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Frau vor bunten Lichterstreifen

Foto. Ari He / Unsplash.com

Spiel- oder internetsüchtig? Die Mainzer Ambulanz für Spielsucht hilft

10 Dezember 2020

Lesezeit 7 Minuten

Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, bedeutet für viele Betroffene eine große Hürde. Dabei kostet der erste Schritt vermutlich am meisten Überwindung. Dass dieser gar nicht so schwierig ist, zeigt unser Interview mit der Ambulanz für Spielsucht der Uni Mainz. Die Spielambulanz bietet seit 2008 ein therapeutisches Angebot bei Glücksspiel, Computerspiel- und Internetsucht. Unsere Onlineredakteurin Saskia Rößner hat den wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Kai Müller gefragt, wer wie wo und wann Hilfe von der Spielambulanz bekommt.

Hilfe von der Spielambulanz: Erster Schritt

Saskia Rößner: Was ist der erste Schritt, wenn ich als Betroffene Hilfe von Ihnen in Anspruch nehmen will?

Dr. Kai Müller: Das ist ganz einfach: Einen Termin vereinbaren! Das geht über unser Sekretariat per Telefon oder E-Mail:

Dort bekommt man einen Termin für ein Erstgespräch mit unseren Mitarbeiter*innen. Bei dem Gespräch gucken wir, was der Stand der Dinge ist und wie wir helfen können.

Saskia Rößner: Stehen die Türen der Spielambulanz allen Menschen mit internetbezogenen Störungen offen?

Dr. Kai Müller:  Wir behandeln zurzeit nur Personen ab 17 Jahren, weil wir aktuell leider keine*e Kinder- und Jugendtherapeut*in angestellt haben.

Das Wort "Enter" (Eingabe, EIntritt) in Leuchtbuchstaben

Foto: jude Beck / Unsplash.com

Saskia Rößner: Kann ich Ihr Angebot nur annehmen, wenn ich in der Nähe wohne? Oder stehen Sie auch telefonisch, per Mail oder auf anderem Wege Menschen von weiter weg zur Seite?

Dr. Kai Müller: Wir sind eine Präsenz-Ambulanz. Für uns ist der direkte diagnostische Eindruck ganz wichtig. Deswegen können die Erstgespräche nur vor Ort bei uns in Mainz stattfinden.

Das Angebot der Ambulanz für Spielsucht ist kostenlos

Saskia Rößner: Sind Ihre Angebote kostenfrei?

Dr. Kai Müller: Selbst bezahlen muss bei uns niemand. Die Erstgespräche laufen über eine Überweisung vom Hausarzt und werden von den Krankenkassen bezahlt. Wenn jemand eine Therapie bei uns machen möchte, übernimmt die Kosten in der Regel die Deutsche Rentenversicherung.

Saskia Rößner: Bekomme ich sofort Hilfe oder gibt es eine lange Warteliste?

Dr. Kai Müller: Die Erstgespräche versuchen wir innerhalb von zwei Wochen unterzubringen.

Bei der Behandlung bieten wir eine Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie an. Für die Gruppenangebote warten wir, bis genug Betroffene mit derselben Erkrankung zusammenkommen. Also in diesem Fall Menschen mit Internetsucht. Am liebsten sind uns sogar Untergruppen, also beispielsweise nur Menschen, die von Online-Pornografie abhängig sind. Oder nur Personen mit einer Gaming Disorder.

Manchmal geht das ganz schnell, manchmal dauert es aber auch ein bisschen länger. Das ist also mal mit mehr, mal mit weniger Wartezeit verbunden. Länger als ein halbes Jahr sollte aber niemand warten müssen.

So sieht die Erstberatung der Ambulanz für Spielsucht aus

Saskia Rößner: Worauf muss ich mich in der ersten Beratungssitzung einstellen?

Dr. Kai Müller: Im Vorfeld schicken wir Fragebögen an die Betroffenen. Das sind zwar schon einige Seiten, davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Es geht hier nicht um einen Test wie in der Schule. Man kann nichts Falsches ankreuzen. Wir bitten die Betroffenen, die ausgefüllten Fragebögen zum Erstgespräch mitzubringen. Die gucken wir uns dann gemeinsam an und reden darüber.

Zunächst einmal finden wir in dem Gespräch heraus, was den Betroffenen im Internet Probleme bereitet. Beispielsweise Computerspiele oder soziale Medien. Und wir sprechen darüber, wie diese Probleme sich gestalten: Zum Beispiel sozial, finanziell oder beruflich. Uns interessiert natürlich auch, seit wann die problematische Nutzung besteht.

Leuchtende Kreise

Foto: James Thomas / Unsplash.com

Außerdem gucken wir uns an, welche Ressourcen die Betroffenen haben, die ihnen bei der Bewältigung der Erkrankung helfen können. Beispielsweise soziale Kontakte. Auch wichtig: Liegen andere (psychische) Erkrankungen vor, die wir bei der Behandlung berücksichtigen sollten?

Das Gespräch dauert etwa eine Stunde, manchmal ein bisschen länger. Am Ende besprechen wir mit den Betroffenen, wie wir verbleiben: Wollen sie eine Therapie bei uns machen? Ist eventuell ein stationärer Aufenthalt in einer Suchtklinik die bessere Wahl? Oder lässt sich die Problemlage vielleicht schon mit ein paar Beratungsgesprächen wieder in den Griff bekommen?

Je früher die Hilfe kommt, desto besser!

Saskia Rößner: Wie läuft eine Therapie in der Regel bei Ihnen ab? Wie lange dauert sie?

Dr. Kai Müller: Das ist ganz individuell. Generell gilt die Faustregel: Je länger die Erkrankung besteht, desto länger und intensiver muss vermutlich auch die Behandlung sein. Das liegt daran, dass sich das Störungsbild mit der Zeit immer fester gesetzt hat. Oft sind inzwischen auch viele Ressourcen (zum Beispiel der Job oder soziale Kontakte) weggebrochen. Dann wäre eine stationäre Therapie sinnvoll.

Bei vielen Betroffenen ist es aber glücklicherweise noch nicht so schlimm. Dann können wir gemeinsam zwischen einer ambulanten und einer stationären Behandlung abwägen. Es gibt auch Betroffene, die sich zeitnah vorstellen. Da reicht sicherlich eine ambulante Therapie aus, vielleicht sogar nur ein paar Beratungssitzungen.

Es ist also von unschätzbarem Wert, wenn sich Betroffene frühzeitig an Hilfestellen wenden. Nicht erst, wenn der Karren schon komplett im Dreck festsitzt. Lieber ein paar Schritte vorher den Schritt in eine Beratungsstelle wagen. Dann haben wir wesentlich mehr Optionen, die Probleme in den Griff zu bekommen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Je länger die Erkrankung besteht, desto länger und intensiver muss vermutlich auch die Behandlung sein. Es ist also von unschätzbarem Wert, wenn sich Betroffene frühzeitig an Hilfestellen wenden.

Selbsthilfegruppen sind wichtig und hilfreich

Saskia Rößner: Hat die Spielambulanz auch Kontakt zu Mediensucht-Selbsthilfegruppen?

Dr. Kai Müller: Grundsätzlich ja. Leider gibt es nicht so viele Selbsthilfegruppen für Internetsucht. Ich bin ein großer Fan von solchen Gruppen als Ergänzung zu einer Beratung oder Therapie. Oder auch im Anschluss an eine fertige Behandlung. Bei anderen Suchterkrankungen können wir sehen: Das gibt den Betroffenen zusätzliche Stabilität. Deswegen sind Selbsthilfegruppen so wichtig. Die Gruppen, die es hier gibt, zu denen haben wir Kontakt. Und wir versuchen dann auch, den Kontakt zu den Betroffenen herzustellen.

Es gab vor ein paar Jahren auch mal Online-Selbsthilfegruppen (unter anderem von webcare), die sich damals leider nicht halten konnten. Ich hoffe sehr, dass es diese in Zukunft wieder vermehrt geben wird. Das ist grundsätzlich eine gute Sache!

Das Wort "Change" (Wandel, Veränderung) in Leuchtbuchstaben

Foto: Ross Findon / Unsplash.com

Saskia Rößner: Was kann ich tun, wenn ich nach meiner Therapie rückfällig werde? Darf ich mich noch einmal bei Ihnen melden?

Dr. Kai Müller: Das kommt tatsächlich regelmäßig vor und wird in der Therapie auch besprochen. Ein Rückfall ist keine Ausnahme, sondern gehört zum Genesungsprozess auch dazu. Wir erarbeiten mit den Betroffenen sogenannte Rückfall-Notfall-Pläne. Die sehen unter anderem vor, dass wir bei einem Rückfall wieder als Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen.

Wir würden dann nochmal ein Einzelgespräch machen und schauen, wie wir verbleiben. Ist nochmal eine Therapie sinnvoll? Eventuell dieses Mal stationär? Oder lässt sich der Rückfall mit kleineren Maßnahmen überwinden? Auch hier können Selbsthilfegruppen eine tolle Hilfe sein.

Saskia Rößner: Vielen Dank für das Interview!

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