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Tablet mit Lockdown-Schriftzug

Foto: Elena Mozhvilo / Unsplash.com

Mediensüchtig durch Corona? (Webinarbericht)

06 Mai 2021

Lesezeit 7 Minuten

Corona, Social Distancing, Home Office, Lockdown: Das stellt Personen, die von Internetsucht betroffen sind, vor riesengroße Herausforderungen – zusätzlich zu ihrer Suchterkrankung. Aber auch gesunde Menschen leiden teilweise unter den aktuellen Bedingungen. Manchen von uns wird das ewige Bildschirmflimmern zu viel. Dass unsere Mediennutzungszeiten mangels alternativer Freizeitaktivitäten gestiegen sind, ist genauso bekannt wie verständlich. Aber sind durch die Pandemie wirklich mehr Menschen abhängig von Onlineangeboten geworden. Mediensüchtig durch Corona? Dieser Frage ist unser Referent Patrick Durner in unserem Webinar vom 26. April 2021 nachgegangen.

Faszination digitaler Medien

Was macht den Reiz digitaler Medien aus? Warum können uns digitale Spiele, soziale Medien oder andere Apps auf unserem Smartphone so sehr in ihren Bann ziehen? Warum vergessen wir mitunter Zeit und Raum um uns herum, wenn wir uns in sie vertiefen? Patrick Durner erklärt dies anhand von vier Schlagworten, die (nicht erst) in den letzten Jahren Einzug in die Wissenschaft und Digitalwirtschaft gefunden haben:

  1. Permanente und unbegrenzte Verfügbarkeit (das Internet ist schier unendlich)
  2. Desire Engine (Maschinen für unsere Bedürfnisse)
  3. Instant Gratification (unmittelbare Belohnungen)
  4. Random Rewards (zufällige Belohnungen)

Die Hersteller solcher digitalen Angebote nutzen also gezielt psychologisches Wissen und psychologische Tricks, um uns bei Laune zu halten. Immerhin verdienen sie damit ihr Geld. Doch womit die einen reich werden (können), darunter können andere leiden. Nicht alle Menschen schaffen es, digitale Medien bewusst zu nutzen. Manche verlieren die Kontrolle über ihr Nutzungsverhalten. Sie kommen aus dem digitalen Sog nicht mehr heraus.

Stay Home

Foto: Alexas Fotos / Unsplash.com

Negative Folgen von exzessivem Medienkonsum

Ob süchtig oder nicht: Zu viel Bildschirmzeit kann sich in vielerlei Weise negativ auf unser Leben und unsere Gesundheit auswirken: Eingeschränkte Privatsphäre, Reizüberflutung, Schlafstörungen und Übermüdung, Konzentrationsprobleme, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Attention Deficit Trait (ADT) oder emotionale Unausgeglichenheit sind nur einige der Beispiele, die Patrick Durner im Webinar aufgezählt hat. Deine eigene Mediennutzung zu hinterfragen, ist also auch dann sinnvoll, wenn Du (noch) nicht süchtig bist. Patrick Durner gab uns im Webinar dazu folgende Fragen an die Hand:

  • Woran spürst Du digitale Dysbalance?
  • Welcher Medienkonsum stört Dich an Dir selbst?
  • Wie sieht Dein Idealzustand aus?

Auswirkungen von Corona auf unserer Mediennutzung

Hast Du schon einmal etwas vom Bedürfnistank gehört? Dieses Sinnbild hat Patrick Durner im Webinar verwendet, um zu verdeutlichen, warum wir bestimmte Dinge tun. Wir alle haben Bedürfnisse, wie zum Beispiel Gesundheit, Anerkennung, Erfolg oder Spaß. Diese Bedürfnisse schwimmen alle in einem Tank. Es gibt Dinge, die den Tank auffüllen, und Dinge, die dem Tank Treibstoff entziehen. Aufgefüllt wird der Bedürfnistank beispielsweise durch unsere Arbeit, unsere Familie und Freund*innen oder unsere Hobbys. Alles, was wir gerne machen und uns guttut, füllt unseren Tank auf. Dinge wie Stress, Krankheit, finanzielle Sorgen oder Streit zapfen uns hingegen Treibstoff ab.

Schaubild Bedürfnistank voll

Grafik: Patrick Durner

Was hat das nun mit Corona zu tun? Durch Home Office, Lockdown und Social Distancing fallen viele Aktivitäten, die uns vorher Kraft gegeben haben, weg. Für viele wichtige Bedürfnisse fehlen momentan gute Tankstellen. Gleichzeitig ist durch die Pandemie bei einigen von uns der Treibstoffverbrauch gestiegen. Sorgen um Krankheit, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder Perspektivlosigkeit sind mitunter größer als zuvor. Daher entwickeln viele Menschen die Tendenz zur medialen Ersatzbefriedigung. Das heißt, sie versuchen, ihre Bedürfnisse durch Online-Aktivitäten zu befriedigen und ihren Tank so wieder etwas aufzuladen.

Schaubild Bedürfnistank leer

Grafik: Patrick Durner

Kein Wunder also, dass unsere Mediennutzungszeiten durch die Decke gegangen sind. Die JIM-Studie 2020 hat einen Anstieg der Nutzungszeit von Jugendlichen um 26 Prozent festgestellt:

„Die tägliche Nutzungsdauer ist 2020 um rund 26 Prozent gestiegen. Haben 2019 Jugendliche ihre tägliche Onlinenutzung noch durchschnittlich mit 205 Minuten eingeschätzt, sind es 2020 im Schnitt 258 Minuten, die die Jugendlichen online verbringen. Offenbar ist dieser starke Anstieg Folge der veränderten Situation der Corona-Pandemie.“

Mediensüchtig durch Corona?

Auch die exzessive, krankhafte oder suchtartige Nutzungszahlen von Kindern und Jugendlichen sind während der Pandemie gestiegen. So ergab eine Studie der DAK:

„Die ersten Zwischenergebnisse der Studie sind alarmierend: Bei fast 700.000 Kindern und Jugendlichen ist das Gaming riskant oder pathologisch. Im Vergleich zum Herbst 2019 nehmen die Spielzeiten unter dem Corona-Lockdown werktags um bis zu 75 Prozent zu. Ähnlich problematisch wie Onlinespiele sind Social-Media-Aktivitäten. Eine pathologische (krankhafte) Nutzung wird bei rund 170.000 Jungen und Mädchen (3,2 Prozent) festgestellt. Während der Corona-Krise steigen die Social-Media-Zeiten werktags um 66 Prozent an – von 116 auf 193 Minuten pro Tag.“

Erst vor wenigen Wochen haben wir uns in einem Blogbeitrag die jüngste TK-Studie zur Digitalkompetenz angesehen (hier nachlesen). Demnach sind wir fast alle mehr online, als uns eigentlich lieb ist. Aber unsere Onlinezeiten zu reduzieren, fällt uns allen schwer. Dieser Kontrollverlust ist übrigens eines von neun klassischen Symptomen einer Suchterkrankungen.

Frau am Schreibtisch

Foto: Tina Witherspoon / Unsplash.com

Ein weiteres Symptom: Emotionsregulation. Seine Gefühle mittels digitaler Medien verändern zu wollen, also zum Beispiel den ganzen Tag Netflix zu gucken, um sich von seinen Corona-Sorgen abzulenken, ist riskant. Nicht nur, dass sich Probleme so garantiert nicht lösen lassen, ein solches Verhalten kann auch zu einer schlechten Gewohnheit werden.

Zwei einzelne Symptome macht zwar noch keine Sucht aus, können aber die ersten Schritte in die falsche Richtung sein. Wenn Du so etwas an Dir bemerkst, kann es hilfreich sein, einmal mit Expert*innen über Deinen Medienkonsum zu sprechen. Ansprechpartner*innen in Deiner Nähe findest Du in unserer interaktiven Karte.

Quellen

Webinar zum Nachhören

Du hast das Webinar verpasst? Nicht schlimm! Hier kannst Du Dir die Audio-Aufzeichnung nachträglich anhören:

Smartphone fotografiert das Graffito einer Katze Selfie, Schönheit und Selbstbewusstsein Bildschirm mit Coronastatistik Mediensucht unter Corona, Lockdown und Social Distancing – Interview mit Real Life
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