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Roter Lichtwirbel in einer Ruine

Foto: Miguel Oros/Unsplash

Game Flow: Versinken im Computerspiel

25 Juni 2020

Lesezeit 7 Minuten

Vor kurzem haben wir einen Blogartikel über „Games for Health: Serious Games für die Gesundheit“ veröffentlicht. Bei unseren Recherchen dazu ist uns der Ausdruck Game Flow begegnet. Sportmediziner Josef Wiehmeyer reißt das Thema kurz in seinem Buch „Serious Games für die Gesundheit. Anwendung in der Prävention und Rehabilitation im Überblick“ an. Das fanden wir so spannend, dass wir uns das einmal genauer anschauen wollten.

Work Flow: Hochkonzentriertes Arbeiten

Den Begriff Work Flow kennst Du vielleicht schon. Dahinter steckt die Flow-Theorie des Psychologen Mihály Csíkszentmihályi. Dr. Alexander Markowetz von der Uni Bonn fasst sie in seinem Buch „Digitaler Burnout“ zusammen: Im Flow bist Du nicht nur zu geistigen und kreativen Höchstleistungen fähig, sondern kannst auch ein tiefes Glücksgefühl verspüren, so Markowetz. In den Flow-Zustand kommst Du allerdings erst nach 15 Minuten und nur unter bestimmten Voraussetzungen (Zielsetzung, Konzentration, Forderung). Mehr dazu kannst Du in unserem Blogbeitrag „Zerstückelter Alltag: Wie das Smartphone unsere Konzentration beeinflusst“ lesen.

Work Flow und Game Flow

Auf den ersten Blick scheinen Work Flow und Game Flow sehr ähnlich zu sein. Wiehmeyer schreibt über digitale Spiele: „Bei geeigneten Bedingungen kann sich ein Flow-Erlebnis einstellen, das heißt Spielende werden vollständig vom Spiel gefesselt, verlieren das Gefühl für die Zeit und erleben sich selbst als (kompetente) Urheber ihrer Handlung.“ Das klingt doch fast wie beim Work Flow, oder? Weiter unten (S. 16) bringt Wiehmeyer dann auch die Zielsetzung, Konzentration und das Forderungsmaß ins Spiel:

Game Flow: Während des Spielens taucht man in das Spiel ein, hat das Gefühl, im Spiel selbst anwesend zu sein, mit den Spielfiguren (inter-) agieren und die Spielobjekte manipulieren zu können. Dabei stellen sich Flow- beziehungsweise Game Flow-Erlebnisse ein, welche unter anderem geprägt sind von klaren Zielen, eindeutigem und unmittelbarem Feedback, Konzentration auf das Spiel, Gefühl der Kontrolle über das Spiel und Verlust des Zeitgefühls. Im Extremfall können auch Spielsucht und Spielabhängigkeit entstehen.“

Beim Stichwort „Spielsucht“ wurden wir natürlich hellhörig. Leider geht Wiehmeyer in seinem Buch nicht weiter darauf ein. Deswegen haben wir uns mal die Urheber der Game Flow Theorie angesehen, besser gesagt ihren Artikel dazu.

Das Game Flow Modell nach Sweetser/Wyeth

Penelope Sweetser und Peta Wyeth von der Universität Queensland (Australien) haben 2005 ein Modell entwickelt, um den Spielspaß von Computerspielen zu verstehen und zu bewerten: Den Game Flow. Dazu haben die beiden Forscherinnen gründlich recherchiert, welche Faktoren für ein gutes Spielerlebnis schon in der Literatur vorhanden sind. Diese haben sie mit der allgemeinen Flow-Theorie von Csíkszentmihályi verknüpft. Im Ergebnis enthält ihr Game Flow Modell acht Elemente:

Die 8 Elemente des Game Flow nach Sweetser/Wyeth:

  1. Konzentration (concentration)
  2. Herausforderung (challenge)
  3. Fähigkeiten (skills)
  4. Kontrolle (control)
  5. Klare Zielsetzung (clear goals)
  6. Rückmeldung (feedback)
  7. Eintauchen / Vertiefen (immersion)
  8. Soziale Interaktion (social  interaction)
Ein Mann mit Dreadlocks sitzt auf einem Hocker, beugt sich nach vorne und hält einen Spiele-Controller in der Hand, aus dem Blitze schließen. Der Gamer guckt hoch konzentriert.

Foto: sik-life/pixabay

Jedes dieser acht Elemente beinhaltet eine Reihe von Kriterien für ein gutes Spielerlebnis. Diese sind so umfangreich, dass wir sie hier nicht alle aufzählen möchten. Exemplarisch möchten wir euch jedoch die Kriterien für den siebten Punkt, das Eintauchen / Vertiefen vorstellen. Aus Perspektive der Suchtforschung sind diese Kriterien vermutlich die spannendsten am Game Flow Modell.

Kriterien für das Eintauchen / Vertiefen (Immersion):

  • „Spielende sollten sich beim Spielen ihrer Umgebung weniger bewusst werden.“
  • „Sie sollten sich weniger selbst bewusst werden und sich weniger Sorgen um den Alltag oder sich selbst machen.“
  • „Spielende sollten ein verändertes Zeitgefühl erleben.“
  • „Sie sollten sich emotional in das Spiel involviert fühlen.“
  • „Spielende sollten sich viszeral in das Spiel involviert fühlen.“

Der letzte Punkt ist etwas schwieriger zu verstehen. Wir versuchen mal, es zu erklären: Viszeral bedeutet im medizinischen Sinne, dass etwas zu den Eingeweiden oder zum limbischen System dazugehört. Das limbische System ist wiederum ein Teil des Gehirns. Es ist beteiligt an der Verarbeitung von Gefühlen und dem Entstehen von Trieben. Außerdem ist es für die Ausschüttung von Endorphinen verantwortlich.

Game Flow, Endorphine und Suchtrisiko

Endorphine sind quasi unsere körpereigenen Opioide. Diese wirken ähnlich wie das Rauschmittel Opium und heißen daher auch Opioide = „dem Opium ähnlich“. Unser Körper produziert die Endorphine beispielsweise zur Schmerzunterdrückung.

Opioide lassen sich allerdings auch von außen dem Körper zufügen. Entweder zu therapeutischen Zwecken, also beispielsweise zur Linderung von Schmerzen bei einer schweren Erkrankung oder nach einem schlimmen Unfall. Möglich ist jedoch auch ein Missbrauch, der zu einer Sucht führen kann. Die Opioid-Abhängigkeit ist sogar im internationalen Diagnosekatalog ICD aufgelistet.

Wir möchten Sweetser und Wyeth nicht unterstellen, dass sie aktiv ein Suchtrisiko von Computerspielen fordern. Immerhin haben sie das Game Flow Modell aus bereits vorhandenen Forschungsergebnissen zusammengestellt und es sich nicht selbst ausgedacht. Außerdem erfüllt unser körpereigenes Opioid Endorphin eine wichtige Funktion in unserem Körper. Eine Ausschüttung dessen anzustreben, ist also erstmal nicht verwerflich. Und ein Großteil der Bevölkerung spielt ja immerhin auch Computerspiele (und erlebt vielleicht sogar regelmäßig einen Game Flow), ohne dass sie direkt süchtig werden.

das Wort Play in Leuchtbuchstaben

Foto: Clem Onojeghuo/Unsplash

Suchtentstehung braucht mehr als Game Flow

Riskant wird es wohl erst dann, wenn andere Faktoren hinzukommen. Denn die Diagnosekriterien für eine Suchterkrankung umfassen mehr als nur ein Symptom. Sich durch den Konsum von negativen Ereignissen oder Gefühlen abzulenken, ist aber tatsächlich eines davon. Mehr zu den Kriterien für eine Computerspielsucht (Gaming Disorder) kannst Du in diesem Blogbeitrag nachlesen.

Aber auch so regt das Game Flow-Kriterium „Immersion“ zum Nachdenken an. Sweetser und Wyeth verweisen darauf, dass Spielende berichten, sie hätten „ganze Nächte oder Wochenenden dem Spielen gewidmet, ohne sich gleichzeitig dessen bewusst zu sein oder sich bewusst dafür zu entscheiden“. Außerdem würden Menschen mitunter spielen, „um sich nach einem anstrengenden Tag zu beruhigen oder um den alltäglichen Sorgen zu entkommen“. Spiele würden zudem oft als eine Form der Flucht aus der analogen Welt oder vor sozialen Normen angesehen.

In ihrer Summe stimmen uns diese Aspekte eines „guten Spielerlebnisses“ doch nachdenklich. Hier sind suchtartige Tendenzen – wie Wiehmeyer geschrieben hat – durchaus erkennbar.

Verwendete Literatur

Halb zugeklappter Laptop Internetabhängigkeit: Eigene Krankheit oder nur ein Symptom? Siluette eines Menschen, der sich betrübt an den Kopf packt Internetsucht und Einsamkeit: Gibt es einen Zusammenhang?
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