angeschaut:

  • Telefonieren (phone calls (257 Studienteilnehmende)
  • SMS-Nachrichten schreiben (texting) (063 Studienteilnehmende)
  • Messenger nutzen (instant messenger / IM) (981 Studienteilnehmende)
  • Online Computerspiele spielen (online gaming) (329 Studienteilnehmende)
  • Soziale Netzwerkseiten nutzen (social network sites / SNS) (34.475 Studienteilnehmende)
Messenger-Symbol

Foto: Volodymyr Hryshchenko / Unsplash.com

Dass hier zwischen Texting und Messengern unterschieden wird, mag Dich vielleicht überraschen – uns zuerst auch. Aber die Begründung der Autor*innen finden wir überzeugend. SMS und Messenger unterscheiden sich in ihrer Nutzungsweise in mehreren Punkten: Die Nutzung von Messengern ist in der Regel kostenfrei, wir brauchen jedoch Internetempfang dafür. Messenger bieten die Möglichkeit zum Versand von Mediendateien, Sprachnachrichten und Videoanrufen. Die kleinen Häkchen unter unseren Nachrichten zeigen uns an, ob die Nachrichten übermittelt wurden und ob sie schon von den Empfänger*innen gelesen wurden. Das versetzt uns eine Erwartungshaltung, bald eine Antwort zu erhalten.

Was ist psychisches Wohlbefinden?

Psychisches Wohlbefinden wurde wie folgt definiert (übersetzt): „Ein Zustand des Wohlbefindens, in dem sich ein Individuum gut fühlt, basierend auf positiven Beziehungen zu anderen, einem Sinn fürs Leben, Selbstakzeptanz, persönlichem Wachstum, Autonomie und Umweltbeherrschung. Diese Zustände ermöglichen es den Menschen, ihr Potenzial zu nutzen, mit Stress umzugehen, produktiv zu sein und Beiträge für die größere Gemeinschaft zu leisten“ (S. 260). Um das psychische Wohlbefinden der Studienteilnehmenden zu messen, wurden folgende Aspekte untersucht:

  • Angstzustände (anxiety)
  • Depression (depression)
  • Einsamkeit (loneliness)
  • Stress (stress)
  • Selbstwertgefühl (self-esteem)
  • Lebenszufriedenheit (life satisfaction)

Digitale Medien machen nicht automatisch depressiv

Die 124 Studien, die vom Forschungsteam untersucht wurden, zeigen folgende Tendenzen:

  • Telefonieren könnte das Wohlbefinden steigern
  • SMS schreiben könnte das Wohlbefinden steigern
  • Messenger zeigten keinen Zusammenhang mit unserem Wohlbefinden
  • Computerspielen könnte das Wohlbefinden senken
  • Soziale Netzwerke könnten das Wohlbefinden sowohl positiv als auch negativ beeinflussen, je nachdem wie wir es nutzen

Dass Telefonieren und SMS schreiben einen positiven Effekt auf unseren Gemütszustand haben könnten, dürfte laut Forschungsteam daran liegen, dass wir dies hauptsächlich mit Menschen machen würden, die uns nahe stehen. Das heißt durch diese Nutzungsart digitaler Medien können enge persönliche Beziehungen – beispielsweise Familie oder gute Freund*innen – aufrechterhalten oder gestärkt werden.

Beim Online-Gaming und in sozialen Netzwerken sei unser Freundeskreis meist größer, die Bindung jedoch lockerer. Außer, wir kennen die Menschen persönlich und haben auch im analogen Leben häufig Kontakt zu ihnen. Bei Facebook sind wir jedoch oft mit über hundert Menschen befreundet. Einige davon kennen wir nur flüchtig oder haben sie schon seit unserer Schulzeit nicht mehr gesehen. Die Zeit, die wir hiermit verbringen, könnte möglicherweise Zeit mit engen Kontakten ersetzen, so die Vermutung des Forschungsteams. Das heißt die Zeit, die wir in Online Games oder sozialen Netzwerken verbringen, können wir nicht mit unserer Familie und unseren guten Freund*innen verbringen. Dadurch könnte unser Wohlbefinden sinken. Von einer echten Depression ist hier aber noch nicht die Rede.

Herz

Foto: Volodymyr Hryshchenko / Unsplash.com

Soziale Netzwerke und psychisches Wohlbefinden

Wie Dir sicherlich aufgefallen ist, gab es bei den sozialen Netzwerken einen Unterschied zwischen verschiedenen Nutzungsweisen. Hier unterschied das Forschungsteam nochmals in vier Kategorien:

  • Selbstdarstellung (self-presentation): Selfies, Storys, Statusmeldungen
  • Interaktion (interaction): Likes, Kommentare, Nachrichten, Teilen
  • Unterhaltung (entertainment, leisure use): Nutzung in der Freizeit, aus Langeweile, zum Beispiel Musik oder Videos
  • Passiver Konsum (content consumption, browsing): Rein passive Nutzung, Lesen über das Leben anderer Menschen, ohne zu reagieren / interagieren

Die untersuchten Studien deuten darauf hin, dass Selbstdarstellung, Interaktion und Unterhaltung mit einem gesteigerten Wohlbefinden zusammenhängen. Erklärbar sei dies eventuell dadurch, dass wir vorwiegend Positives von uns posten (Selbstwertgefühl) und Unterhaltung dafür geschaffen ist, Spaß zu machen – zumindest in der Theorie. Likes appellieren an unser Belohnungssystem und schütten unser körpereigenes Glückshormon Dopamin aus, wie wir in diesem Blogbeitrag erklärt haben.

Wer hingegen nur das Leben anderer Nutzer*innen mitliest (passive Nutzung) und sich von der geschönten Selbstdarstellung blenden lässt (sozialer Vergleich), wies in der Studie ein eher schlechteres Wohlbefinden auf.

Medienkompetenz für gesunde Mediennutzung

Dass die Mehrheit der Studien zu diesen Ergebnissen kommt, heißt jedoch nicht, dass das bei Dir genau so der Fall sein muss. Es kann genauso gut sein, dass Messenger-Nachrichten oder aktive Social Media Nutzung Dich eher stressen, Du dafür aber mehr Freude bei Computerspielen empfindest. Jeder Mensch ist einzigartig. Und so individuell ist auch Dein Umgang mit digitalen Medien und ihr Einfluss auf Dich.

Außerdem haben die untersuchten Studien zwar Zusammenhänge geprüft, jedoch keine Ursache-Wirkung-Richtung. Das heißt, die Mediennutzung könnte (!) für ein verändertes Wohlbefinden verantwortlich sein. Allerdings könnten Menschen je nach Wohlbefinden auch unterschiedliche Medientypen bevorzugen.

Zudem waren die Effekte, die in den Studien gemessen werden konnten, allesamt nur schwach ausgeprägt. Am Beispiel Computerspiele heißt das, dass sie vielleicht Dein Wohlbefinden senken könnten, aber sicherlich wirst Du durchs Gaming nicht gleich depressiv. Depression oder auch Computerspielsucht sind schwere Erkrankungen, deren Entstehung oft komplexe Ursachen hat.

Wenn Du Dich vor möglichen negativen Auswirkungen Deines Medienkonsums schützen möchtest, heißt das Zauberwort Medienkompetenz. Schau doch mal in den Gastbeitrag „Medienkompetenz ist was fürs Leben!“, du kannst ihn hier nachlesen.

Quelle

Dong Liu et al. (2019): Digital Communication Media Use and Psychological Well-Being: A Meta-Analysis, in: Journal of Computer-Mediated Communication, Volume 24, Issue 5, S. 259–273, https://doi.org/10.1093/jcmc/zmz013

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