In einem unserer Blogartikel haben wir die Frage gestellt, ob Online-Beratung für Onlinesüchtige überhaupt geeignet sei. Die Antwort war: „Ja“. Vor der Corona-Pandemie waren Online-Beratungsangebote jedoch noch selten. In den letzten Jahren konnten sich immer mehr Betroffene, Angehörige und Beratungsfachkräfte mit der Idee anfreunden. Damit Du im Bedarfsfall nicht lange suchen musst und nicht an unseriöse Angebote gerätst, gibt es jetzt deutschlandweit eine neue Plattform: DigiSucht. Wir haben Verena Scherer interviewt. Sie ist in der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. für die Koordination von DigiSucht in Hessen zuständig.
Saskia Rößner: Frau Scherer, was genau ist DigiSucht?
Verena Scherer: DigiSucht ist eine digitale Beratungsplattform der Suchthilfe in Deutschland, die über das Internet, über einen Browser, erreicht werden kann. Man braucht also keine APP. Menschen, die von Sucht betroffen sind, oder deren Angehörige können über www.suchtberatung.digital mit professionellen Suchtberater*innen in Kontakt treten. Die Kontaktaufnahme kann in Form einer Textnachricht, eines Text-Chats oder Video-Chats erfolgen. Es ist auch möglich, den Kontakt erst einmal online zu suchen, später dann aber in die Beratung vor Ort zu wechseln.
DigiSucht bundesweites Modellprojekt
Saskia Rößner: Wer steckt hinter DigiSucht? Wer betreibt die Plattform? Wer fördert das Projekt?
Verena Scherer: DigiSucht ist ein bundesweites Modellprojekt, an dem ganz viele verschiedene Akteur*innen beteiligt sind und waren: Das Bundesministerium für Gesundheit, die Delphi-Gesellschaft für Forschung, Beratung und Projektentwicklung mbH, die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. , Landesstellen für Suchtfragen, um nur einige zu nennen. Inzwischen sind 13 Bundesländer bei DigiSucht mit an Bord. In Hessen wird das Projekt vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration gefördert und von der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. koordiniert.
Saskia Rößner: Woher kommen die Beratungsfachkräfte?
Verena Scherer: Die Beratungsfachkräfte werden nicht extra für DigiSucht angestellt, sondern arbeiten bereits in den zahlreichen Einrichtungen der Suchthilfe. Damit nicht jede Einrichtung ihre eigene Plattform aufbauen muss, wurde mit DigiSucht eine länder-, träger- und verbandsübergreifende Beratungsplattform entwickelt und technisch umgesetzt. Bevor die professionellen Fachkräfte über DigiSucht eine Beratung anbieten dürfen, werden sie von uns zunächst geschult. In der Schulung lernen sie die technische Handhabung der Plattform kennen. Außerdem sensibilisieren wir sie für die Besonderheiten der Online-Beratung im Vergleich zur Beratung vor Ort.
Wie kann ich mich bei DigiSucht beraten lassen?
Saskia Rößner: Wenn ich mich beraten lassen möchte, was muss ich tun?
Verena Scherer: Die Plattform ist erreichbar über www.suchtberatung.digital. Um sich beraten lassen zu können, muss man sich registrieren. Die Registrierung und Beratung auf der Plattform sind kostenlos. Nach der Registrierung kann direkt eine Nachricht an eine Beratungsstelle geschickt werden oder ein Termin mit Berater*innen vereinbart werden. Die Beratungsfachkräfte sind dazu angehalten, auf eingehende Nachrichten innerhalb von drei Werktagen zu antworten. Für dringende Notfälle steht auf der Startseite von DigiSucht die Telefonnummer der bundesweiten Suchthotline: 01806 313031 (0,20 € pro Anruf aus dem Festnetz/Mobilfunknetz).
Saskia Rößner: Ist Beratung auch anonym möglich? Welche Daten muss ich bei der Registrierung preisgeben und was passiert damit?
Verena Scherer: Wir haben darauf geachtet, dass bei der Registrierung keine persönlichen Kontaktdaten angegeben werden müssen. Es werden weder Klarnamen noch E-Mail-Adresse abgefragt. Stattdessen wählt man sich einen Spitznamen. Damit man möglichst einer Beratungsstelle in der Nähe seines Wohnortes zugeordnet wird, fragen wir eine Postleitzahl ab. So ist es möglich, im Laufe der Beratung doch die Beratungsstelle persönlich aufzusuchen. Natürlich nur, falls das gewünscht wird.
Für die Evaluation des Projektes bitten wir zudem um die Angabe von Alter, Geschlecht und Beratungsthema. Der Inhalt von Nachrichten, Chats und Videochats ist Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das heißt, nur die Beratungssuchenden und die Beratungsfachkräfte können sie lesen/sehen. Das komplette Projekt unterliegt der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Auch die teilnehmenden Beratungsfachkräfte sind vertraglich zu hohen Datenschutzstandards verpflichtet und werden vor Beginn zu diesem Thema geschult.
Pro und Contra der Onlineberatung
Saskia Rößner: Welche Chancen ergeben sich aus der Online-Beratung im Vergleich zu Beratung von Angesicht zu Angesicht? Gibt es auch Nachteile? Wie wird die Qualität sichergestellt?
Verena Scherer: Für beide Beratungsformen – online oder in Präsenz – gibt es ein Pro und Contra. Zum einen ist es für viele Menschen inzwischen zur Normalität geworden, bei Problemen Hilfe im Internet zu suchen. Deswegen ist es so wichtig, dort seriöse Angebote zu schaffen.
Ein großer Vorteil einer digitalen Plattform ist, dass sie von überall aus erreichbar ist. Wer in Frankfurt wohnt, hat mehrere Suchtberatungsstellen zur Auswahl. Wer auf dem Land wohnt, muss aber mitunter über eine Stunde Fahrt in kauf nehmen, um zur nächsten Beratungsstelle zu kommen. Wer nicht mobil ist, kann mit Hilfe von DigiSucht bequem von Zuhause aus Kontakt mit der Suchtberatung aufnehmen.
Leider bekommen die Beratungsfachkräfte bei einer digitalen Beratung weniger Infos von den Ratsuchenden und andersherum: Körperliches Erscheinungsbild, Gestik, Mimik, Stimmlage usw. – all das kann in einer Beratungssituation sehr hilfreich sein. Deshalb schulen wir auch diejenigen Beratungsfachkräfte, die schon sehr erfahren in einer Beratung vor Ort sind. Online-Beratung ist einfach anders, sie birgt viele Chancen, hat jedoch auch ihre Tücken und diese gilt es zu kennen.
Saskia Rößner: Wenn ich Beratung anbieten möchte, was muss ich tun?
Verena Scherer: Hessische Suchtberatungseinrichtungen, die teilnehmen möchten, melden sich am besten direkt bei mir: Verena Scherer, vs@hls-online.org. Ich sende dann einen Interessensbekundungsbogen zu. Damit fragen wir ein paar Daten ab, die wir vorab wissen müssen. Um welche Art der Einrichtung handelt es sich? In welchem Landkreis ist sie tätig? Was sind die Beratungsschwerpunkte? Darauf folgen die Schulung, ein Kooperationsvertrag zwischen der HLS als Landeskoordinierungsstelle und der beteiligten Suchtberatungsstelle und dann kann es auch schon losgehen.
DigiSucht und Selbsthilfe
Saskia Rößner: Welchen Platz hat Selbsthilfe auf DigiSucht?
Verena Scherer: In erster Linie ist DigiSucht für die Fachberatung gedacht. Wir sind aber stetig dabei, das Projekt weiterzuentwickeln. Aktuell ist die Bundeskoordination von DigiSucht mit der Suchtselbsthilfe im Gespräch, wie sie eingebunden werden kann. Ich bin sehr gespannt, wie sich dieser Prozess entwickelt. Einige Selbsthilfegruppen arbeiten schon mit Onlinetreffen über Zoom, Teams oder anderen Apps. Denen gegenübergestellt, wäre der große Mehrwert für die Suchtselbsthilfe natürlich die hohen Datenschutzstandards im Digisucht-Projekt und das bundesweite Netzwerk mit direkten Ansprechpartner*innen in Hessen bzw. Deutschland.
Saskia Rößner: Toll, dass es so etwas wie DigiSucht gibt! Danke für das Interview, Frau Scherer.
Link zum Blogartikel „Ist Onlineberatung für Onlinesüchtige geeignet?“