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Kind mit Spielzeug

Foto: Tanaphong Toochinda / Unsplash.com

Kidfluencer*innen zwischen kostenlosem Spielspaß und kommerzialisierter Kindheit

15 Oktober 2020

Lesezeit 7 Minuten

Die Kinderstars des 21. Jahrhunderts sind Kidfluencer*innen: Kinder-Influencer*innen. Bereits die ganz Kleinen können Follower-Zahlen haben, bei denen manch Erwachsenen schwindelig wird. Wie ist das Leben als Kidfluencer*in? Ist eine normale Kindheit noch möglich? Und wie beeinflusst das Kidfluencer*innen-Dasein das Verhältnis zu digitalen Medien?

Wir haben Dr. Iren Schulz interviewt. Sie ist promovierte Medienpädagogin und selbst Mutter. Neben ihrer Tätigkeit als Mediencoach bei der Initiative Schau hin! gestaltet sie als freie Dozentin im Bereich Medienkompetenz und Medienbildung deutschlandweit Workshops und Projekte. An der Universität Erfurt ist Dr. Iren Schulz Dozentin im Masterstudiengang Kinder- und Jugendmedien und im Studiengang Pädagogik der Kindheit.

Iren Schulz

Dr. Iren Schulz. Foto: Delf Zeh.

Schon die ganz kleinen können Kidfluencer*innen werden

Saskia Rößner: Der Begriff Kidfluencer*innen bezeichnet Kinder, die zu Influencer*innen werden. Von welchem Alter sprechen wir hier? Wie jung sind Kidfluencer*innen?

Dr. Iren Schulz: So fragwürdig das ist, ich fürchte nach unten ist da keine Grenze gesetzt. Der zurzeit am besten verdienende YouTuber ist ein achtjähriger Junge. Ich kenne aber auch deutlich jüngere Kinder. Sobald Kinder spielen können oder kameratauglich sind, tritt dieses Phänomen bereits auf. Das ist ja relativ früh, oft noch bevor sie laufen lernen.

Saskia Rößner: So junge Kinder sagen ja nicht „Mama, ich will Influencer*in werden!“. Die Initiative liegt da vermutlich eher bei den Eltern. Welche Motivation steckt dahinter?

Dr. Iren Schulz: Ja, ich würde unterscheiden zwischen der Motivation der Eltern und der Motivation der Kinder. Da kann es eine Schnittmenge geben, aber die können auch ganz weit auseinander gehen. Generell gilt: Je jünger die Kinder, desto eingeschränkter die Motivationsfähigkeit. Bei den Kindern ist die Hauptmotivation das Spielzeug, das sie zugeschickt bekommen und auspacken dürfen. In zweiter Reihe vielleicht noch das Erfolgserlebnis, dass sie über ihre Eltern vermittelt bekommen. Aber das Spielen ist da sehr viel wichtiger.

Bei den Eltern ist die Motivation ausdifferenzierter. Es gibt einerseits Argumente wie „mein Kind spielt gerne“, „wir haben Spaß dabei“ und „ich habe mein Kind gefragt, ob es das machen will“. Hier wird der Spielspaß und das gemeinsame Erlebnis in den Vordergrund gestellt. Ich bin mir allerdings sicher, dass da immer auch monetäre Interessen dahinterstehen, also das Geldverdienen. Diesen Aspekt darf man bei der Frage nach der Motivation nicht vernachlässigen.

Kind mit Spielzeug

Foto: Daiga Ellaby / Unsplash.com

Kidfluencer*innen verdienen tausende Euro

Saskia Rößner: Von was für einem Einkommen reden wir da? Wie viel verdienen Kidfluencer*innen?

Dr. Iren Schulz: Ich habe eben ja schon den achtjährigen YouTuber erwähnt. Der hat letztes Jahr 22 Millionen US-Dollar verdient, ist aber die absolute Spitze. Bei den „normalen“ Kidfluencer*innen reicht die Spanne von mehreren Tausend Euro jährlich bis hin zu sechsstelligen Beträgen. Ich finde so eine Kommerzialisierung der Kindheit jedoch hoch problematisch. Es kann nicht sein, dass ein Kind das Familien-Einkommen erwirtschaftet. Das müssen wir den Eltern klar machen.

Saskia Rößner: Influencer*in zu sein, kann unglaublich zeitintensiv sein. Was macht das mit einem Kind? Ist eine „normale“ Kindheit in so einem Fall überhaupt noch möglich?

Dr. Iren Schulz: Ich möchte das Phänomen Kidfluencer*innen nicht verteufeln, aber es gibt da auf jeden Fall zwei Seiten. Natürlich spielen Kinder gerne. Aber dem Spielspaß, Erfolgserleben und Geldverdienen von Kidfluencer*innen sind pädagogische und juristische Grenzen gesetzt: Kindheit ist eine schützenwerte Lebensphase, dafür haben wir in Deutschland Gesetze.

Zudem können Kinder die Konsequenzen ihres Handelns noch nicht (vollumfassend) abschätzen. Vor allem, wenn es um so etwas Abstraktes wie Onlinesein, Social Media und Marketing geht. Folglich sind Eltern damit beauftragt, die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder zu wahren, zumindest bis sie 14 Jahre alt sind. Und sie haben dafür Sorge zu tragen, dass die Kindheit ein geschützter und schöner Lebensraum fürs Aufwachsen ist.

Da geraten Kidfluencer*innen und ihre Familien an Grenzen. Es geht da zum einen um das Arbeitszeitaufkommen, das gesetzlich geregelt ist. Kinder bis 15 Jahre dürfen täglich maximal zwei Stunden arbeiten, jedoch nicht zwischen 8 und 18 Uhr oder während der Schulzeit. Wenn wir uns die Praxis angucken, wird das hier und da sicherlich nicht eingehalten.

Zum anderen: Die Kinder sagen zwar jetzt, dass sie das toll finden und dass ihnen das Spaß macht. In zehn Jahren stehen sie dazu vielleicht aber ganz anders. Dann lässt sich die Kidfluencer*innen-Karriere aber nicht mehr rückgängig machen. Was im Internet geteilt wird, kann Grundlage werden für Mobbing, Shitstorms oder sexuell ausgerichtete Onlineaktivitäten. Es ist also eine sehr große Verantwortung, die Eltern da für ihre Kinder tragen.

Spielzeug

Foto: Vanessa Bucceri / Unsplash.com

Kinderheit und digitale Rechte von Kindern schützen

Saskia Rößner: Gibt es abgesehen vom Arbeitsschutz noch andere Schutzmechanismen, die beim Thema Kidfluencer*innen greifen?

Iren Schulz: Es gibt noch die UN-Kinderrechtskonvention, die Kinderrechte auch im digitalen Raum schützt. Hier geht es allerdings nicht direkt um YouTube, Instagram oder Influencer*innen. Da sind die Gesetzgeber*innen noch hinterher. Die Frage ist allerdings auch, wie sich so etwas überhaupt gesetzlich regeln lässt. Gesetze sind in der Regel national. Social Media Plattformen und Nutzer*innen agieren aber weltweit. Ich wünsche mir, dass Gesetze da flexibler und schneller an solche Entwicklungen angepasst werden. Und dann braucht es aber auch noch die anderen Akteur*innen: Familie, Kindergarten und Schule müssen über die Risiken für Kidfluencer*innen aufklären.

Saskia Rößner: Was schätzen Sie, wie sich das Kidfluencer*innen-Dasein auf die Medienwahrnehmung und Mediennutzung von Kindern auswirkt?

Iren Schulz: Studien gibt es dazu nicht, da Kidfluencer*innen noch ein sehr junges Phänomen sind. Es ist auch nicht ganz einfach, Studien in diesem Bereich durchzuführen. Kinder sind ja ein sehr sensibles Forschungsobjekt. Da gibt es viele ethische Kriterien, die erfüllt sein müssen. Zudem ist auch der Zugang zu den Studienteilnehmer*innen schwierig.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Kinder eine hohe Affinität zu Medien entwickeln. Dass sie aufwachsen mit der Selbstverständlichkeit, ihren Alltag in Fotos festzuhalten und diese in sozialen Medien zu teilen. Aus psychologischer Perspektive ist aber auch klar, dass es zu Brüchen kommt und sie irgendwann sagen: „Mir reicht es jetzt, ich will nicht mehr!“ Dass sie einfach nur noch Kind sein wollen. Vielleicht auch erst später in der Jugendzeit, sozusagen als Rebellion gegen ihre Eltern.

Kidfluencer*innen zwischen Selbstverständlichkeit und Sensibilisierung

Saskia Rößner: Vielleicht entwickeln Kidfluencer*innen auch eine erhöhte Sensibilität für die psychologischen und Marketing-Tricks der Influencer*innen-Welt. Wäre es denkbar, dass sie in ihrem späteren Leben für parasoziale Beziehungen und versteckte Kaufappelle weniger anfällig sind?

Iren Schulz: Auch dazu kenne ich keine Studien, halte es jedoch für möglich. Kidfluencer*innen haben ja den Einblick ins Innere der Influencer*innen-Maschinerie. Sie sehen, was dahinter steckt. Und je älter sie werden, desto mehr können sie verstehen, Zusammenhänge herstellen und hinterfragen. Aber vielleicht ist das auch nur hehres pädagogisches Wunschdenken.

Wahrscheinlich hängt das nicht zuletzt auch vom Verhalten der Eltern ab. Das Gespräch mit und das Begleiten von Kindern bei der Mediennutzung sind elementar dafür, dass sie sich sicher in Medien bewegen können. Was Influencer*in-Sein in Gänze bedeutet, müssen Eltern eingehend mit den Kindern besprechen. Und sie müssen klare Grenzen zum Wohl des Kindes setzen. Dabei ist aber wichtig zu beachten: Natürlich finden Kinder Spielzeug und Fotos/Videos erstmal toll. Die Naivität und Begeisterungsfähigkeit von Kindern darf man als Elternteil nicht falsch verstehen und erst recht nicht ausnutzen.

Mutter spielt mit Kindern

Foto: Marisa Howenstine / Unsplash.com

Saskia Rößner: An wen können sich Kinder, Jugendliche, Angehörige oder Bekannte wenden, wenn sie den Eindruck haben, dass Eltern es mit dem Kidfluencing übertreiben? Und wo können Eltern sich beraten lassen, wenn ihre Kinder Influencer*innen werden wollen?

Iren Schulz: Wenn etwas schief läuft, kann man das zum Beispiel bei jugendschutz.net melden. Auch die Nummer gegen Kummer könnte eine Anlaufstelle sein. Jugendliche können sich an Juuuport wenden, eine Beratungsstelle von Jugendlichen für Jugendliche. Regionale Familien- oder Erziehungsberatungsstellen sind ebenfalls eine gute Möglichkeit, sich Hilfe zu holen. Die sind im Bereich Medien inzwischen recht gut aufgestellt.

Themenreihe Influencer*innen

Dieses Interview wurde im Rahmen unseres Themenmonats zu Influencer*innen durchgeführt. Weitere Beiträge in dieser Reihe sind:

Frau mit Flügeln Influencer*innen und ihre Follower zwischen Rollenklischees und Selbstverwirklichung Ananas mit Sonnenbrille und Luftballons Was ist denn nun ein*e Influencer*in? Über Definitionsprobleme und Selbsteinschätzung
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