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Siluette eines Menschen, der sich betrübt an den Kopf packt

Foto: Gift Habeshaw/Unsplash

Internetsucht und Einsamkeit: Gibt es einen Zusammenhang?

18 Juni 2020

Lesezeit 5 Minuten

Es gibt einen bekannten deutschen Neurowissenschaftler, der medienwirksam immer wieder behauptet, digitale Medien würden einsam machen. Stimmt das? Was ist denn mit dem schönen Slogan „Das Internet verbindet“? Gerade in Zeiten von Corona und Social Distancing erfahren wir, wie wertvoll das Internet für das menschliche Miteinander sein kann – wenn wir es klug zu nutzen wissen. Und wenn wir es dann doch übertreiben? Was ist mit Menschen, die süchtig nach Online-Angeboten sind. Sind die vielleicht einsam? Wir haben zu der Frage recherchiert, ob es wirklich einen Zusammenhang zwischen Internetnutzung bzw. Internetsucht und Einsamkeit gibt.

Studien bestätigen einen Zusammenhang zwischen Internetsucht und Einsamkeit, aber…

Studien über Internetnutzung und psychisches Wohlbefinden gibt es viele. Das Thema beschäftigt die Wissenschaft schon seit längerer Zeit. Oft wurde mit problematischen oder pathologischen Internetnutzer*innen geforscht, aber nicht immer. Die psychischen Untersuchungsbereiche sind neben der Einsamkeit beispielsweise auch Selbstbewusstsein, Depression oder andere psychische Erkrankungen. Das Ergebnis verschiedener Studien scheint in die gleiche Richtung zu deuten.

Beispielhafte Studienergebnisse aus den 2000er Jahren

Eine Studie von Morahan-Martin und Schumacher (2000, USA, 277 Testpersonen) ergab, dass pathologische Internetnutzer*innen sich einsamer fühlten als Personen mit geringen oder keinen Symptomen einer Internetsucht.

Engelberg und Sjöberg (2004, Schweden, 41 Testpersonen) kamen in ihrer Studie ebenfalls zu dem Schluss, dass intensive Internet-Nutzer*innen sich einsamer fühlten als weniger intensive Nutzer*innen.

Seepersads Studie (2004, USA, 429 Testpersonen) kam zu dem Ergebnis, dass Internetnutzung zum Zweck der Unterhaltung mit Einsamkeit zusammenhängt. Menschen, die das Internet vor allem zur Unterhaltung nutzen, waren einsamer als Personen, die es für Information und Kommunikation nutzen.

Das Resultat der Studie von Özcan und Buzlu (2007, Türkei, 703 Testpersonen) war, dass je stärker der pathologische Internetgebrauch war, desto stärker war auch die Einsamkeit. Pichlers Untersuchung (2009, Deutschland, 341 Testpersonen) ergab, je stärker die Internet-Suchtgefährdung eines Mensche, desto stärker war auch seine Einsamkeit ausgeprägt.

Person sitzt alleine in einem großen Raum mit riesigem Bildschirm an der Wand

Foto: Adrien Olichon/Unsplash

Neue Studie zu Internetsucht und Einsamkeit aus dem Jahr 2020

Auf der Website Drugcom.de sind wir auf eine ganz neue Studie (Savolainen et al. 2020) gestoßen, die den Zusammenhang zwischen Internetsucht und Einsamkeit bestätigt. In der Studie wurden rund 3.600 Menschen zwischen 15 und 25 Jahren aus Finnland, Südkorea und den USA befragt. Somit ist die Studie nicht nur aktueller, sondern auch die Fallzahl um ein Vielfaches höher. Zudem werden hier Stichproben aus verschiedenen Ländern verglichen. In allen drei Ländern konnte ein Zusammenhang zwischen Internetsucht und Einsamkeit festgestellt werden.

Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass Internetsucht einsam macht. Denkbar wäre auch, dass einsame Menschen anfälliger für Internetsucht sind. Oder das es gar keine Kausalität gibt.

Kein Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen Internetsucht und Einsamkeit nachweisbar

Das Forschungsteam um Savolainen betont, dass aus ihren Studienergebnissen keine Aussage darüber abgeleitet werden kann, ob Einsamkeit eher Ursache oder Folge problematischer Internetnutzung ist. Engelberg und Sjöberg konnten ebenfalls nicht bestätigen, dass Einsamkeit Internetsucht vorhersagt. Seepersad schlussfolgert aus seinen Forschungsergebnissen immerhin, dass Unterhaltungsangebote im Internet keinen positiven Einfluss auf Personen haben, die einsam sind.

Internetnutzung ist nicht gleich Internetsucht

Selbst wenn Internetsucht die Einsamkeit verstärken würde, hieße das noch nicht, dass eine gesunde Internetnutzung dies auch tut.

Die Metaanalyse von Huangs (2010) hat 40 Studien verglichen, die den Einfluss der Internetnutzung auf unser psychisches Wohlbefinden untersucht haben. An diesen 40 Studien haben insgesamt mehr als 20.000 Menschen teilgenommen. Meta-Analysen sind Untersuchungen, die sich möglichst viele Studien zu einem Thema anschauen und vergleichen. Sie sind daher meist aussagekräftiger als Einzelstudien. Huangs Fazit besteht darin, dass die Internetnutzung sehr wahrscheinlich nicht für Einsamkeit verantwortlich ist.

Algorithmen beeinflussen die Beziehung in den sozialen Medien

Foto: Eliott Reyna/Unsplash

Appel und Schreiner (2014) haben sich noch weitere Meta-Studien angeschaut und verglichen, quasi eine Meta-Metastudie. Sie haben stark vereinfachte Behauptungen über das Internet auf ihre wissenschaftliche Basis überprüft. Zum Beispiel, dass digitale Medien dick, dumm, gewalttätig oder eben einsam machen.

Auch die hier untersuchten anderen Metastudien lassen eher darauf schließen, dass das Internet nicht für Einsamkeit verantwortlich ist. Shklovski, Kiesler und Kraut (2006) konnten in ihrer Metastudie keine Belege dafür finden, dass Internetnutzung zu einer Reduzierung sozialer Kontakte führt.

Die Metaanalyse von Boulianne (2009) deutet sogar darauf hin, dass die gesellschaftliche Teilhabe durch die Internetnutzung steigt. Also könnte doch etwas Wahres dran sein am Slogan: „Das Internet verbindet“.

Literatur zu Internetnutzung bzw. Internetsucht und Einsamkeit

  • Appel, M., Schreiner, C. (2014). Digitale Demenz? Mythen und wissenschaftliche Befundlage zur Auswirkung von Internetnutzung. Psychologische Rundschau, 65, 1–10. https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000186
  • Engelberg, E. & Sjöberg, L. (2004). Internet Use, Social Skills, and Adjustment. Cyberpsychology & Behavior, 7, 41-47. https://doi.org/10.1089/109493104322820101
  • Boulianne, S. (2009). Does Internet use affect engagement? A meta-analysis of research. Political Communication,26, 193–211. https://doi.org/10.1080/10584600902854363
  • Huang, C. (2010). Internet use and psychological well-being: a meta-analysis. Cyberpsychology, Behavior and Social Networking, 13, 241–249. https://doi.org/10.1089/cyber.2009.0217
  • Morahan-Martin, J. & Schumacher, P. (2000). Incidence and correlates of pathological Internet use among college students. Computers in Human Behavior, 16, 13-29. https://doi.org/10.1016/S0747-5632(99)00049-7
  • Özcan, N. K. & Buzlu, S. (2007). Internet Use and Its Relation with the Psychosocial Situation for a Sample of University Students. Cyberpsychology & Behavior, 10, 767-772. https://doi.org/10.1089/cpb.2007.9953
  • Pichler, U. (2009). Internetsucht und Online-Rollenspiele (Einsamkeit, Coping und Flow-Erleben). Diplomarbeit, Karl-Franzens-Universität Graz. http://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/207817
  • Seepersad, S. (2004). Coping with Loneliness: Adolescent Online and Offline Behavior. Cyberpsychology & Behavior, 7, 35-39. https://doi.org/10.1089/109493104322820093
  • Shklovski, I., Kiesler, S., & Kraut, R. (2006). The Internet and social interaction: A meta-analysis and critique of studies,1995–2003. In R. Kraut, M. Brynin, & S. Kiesler (Hrsg.), Computers, phones, and the Internet: Domesticating informationtechnology, New York: Oxford University Press, 251–264. (Link zum Artikel)
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