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Frau guckt mit ausgestreckten Armen zum Himmel

Foto: alfcermed / Pixabay.com

Hilft Achtsamkeit gegen Social Media-Sucht?

19 Mai 2022

Lesezeit 6 Minuten

In den 70er Jahren entwickelte der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabatt-Zinn ein Achtsamkeits-Training für gestresste Patient*innen des Uniklinikums Massachusetts. Inzwischen ist Achtsamkeit Bestandteil verschiedener Methoden in der Psychotherapie, der Medizin, der Pädagogik und mehr. Doch was versteckt sich hinter dem Konzept der Achtsamkeit eigentlich genau? Und was hat das mit Social Media-Nutzung zu tun? Können Achtsamkeits-Übungen beispielsweise gegen Mediensucht helfen?

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit soll uns dabei helfen, mit anderen Menschen und mit uns selbst gut umgehen zu können. Das Ziel von Achtsamkeit ist, Stress, Erschöpfung und psychischen Erkrankungen vorzubeugen oder diese zu behandeln. Zum Beispiel: Depressionen, Borderline-Störungen, Burnout, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder das chronische Erschöpfungssyndrom.

Allerdings ist Achtsamkeit kein Allheilmittel und hilft nicht immer und überall. Falsch angewendet können Achtsamkeits-Übungen bei schweren Erkrankungen sogar das Gegenteil bewirken. Zum Beispiel Flashbacks bei Traumata.

Doch wie sieht Achtsamkeit eigentlich konkret aus?

Achtsamkeit bedeutet, alles, was im Augenblick geschieht, bewusst wahrzunehmen, ohne es gleich zu beurteilen, ob es uns jetzt oder in Zukunft nützlich sein kann. (Stangl 2022)

Bei einem Achtsamkeits-Training lernen wir beispielsweise:

  • Im Moment innehalten
  • In den Moment zurückkommen
  • Beobachten statt beurteilen
  • Unseren Körper wahrnehmen
  • Unsere Gefühle erkennen
  • Austausch mit uns selbst führen
  • Tagebuch schreiben (Journaling)
  • Meditieren
  • Atemübungen
  • Regelmäßige Pausen machen
  • Geschwindigkeit des Alltags reduzieren
Uhren kreisen um den Kopf einer Frau

Foto: chenspec / Pixabay.com

Die Übungen sind dabei in der Regel so gestaltet, dass wir sie als kleine Rituale recht einfach in unseren Alltag einbauen können. Diese und weitere Methoden können helfen, Stress zu reduzieren, gelassener zu werden und die Lebenszufriedenheit zu erhöhen. Allerdings dürfen wir dabei nicht zu sehr ins Beobachten, Analysieren und Grübeln verfallen. Sonst machen wir womöglich nur alles komplizierter als nötig und uns das Leben unnötig schwer.

Was hat Achtsamkeit mit Social Media zu tun?

Ein taiwanesisches Forschungsteam (Lin 2022) hat untersucht, wie die suchtartige Instagram-Nutzung mit Achtsamkeit und „Stickiness“ zusammenhängt. Stickiness bedeutet übersetzt Klebrigkeit. Gemeint sind damit hier technische Funktionen von Instagram, die Nutzer*innen möglichst viel Zeit mit der App verbringen lassen. Sie kleben sozusagen an der App fest. Beispiele hierfür sind:

  • Likes
  • Rote Notifications
  • Push Benachrichtigungen
  • Verschwindende Inhalte (Stories)
  • Autoplay bei Videos
  • Unendlicher Newsfeed

Instagram und andere Social Media Apps geben sich sehr viel Mühe, um im Alltag unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Achtsamkeit könnte uns dabei unterstützen, uns stattdessen (wieder) auf das zu konzentrieren, was wir eigentlich tun wollen. So zumindest die Idee des Forschungsteams.

Technische geräte kreisen um den Kopf einer Frau

Foto: chenspec / Pixabay.com

Hilft Achtsamkeit gegen Social Media-Sucht?

Das Forschungsteam hat rund 140 taiwanesische Studierende befragt, deren liebstes soziales Netzwerk Instagram war. Sie nutzen Instagram zur Selbstdarstellung, Selbst-Dokumentation, Kommunikation, Unterhaltung sowie gegen Langeweile. Mit einem Fragebogen wollten die Wissenschaftler*innen herausfinden, wie stark die Studierenden

  1. An Instagram kleben (Stickiness)
  2. Achtsamkeit in ihrem Alltag leben
  3. Symptome einer Social Media-Sucht zeigen

Die Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass Stickiness und Achtsamkeit genau entgegen gesetzte Wirkrichtungen haben: Stickiness kann die Entstehung einer Instagram-Sucht fördern. Achtsamkeit hingegen kann die Entstehung einer Instagram-Sucht hemmen, indem sie die Stickiness abschwächt.

Andere Studien haben ähnliche Ergebnisse herausgearbeitet: Auch in Bezug auf WhatsApp und Facebook kann Achtsamkeit eine Schutzfunktion vor Suchterkrankungen haben (Apaolaza et al. 2019, Turel & Osatuyi 2017). Allerdings sehen Turel und Osatuyi auch das Risiko, dass Nutzer*innen sich sozial unter Druck gesetzt fühlen könnten, ein Netzwerk (stärker) zu nutzen, wenn sie beobachten, dass in ihrem Freundeskreis die Nutzungszahlen dieses Netzwerkes immer weiter steigen.  Sie bezeichnen Achtsamkeit daher als zweischneidiges Schwert.

grüne Zweige und ein Vogel vor dem Kopf einer Frau

Foto: chenspec / Pixabay.com

Einatmen, ausatmen, Handy weglegen!

Du siehst: Achtsamkeit kann eine große Hilfe sein, wenn sie richtig angewendet wird. Achtsamkeits-Übungen können der Entstehung einer Social Media-Sucht vorbeugen oder den Heilungsprozess unterstützen. Aber Achtung: Verlier Dich dabei nicht in unnötiger Grübelei.

Was kannst Du tun, wenn Du mit Achtsamkeit noch keinerlei Erfahrung hast, es aber gerne einmal ausprobieren möchtest? Es kann helfen, sich zu Beginn Unterstützung zu holen, beispielsweise von einer Beratungsstelle, Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen. Beratungsstellen, die sich mit Mediensucht auskennen, findest du zum Beispiel in unserer interaktiven Karte (hier klicken).

Und für alle, die jetzt direkt anfangen wollen:

Einatmen, ausatmen, Handy weglegen!

Quellen

Würfel Werbung für Glücksspiel in Social Media Radio auf Küchenzeile Medienhygiene: Was kann ich tun, wenn Nachrichten mir nicht guttun?
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