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Kind liegt mit zwei Erwachsenen im Bett. Die Erwachsenen lesen Zeitung. Das Kinf guckt auf einen hell erleuchteten Bildschirm.

Foto: Ludovic Toinel/Unsplash

Mediennutzung in der Familie: Über Regeln und Vorbilder

05 März 2020

Lesezeit 8 Minuten

Im Rahmen der FIM-Studie 2016 sollten Eltern angeben, wer aus ihrer Sicht die Hauptverantwortung für den Schutz ihrer Kinder vor negativen Medieneinflüssen trägt. Die Mehrheit der Eltern (78 Prozent) meint, dass hauptsächlich sie selbst hierfür verantwortlich sind. Größtenteils schreiben sich die Eltern auch mehr Medienkompetenz zu als ihren Kindern.

Dann sollten Eltern doch bestens dafür gerüstet sein, wenn es darum geht, ihre Kinder hin zu (mehr) Medienkompetenz zu erziehen, oder? Überraschend: Mehr als die Hälfte der Eltern (57 Prozent) sieht sich nur „etwas kompetent“, jede*r Zehnte schätzt sich eher weniger gerüstet ein und 4 Prozent trauen sich Medienerziehung gar nicht zu.

Wir haben unseren Kollegen Benjamin (Ben) Wockenfuß von DigiKids interviewt. DigiKids ist ein Medienkompetenz-Projekt für Kindergarten-Kinder. Von Ben wollten wir wissen, warum Erwachsene sich so viele Sorgen um den Medienumgang ihrer Kinder machen und wie es um die Medienerziehung in der Familie bestellt ist. Außerdem gibt er wertvolle Tipps, wie Mediennutzung in der Familie mit weniger Verboten und mehr Verständnis funktionieren kann.

Sind digitale Medien schlecht für Kinder?

Saskia: Es scheint, als würde sich alle Welt Sorgen machen, welchen Einfluss digitale Medien auf unsere Kinder haben. Wie erlebst du das?

Ben: Digitalisierung umtreibt uns als Gesellschaft. Das hat erstmal nicht unbedingt etwas mit den Kindern zu tun. Die Alten geben Wissen an die Jungen weiter. So lief das immer. Im digitalen Klimawandel hakt dieses Konzept jedoch, denn wir Erwachsenen können schlicht nicht auf einen so großen digitalen Erfahrungsfundus zurückgreifen.

Dazu kommt, dass wir unseren Kindern Schutzräume ermöglichen wollen. Das können wir jedoch nicht, wenn wir nicht verstehen, was sich in diesen Räumen abspielt und wozu. Die Sorge um eine Digitalisierung der Kindheit ist also grundsätzlich angesagt – dank datenkapitalistischen Bestrebungen großer Tech-Konzerne. Sorge bringt uns jedoch in eine verteidigende Haltung. Da müssten wir gar nicht sein.

Digitalisierung ist wunderbar. Auch für unsere Kinder. Wenn wir mit Mut und Maß dafür sorgen, dass wir uns nicht von ihr vereinnahmen lassen.

Saskia: Gibt es überhaupt belastbare Studien, die einen negativen oder positiven Effekt von (zu viel) digitalen Medien auf Kinder belegen?

Ben: Die Studienlage ist in der Tat ein Problem. Das Phänomen ist zu jung dafür, dass wir finale Meinungen haben können. Zudem gibt es verschiedene Studienergebnisse zu verschiedenen Blickwinkeln. Dieser Umstand ist zu kritisieren, weil er Sorge (Reaktivität, Widerstand) nährt und einen nüchternen Chancen-orientierten Blickwinkel verstellt.

Klar ist aber auch, Digitale Medien und die dafür nötigen Endgeräte sind weder gut noch schlecht. Eine veraltete Position, die ich zu naiv gedacht hatte. So wie sie jetzt Anwendung finden, sind digitale Medien und die dafür nötigen Endgeräte häufig eher schlecht. Weil sie uns Aufmerksamkeit nehmen, Kreativität, Fokus und Konzentration für längere Zeiträume unterbinden und uns in eine passive Konsument*innen-Rolle bringen.

Digitale Assistent*innen können teilweise praktisch sein, aber wir müssen uns von ihnen emanzipieren und wieder Chef*in über die Assistent*innen werden und nicht anders herum. Das beginnt so langsam, zum Beispiel mit einer Kultur von safety by design (= Sicherheit durch Design).

Medienkompetenz: Sind Erwachsene schlechte Vorbilder?

Saskia: Sind es denn nur Kinder und Jugendliche, deren Mediennutzung auch mal problematisch werden kann? Oder müssen Erwachsene und v.a. Eltern hier auch mal auf sich selbst schauen?

Ben: Digitale Vereinnahmung ist kein Kindheitsphänomen. Mehr noch: Unsere Kinder wachsen in dem digitalen Klima auf, dass ihnen ihre Familienkultur vorlebt. Wir müssen alle schauen, dass wir uns von Technik nicht vereinnahmen lassen. Und dass wir uns über mögliche Nebenwirkungen bewusst werden.

Saskia: Welchen Einfluss haben digitale Medien auf unser Familienleben?

Ben: Digitale Medien prägen unser Familienleben stark. Das hat verschiedene Faktoren. Die Digitalisierung verändert unsere Art zu kommunizieren und zu arbeiten. Ort und Person werden von einander trennbarer. Digitale Medien können daher auch einen großen Einfluss auf unser Familienlieben haben.

Wir Erwachsenen mit unserer Rollenvorbild-Verantwortung sollten uns vor diesem Hintergrund gut überlegen, wann / wozu / wie stark digitale Medien auf das familiäre Zusammenleben wirken (dürfen).

In der Familie brauchen wir digitale (Frei-) Räume. Also Orte und Zeiten, in denen digitale Medien tabu sind und welche, in denen wir transparent und wohlwollend mit ihnen umgehen können.

Was auf jeden Fall bleibt: Smartphone und Tablet haben keine Rolle in der Familie! Sie sind weder Babysitter noch Belohnungsmöglichkeit.

Familien-Regeln für Mediennutzung: Wie klappt’s ohne Streit?

Saskia: Erwachsene machen sich scheinbar viele Gedanken darüber, welche digitalen Medien sie Kindern erlauben dürfen und welche nicht. Sind Verbote die richtige Wahl, wenn es um Medienerziehung geht?

Ben: Eltern geben den Rahmen vor. Punkt. Das bleibt, da können wir noch so sehr die Teilhabe der Kinder fordern. Die Frage, die mitschwingt, ist auch: Ab wann kann ein Kind überhaupt welche Verantwortung übernehmen? Dennoch bringen Verbote höchsten einen limitierenden Effekt.

Ich glaube daran, dass jedes Kind erst einmal kooperativ sein will. Also müssen wir Eltern uns die Zeit und die Muße nehmen, transparente und wertschätzende Regeln zu vereinbaren, diese für alle nachvollziehbar zu machen und eben notfalls den Einhalt dieser Absprachen auch zu verteidigen. Nehmen wir Kinder früh in diesen Prozess aktiv und wertschätzend mit, braucht es viel weniger Verbote.

Das geht schon im Kleinen: Mit dem Kind in eine App rein und dann auch wieder rausgehen. Oder Zeitfenster vereinbaren, die ein Kind auch verstehen kann, wenn es eben noch nicht die Uhr lesen kann.

Frau sitzt mit zwei Kindern auf dem Sofa. Sie gucken zusammen auf ein Tablet.

Foto: Alexander Dummer/Unsplash

Saskia: Wie können wir als Familie faire und sinnvolle Regeln für unsere Mediennutzung festlegen?

Ben: Jede*r Teilnehmer*in in der Familie hat Rechte und Bedürfnisse! Dieses Verständnis schafft schon viel Fairness. Das fängt auch wieder bei uns Erwachsenen an: Schnell noch die Mails aus dem Büro checken, während ich mit der Familie am Tisch sitze – tabu! Während des Abholens aus dem Kindergartens noch ganz kurz das Telefonat abwickeln – auf keinen Fall!

Dazu kommt, dass Regeln nur dann funktionieren können, wenn sie jede*r Teilnehmer*in der Familie auch versteht. Das ist oft einfacher, als sich das die Erwachsenen so vorstellen. Wichtig ist dabei: Kinderorientiert denken. Ein paar Beispiele:

  • Medienzeiten auf der Küchenuhr einmalen
  • Steckmöglichkeit, um Wünsche nach Medienzeit anzumelden
  • Medienregeln aufmalen und auf den Kühlschrank kleben
  • Strafpunkte vergeben (für alle und von allen in der Familie), wenn Medienregeln nicht eingehalten wurden

So wird jedes Mitglied der Familie Medienwächter*in. Da läuft dann Präventionsarbeit, ohne das viel gesprochen werden muss.

Medienerziehung: Infos und Hilfe für ratsuchende Eltern

Saskia: An wen können Eltern sich wenden, wenn sie sich zum Thema Mediennutzung in der Familie informieren oder beraten lassen möchten?

Ben: Online-Plattformen wie schau-hin.info; internet-abc.de; handysektor.de sind toll. Die Digitalen Helden aus Frankfurt bietet regelmäßig Webinare an. Auch auf digikids.online gibt es immer wieder Impulse als Blog oder Podcast.

Wichtig ist mir dabei: Eltern sind die Expert*innen für ihr eigenes Kind. Die hier aufgeführten Angebote sind Berater*innen für die Eltern. Also bitte die Tipps und Tricks authentisch transportieren, so wie es für das eigene Kind passt, und nicht unreflektiert 1:1 nachmachen.

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