Blog

Frau mit Flügeln

Foto: Daniel Salcius / Unsplash.com

Influencer*innen und ihre Follower zwischen Rollenklischees und Selbstverwirklichung

22 Oktober 2020

Lesezeit 8 Minuten

Wie gesund ist es, Influencer*in zu sein? Studien hierzu gibt es keine, zumindest konnten wir keine finden. Auch Dr. Maya Götz muss zugeben, dass es zum Themenkomplex Influencer*innen und Gesundheit bisher nur wenige Studien gibt. Die Medienwissenschaftlerin forscht unter anderem zu Instagram und Selbstinszenierung, auch speziell in Bezug auf Influencerinnen (w). Wir wollten von ihr wissen, welche Erkenntnisse und Tendenzen bisherige Forschungsarbeiten zur Gesundheit von Influencer*innenn und ihren Followern zulassen.

Saskia Rößner: Gesundheit hat viele Facetten. Wir können sie beispielsweise aus einer körperlichen oder aus einer geistigen Perspektive betrachten. Ein Teilaspekt geistiger Gesundheit ist unser Selbstwertgefühl. Wie sieht es damit bei Influencer*innen aus?

Dr. Maya Götz: Wir wissen aus internationalen Studien, dass die Selbstinszenierung in sozialen Medien zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit und des Stolzes führen kann. Das gilt vor allem dann, wenn ich gut vernetzt bin und viel positive Rückmeldung in Form von Likes oder Followern bekomme.

Gleichzeitig kann es zu einem Zweifel am eigenen Körper, Aussehen oder Leben kommen. Wir sehen all die perfekten Fotos von perfekten Menschen mit ihrem perfekten Leben. Im Vergleich dazu erscheint uns unser Leben als nicht gut genug. Allein das Durchscrollen von Instagram kann daher ein schlechtes Gefühl erzeugen und zu depressiven Gedanken führen, auch wenn das allein sicherlich keine Depression auslösen kann.

Social Media kann uns gleichzeitig bestärken und uns an uns selbst zweifeln lassen.

Inszenierugsmuster und Filter

Saskia Rößner: Sie haben sich auch mit Selbstinszenierung und Schönheits- und Körperidealen beschäftigt. Inwiefern sind Influencer*innen davon betroffen?

Dr. Maya Götz: In Kooperation mit der MaLisa Stiftung haben wir junge Frauen gefragt, was ihnen bei Social Media Posts wichtig ist. Da hat sich gezeigt, dass es ihnen darum geht, ein möglichst perfektes Bild von sich zu zeigen. Sie haben das Gefühl, das Profil sei wie ihre Visitenkarte. Die Bilder inszenieren sie daher mir sehr viel Aufwand. Beispielsweise 20 bis 50 Mal die gleiche Pose fotografieren und dann noch mit Filtern nachbearbeiten. Da fließt viel Energie rein.

Wir haben die Mädchen (14 bis 15 Jahre) auch gefragt, wo sie die Vorbilder herbekommen. Das sind die Influencerinnen. Ein Beispiel: Sich auf die Zehen stellen und die Beine überkreuzen. Dadurch sehen die Beine länger aus. Die Person, die fotografiert, liegt dann vielleicht noch auf dem Boden, um dem Körper optisch noch mehr Länge zu geben.

Daraufhin haben wir die Posten der 66 beliebtesten Influencerinnen untersucht. Da stellte sich raus, es gibt ein festes Repertoire an Posen, Gesten, Körperhaltung und Blickverhalten, die immer wiederkehren. Influencerinnen folgen also fixen Inszenierungsmustern und bewegen sich hier in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Das sind oft verdrehte Körperhaltungen und übereinandergeschlagene Beine. Mit beiden Füßen und hüftbreitem Stand selbstbewusst auf dem Boden zu stehen, kommt so gut wie nie vor. Und das machen Mädchen dann nach.

Influencerinnen und ihre post-feministische Maskerade

Saskia Rößner: Welchen Einfluss hat das auf die psychische Gesundheit von Social Media Nutzer*innen?

Dr. Maya Götz: In einer repräsentativen Umfrage unter Jugendlichen konnten wir sehen, dass sich fast alle Mädchen (etwa 90 %) in sozialen Medien möglichst fröhlich, schlank und natürlich darstellen. Und natürlich heißt für sie nicht naturnah, sondern gestellt. Filter nutzen etwa die Hälfte der Mädchen, aber auch viele Jungen. Mit solchen Filtern machen sie die Körper schlanker, die Beine länger, die Brust kleiner oder größer und das Gesicht wird nachbearbeitet.

Wenn so ein Foto hochgeladen wird, kommt eine ganz gemeine Feedbackschleife zustande: Je mehr Selbstinszenierung und Bearbeitung einem Foto vorangegangen ist, desto mehr positives Feedback bekommen sie. Im Umkehrschluss heißt das: So, wie Du eigentlich bist oder aussiehst, bist Du nicht gut genug. Erst nach der Bearbeitung bist Du schön. Das kann für das Selbstwertgefühlt fatal sein.

Diese Schleife schraubt sich immer weiter hoch. Anfang gibt es auf dem Profil noch Fotos mit Freund*innen, abenteuerliche oder lustige Fotos, Fotos mit normalen Körperproportionen und auch mal mit Pickeln. Am Ende bleibt dann nur noch ein ganz stereotypisches Bild schöner Weiblichkeit. Wir bezeichnet das in der Wissenschaft als post-feministische Maskerade.

Pfau

Foto: Philippe Oursel / Unsplash.com

Essstörungen: Trigger-Gefahr bei Influencer*innen

Saskia Rößner: Wirken sich solche Schönheitsideale auch auf die körperliche Gesundheit aus? 

Dr. Maya Götz: In Kooperation mit dem Bundesfachverband für Essstörungen haben wir Personen befragt, die aktuell wegen einer Essstörung in Behandlung sind. Das sind vor allem Mädchen und Frauen. Da haben 7 von 10 Patient*innen gesagt, dass die Inszenierung auf Instagram Einfluss auf ihr reales Leben hat. Sie haben genau diese Logik beschrieben, die ich eben erklärt habe: Positives Feedback auf verdünnte Körperbilder. Influencer*innen aus den Bereichen Fitness und Ernährung hatten für diese Personen eine immense Bedeutung. Ebenso Supermodels, die ihr Ziel verkörpert haben. So wollten sie auch aussehen.

Auf den Kanälen solcher Influencer*innen lassen sich zahlreiche Trigger einer Essstörung finden, beispielsweise winzige Mahlzeiten oder Kalorien-Tracking. Da wird das Leben mit einer Essstörung sozusagen vorgelebt. Patient*innen haben berichtet, dass sie dachten, es sei normal, so wenig zu essen und so viel zu trainieren. Essstörungen sind sehr komplexe Erkrankungen, Instagram oder andere soziale Medien sind da nicht alleine für verantwortlich, aber vielleicht auch nicht ganz unschuldig.

Unrealistische Schönheitsideale in Kindermedien

Saskia Rößner: Ist bei den Followern denn gar kein Bewusstsein vorhanden, dass die Social Media Welt oft nur ein beschönigtes Abbild der Wirklichkeit ist?

Dr. Maya Götz: Bei Instagram gibt es einen fiesen Effekt, den eine australische Studie herausgearbeitet hat. Sie haben Mädchen und jungen Frauen verschiedene Bilder vorgelegt, bearbeitete und unbearbeitete. Unabhängig davon ob sie wussten, dass die Bilder bearbeitet sind, fanden die Frauen die bearbeiteten Bilder nicht nur schöner, sondern auch natürlicher. Das heißt unser Bild von einer schönen und natürlichen Frau ist stark verschoben.

Das ist schon ganz früh angelegt. Denken wir zum Beispiel an die Zeichentrickfiguren aus Kinderserien. Die Hälfte aller weiblichen Zeichentrickfiguren im deutschen Fernsehen hat eine viel zu dünne Körpermitte. Mädchen wachsen also mit einem Körperbild auf, das überhaupt nicht mit dem übereinstimmt, wie wir Menschen eigentlich aussehen.

In der Phase vor der Pubertät lässt sich nachweisen, dass die Mädchen davon ausgehen, dass sie irgendwann mal so toll aussehen werden wie die Frauen in den Medien. Sie wachsen voller Selbstbewusstsein auf, um dann festzustellen, dass sie so doch nicht aussehen (können). Dann stellt sich die Frage, wie sie mit dieser Kränkung umgehen. Das kann gesundheitlich in einen sehr schwierigen Bereich hineinführen.

Flamingo

Foto: Ansie Potgieter / Unsplash.com

#NoFilter und #BodyPositivity

Saskia Rößner: Was ist denn mit Trends wie Body Positivity oder #NoFilter? Haben die einen positiven Einfluss auf unser seelisches und körperliches Wohlbefinden und damit auch auf unsere Gesundheit?

Dr. Maya Götz: Bei den Patient*innen mit Essstörung gibt es einige, die sagen, das habe ihnen sehr geholfen. Da sieht man auch mal Orangenhaut oder die ganz normalen Wülste am Bauch, wenn man sitzt. Was ich bei Instagram sehe, ist auch erlaubt, so das Gefühl. Das heißt jede Form von Body Positivity hilft.

ine US-amerikanische Studie hat allerdings gezeigt, wie sehr auch diese Bilder gefiltert sind. Die Frauen, denen das gezeigt wurde, waren sich danach noch sicherer, dass ihr eigener Körper nicht reicht. Das schlägt dann also genau ins Gegenteil um. Wenn alle filtern, gibt mir das das Gefühl, ich müsste auch filtern, damit ich nicht mehr so hässlich bin. Dennoch:

Jede Repräsentation der real existierenden Diversität ist wichtig und hilfreich.

Geschlechterrollen für Influencerinnen aus den 60er Jahren

Saskia Rößner: Gilt das nur für das Aussehen von Influencer*innen oder auch für das, was sie machen? Die Möglichkeit der Selbstverwirklichung kann ja auch einen Beitrag zu psychischer Gesundheit leisten.

Dr. Maya Götz: Beides! Bei Influencerinnen ist es ein stark eingeschränkter Rahmen, der Frauen vor allem in häuslicher Umgebung und in Partnerschaft zeigt. Die Bereiche, in denen sie sich inszenieren und selbstwirksam werden können, sind dann Mode, Make Up, Lifestyle und ähnliches. Aber in Politik oder Naturwissenschaften sehen wir sie beispielsweise so gut wie gar nicht.

Das hängt auch mit dem Finanzierungsmodell zu tun. Influencer*innen*innen finanzieren sich über Werbung. In dem Moment, in dem eine Influencerin sich politisch äußert, springen ihr womöglich Werbekund*innen ab. Die Marketingabteilungen haben da scheinbar Sorge, dass ihre Marke Schaden nehmen könnte.

Jungen und Männer haben da deutlich mehr Möglichkeiten. Sie können sich auch im unterschiedlichsten Alter präsentieren. Bei den Frauen gibt es kaum eine, die sich jenseits der 40 oder 50 noch erfolgreich als Influencerin in den sozialen Medien inszenieren kann. Bei Männern ist das absolut möglich. Sie haben eine Themenvielfalt, können mit verschiedensten Körperlichkeiten auftreten und sich mit verschiedensten Teilen ihrer Identität inszenieren.

Das führt zu einer Re-Traditionalisierung von Geschlechterrollen auf Social Media. Das erinnert eher an die 1960er Jahre als an ein modernes 2020. Natürlich gibt es Ausnahmen, Influencerinnen, die aus diesem Schema ausbrechen – aber das sind dann nicht die Großverdienenden.

Schriftzug: You are beautiful! Du bist schön!

Foto: Lucas Sankey / Unsplash.com

Hate Speech gegen Influencerinnen

Saskia Rößner: Wer im öffentlichen Leben steht, bekommt mitunter auch Fanpost. Wie sieht das bei Influencer*innen aus? Im Internet ist der Umgangston ja leider manchmal alles andere als höflich.

Dr. Maya Götz: Frauen sind in sozialen Netzwerken einer ungleich körperlichen Aggression ausgesetzt. Die Hassnachrichten sind oft sehr körperbezogen, sexistisch und brutal. Die angedrohte Vergewaltigung gehört in den normalen Erfahrungsbereich von Influencer*innen.

Dabei gilt: Je traditioneller das weibliche Rollenbild ist, in dem sie sich inszenieren, desto sicherer sind sie vor solchen Anfeindungen. Wer allerdings in den Bereich Politik geht oder sich kritisch äußert, wird häufig gezielt von Troll-Fabriken angegangen mit dem Ziel, zum Schweigen gebracht zu werden.

Das schlägt sich selbstverständlich auch auf das Wohlbefinden nieder. Und leider führt das dazu, dass wir die Stimme von Frauen in den sozialen Medien nicht mehr beziehungsweise nur verzerrt hören, weil viele sich gar nicht (mehr) trauen, ihre Meinung zu sagen und ihren eigentlichen Interessen nachzugehen.

Medienkompetenz für Influencerinnen und Follower

Saskia Rößner: webcare+ will Medienkompetenz fördern. Was bedeutet Ihrer Ansicht nach Medienkompetenz für Influencer*innen und Follower?

Dr. Maya Götz: Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Wir reden bei Influencer*innen auch von Verantwortung.

Manche sagen: „Ich fühle mich gar nicht verantwortlich. Ich inszeniere mich selbst, ich will gar kein Vorbild sein.“ Aber sie sind es!

Medienkompetenz heißt hier, dass Influencer*innen sich trauen, sich in ihrer Einzigartigkeit inszenieren. Wir müssen nicht aussehen, wie alle anderen oder wie die retuschierten Mode-Schönheiten. Laufsteg-Model zu sein, ist wie Leistungssport. Nur eine von 40.000 Frauen hat so einen Körperbau, das ist also eine absolute Ausnahme und keine normale Figur für eine Frau.

Frauen sind einzigartig, individuell und  dürfen stolz auf ihren Körper sein. Wir vergleichen uns beim Sport ja auch nicht mit Olympia-Sieger*innen. Frauen dürfen sagen, was sie denken, was sie meinen und sich auch politisch äußern. Also zurück zu Einzigartigkeit und zurück zur echten Natürlichkeit.

Für Follower heißt Medienkompetenz in diesem Zusammenhang: Influencer*innen sind Profis mit einem anstrengenden Leben, von dem wir nicht alles zu sehen bekommen. Und was wir von ihnen zu sehen kriegen, sollten wir immer wieder kritisch reflektieren. Wir dürfen uns nicht damit vergleichen, denn dabei können wir nur verlieren.

Und eigentlich ist Schönheit ja auch gar nicht so wichtig im Leben. Für ein erfolgreiches und glückliches Leben sind andere Dinge doch viel wichtiger.

Themenreihe Influencer*innen

Dieses Interview wurde im Rahmen unseres Themenmonats zu Influencer*innen durchgeführt. Weitere Beiträge in dieser Reihe sind:

Zum Nachlesen

Emoji Luftballons Influencer*innen in der Suchthilfe: Chance oder Herausforderung? Kind mit Spielzeug Kidfluencer*innen zwischen kostenlosem Spielspaß und kommerzialisierter Kindheit
Diesen Artikel Teilen auf:
Interessante Beiträge

Du hast Fragen oder Anregungen?

Schreib uns gerne eine Nachricht, wir helfen Dir weiter.