Vor kurzen haben wir Dr. Tobias Hayer zum Trend von Glücksspiel-Streaming auf Twitch und YouTube interviewt. Auf das Thema Glücksspiel-Werbung in sozialen Medien konnten wir dabei nicht tief genug eingehen. Das möchten wir mir diesem Interview nachholen. Wir haben Johannes Singer, Doktorand am Gambling Research Center der Universität Hohenheim, gefragt, was es mit Social Media und Glücksspiel auf sich hat.
Saskia Rößner: Wo findet sich heute überall Werbung für Glücksspielangebote?
Johannes Singer: Letztendlich kann uns Werbung für Glücksspielangebote überall in unserem alltäglichen Leben begegnen – beispielsweise Angebote für Lotterien beim Einkaufen, Reklame für Wettanbieter*innen bei Sportveranstaltungen oder Werbe-Slogans im Radio auf dem Weg zur Arbeit. Aber auch daheim auf dem Sofa begegnen uns Glücksspielangebote wie Werbe-Spots im TV.
Natürlich gewinnen digitale Werbe-Inhalte in den Zeiten von sozialen Medien zunehmend an Bedeutung. Neben Werbe-Bannern auf Webseiten, gesponserten Links in den gängigen Suchmaschinen oder Werbe-Videos in verschiedenen Apps haben die meisten Glücksspielanbieter*innen in Deutschland Accounts in den gängigen sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder Twitter. Zusätzlich setzt man auf Werbung durch Influencer*innen, um Produkte in den aktuell relevantesten sozialen Medien wie TikTok oder Twitch zu bewerben.
Obwohl einige Plattformen die Werbemöglichkeiten für Glücksspiele in jüngster Zeit eingeschränkt haben, sind die Möglichkeiten für Glücksspielwerbung, nicht zuletzt durch die sozialen Medien, vielfältiger geworden.
Glücksspiel-Anbietende nutzen Reichweite der sozialen Medien aus
Saskia Rößner: Was sind Besonderheiten von Glücksspiel-Werbung in sozialen Medien?
Johannes Singer: Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich zunächst ein Blick auf die Besonderheiten sozialer Medien. Sie ermöglichen uns immer und überall, unabhängig von Ort und Zeit, miteinander zu interagieren und zu kommunizieren. Nicht zuletzt deswegen nehmen soziale Medien einen immer größeren Stellenwert in unserem Alltag ein. Das zeigt sich auch daran, dass die Relevanz sozialer Medien in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat.
Die aktuelle ARD-ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2021 bestätigt diesen Trend auch für Deutschland. Gerade in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen nutzt eine Mehrheit, nämlich 66 % der Befragten, soziale Medien mindestens einmal am Tag. Parallel zur Häufigkeit steigt auch die Nutzungsdauer. Soziale Medien sind zu unseren alltäglichen Begleitern geworden und strukturieren zunehmend unser Verhalten sowie unsere Wahrnehmung.
Vor diesem Hintergrund erscheinen soziale Medien als Werbeplattform vielversprechend, um möglichst viele Personen weltweit anzusprechen. Dafür bedarf es keiner aufwendigen Werbekampagnen, da die Nutzer*innen die Reichweite der Werbeinhalte selbst erhöhen. Ein einfacher Klick reicht aus, um Meldungen mit einem Like zu versehen oder Videos zu teilen, wodurch die Inhalte der persönlichen Freundesliste sichtbar gemacht werden. Auf diese Art und Weise können auch Nutzer*innen erreicht werden, die sich sonst nicht für Glücksspielinhalte interessieren. Somit bieten soziale Medien eine attraktive Alternative für Anbieter*innen von Glücksspielen, ein möglichst großes Netzwerk von potenziellen Kund*innen anzusprechen sowie bestehende Kund*innen an die eigene Marke zu binden.
Glücksspiel-Werbung in Social Media gefährdet vor allem junge Menschen
Saskia Rößner: Was an Glücksspiel-Werbung auf Social Media bewerten Sie als problematisch?
Johannes Singer: Grundsätzlich sind die Verbreitung und die Intensität von Glücksspielwerbung durch soziale Medien gestiegen. Vor allem Jugendliche und junge Menschen nutzen soziale Medien häufiger und länger. Dadurch erhöht sich nicht nur die Reichweite der Werbung, sondern auch die Häufigkeit, mit der sich eine Person mit Werbeinhalten konfrontiert sieht. In diesem Zusammenhang erscheint die Beschaffenheit von Glücksspielwerbung als nicht unproblematisch. Studien in diesem Bereich haben gezeigt, dass entsprechende Werbeanzeigen nur in sehr seltenen Fällen mit Warnhinweisen oder Hinweisen zur Altersbegrenzung versehen waren.
Gleichzeitig werden Glücksspiele als etwas ganz Alltägliches, im Sinne einer Freizeitbeschäftigung, dargestellt. So werden beispielsweise Sportarten, in Deutschland vor allem der Fußball, untrennbar mit Glücksspielangeboten verbunden. Stichwort zwölfter Mann: Mit Hilfe von Werbung wollen einige Anbieter von Sportwetten das Bild vermitteln, dass eine Wette zum Mitfiebern mit der eigenen Mannschaft zu einem noch spannenderem Spielerlebnis anregt. Dabei wird das Glücksspiel mit positiven Emotionen und Gefühlen verbunden, um möglichst viele Nutzer*innen anzusprechen. Aus der Perspektive des Jugendschutzes ist die Entwicklung durchaus kritisch zu betrachten.
Ähnlich verhält es sich mit Influencer*Innen für Glücksspiele. Diese präsentieren ihren Zuschauer*innen Glücksspiele als harmloses Hobby. Dabei zeigen sie oder spielen sie sogar oftmals selbst live Glücksspiele auf ihren Kanälen in den sozialen Medien, beispielsweise auf Twitch.tv, und suggerieren ihren Zuschauer*innen unter anderem ein positives Spielerlebnis.
Obwohl Glücksspiele in Deutschland erst ab 18 Jahren erlaubt sind, werden Jugendliche in den sozialen Medien mit einem hohen Maß an Glücksspielwerbung konfrontiert. Dabei tragen die fehlenden Jugendschutz- und Warnhinweise sowie die positive Darstellung von Glücksspiel als alltägliche Freizeitaktivität zu einer frühzeitigen Normalisierung von Glücksspielen bei. Hierbei ist die Rolle von Influencer*Innen nicht zu unterschätzen, denn sie verfügen oftmals über eine größere Reichweite und einen stärkeren Einfluss auf ihre Follower als klassische Werbeträger.
Glücksspiel-Werbung erhöht Eintritts- und Rückfall-Risiko
Saskia Rößner: Welchen Einfluss könnte ihrer Einschätzung die Werbung beim Thema Sucht haben?
Johannes Singer: Die gängige Werbepraxis ist deswegen kritisch zu betrachten, da Jugendliche schon in einem frühen Alter auf Glücksspiele aufmerksam werden. Parallel zu dieser Normalisierung von Glücksspielen, fördert die Werbung unrealistische Gewinnerwartungen und weckt nicht zuletzt Spielbedürfnisse.
Auch wenn ein direkter Einfluss nicht nachgewiesen werden konnte, so zeigen aktuelle Studien dennoch einen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Glücksspielwerbung und dem Glücksspielverhalten bzw. der Spielteilnahme von Jugendlichen. Was sich jedoch sagen lässt, ist, dass alle diese Auswirkungen einem effektiven Jugendschutz zuwiderlaufen. Bereits jetzt weisen 1,7 % der Minderjährigen im Alter zwischen 16 und 17 Jahren ein problematisches Spielverhalten auf. Zusätzlich erhöht Glücksspielwerbung die Rückfallgefährdung bei der Gruppe glücksspielsüchtiger Personen.
Glücksspiel-Aktionsplan für besseren Jugendschutz
Saskia Rößner: Welche politischen oder juristischen Maßnahmen würden Sie sich wünschen?
Johannes Singer: Grundsätzlich würde ich mir eine Verbesserung des Jugendschutzes im Bereich Glücksspiel wünschen. Dazu wäre es notwendig, dass der Gesetzgeber flexibler auf neue Einflüsse, beispielsweise im Bereich der sozialen Medien, reagieren kann. Allgemein erscheint mir dieser Bereich noch recht stiefmütterlich behandelt.
Natürlich brauchen Gesetze und Gesetzgebungsverfahren ihre Zeit. Allerdings befürchte ich, dass die Entwicklungen im Bereich sozialer Medien zu rasch voranschreiten, um einen effektiven und nachhaltigen Jugendschutz allumfänglich zu gewährleisten. Eine Möglichkeit für kurzfristige Nachbesserungen können Aktionspläne darstellen, wie sie beispielsweise die französische Glücksspielbehörde (ANJ) im Bereich der Sportwetten umzusetzen versucht.
Zusätzlich würde ich mir für die aktuelle Gesetzgebung einen Fokus auf Influencer*innen wünschen. Diese neuen Werbeträger bestimmen zunehmend den Werbemarkt, wobei sie oftmals erfolgreicher als klassische Werbeformate agieren, was nicht zuletzt an ihrer spezifischen Funktionsweise liegt. Erste Studien zeigen, dass die spezielle Bindung von Influencer*innen mit ihren Abonnent*innen einen entscheidenden Einfluss auf die Kaufabsicht von jungen Personen ausüben kann. Dieser Umstand sollte Berücksichtigung in der Gesetzgebung zum Jugendschutz im Bereich Glücksspiel finden.
Großer Forschungsbedarf im Bereich Glücksspiel
Saskia Rößner: Wo sehen Sie noch Forschungsbedarf?
Johannes Singer: Mit Blick auf Deutschland sehe ich Forschungsbedarf in nahezu allen Glücksspielfeldern. Leider ist die Wissenschaftslandschaft hierzulande relativ überschaubar. Besonders wichtig erachte ich jedoch Forschung in drei Bereichen:
- Werbewirksamkeit: Welchen Effekt hat Glücksspielwerbung längerfristig auf eine Person?
- Influencer*innen, beispielsweise die Beschaffenheit von Werbung im Bereich Glücksspiel
- Algorithmen im Bereich des Spielerschutzes: Inwiefern lässt sich mithilfe von Big Data frühzeitig ein problematisches Spielverhalten erkennen?
Saskia Rößner: Vielen Dank für das Interview!
Quellen
- ANJ (2021): UEFA European Football Championship and sports betting: the French Gambling Authority (ANJ) gathers operators and announces a dynamic and structuring action plan.
- Beisch, N. & Koch, W. (2021): Aktuelle Aspekte der Internetnutzung in Deutschland. 25 Jahre ARD/ZDF-Onlinestudie: Unterwegsnutzung steigt wieder und Streaming/Mediatheken sind weiterhin Treiber des medialen Internets. In: Media Perspektiven 10/2021, S. 486-503,
- Buth, S.; Meyer, G.; Kalke, J. (2022): Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung – Ergebnisse des Glücksspiel-Survey 2021. Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD), Hamburg,
- Croes, E. & Bartels, J. (2021): Young adults’ motivations for following social influencers and their relationship to identification and buying behavior, in: Computers in Human Behavior, Ausgabe 124.