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Emoji mit Maske auf Smartphone

Foto: viarami / pixabay.com

Was sollen wir denn sonst machen? Über Bedürfnisse, Lockdown und Mediensucht

21 Oktober 2021

Lesezeit 6 Minuten

Wir alle haben Dinge, die wir gerne oder nicht so gerne machen. Dinge, die uns guttun oder weniger guttun. Dinge, die wir dringend brauchen oder solche, die eigentlich unwichtig sind. Während der Corona-Pandemie haben wir das umso mehr gespürt. Vielleicht hat die eine oder der andere den Lockdown sogar zum Anlass genommen, die eigenen Prioritäten neu zu sortieren. Was das mit Mediensucht zu tun hat? Das erklären wir Dir in diesem Blogartikel.

Bedürfnispyramide: Was braucht der Mensch?

Was braucht der Mensch zum Überleben, für ein gutes Leben oder gar für ein glückliches Leben? Darüber diskutieren Wissenschaftler*innen und Philosoph*innen schon seit tausenden von Jahren. Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908–1970) hat in den 1940er Jahren ein Modell erarbeitet, das die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse kategorisiert und priorisiert. Denn: Manche Bedürfnisse haben Vorrang vor anderen. Beispielsweise brauchen wir Luft und Wasser dringender als ein neues Auto.

Maslowsche Bedürfnishierarchie

  1. Physiologische Bedürfnisse: Luft, Wasser, Nahrung, Schlaf, Fortpflanzung
  2. Sicherheitsbedürfnisse: Körperliche und seelische Sicherheit, materielle Grundsicherung, Arbeit, Wohnung, Familie, Gesundheit
  3. Soziale Bedürfnisse: Familie, Freundschaft, Gruppenzugehörigkeit, Kommunikation, sozialer Austausch, Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung, Beziehung, Zuneigung, Liebe, sexuelle Intimität
  4. Individualbedürfnisse: Vertrauen, Wertschätzung, Selbstbestätigung, Erfolg, Freiheit, Unabhängigkeit, Stärke, Ansehen, Prestige, Achtung, Wichtigkeit
  5. Selbstverwirklichung: Entfaltung von Talenten, Potenzialen und Kreativität Weiterentwicklung von Persönlichkeit und Fähigkeiten, Gestaltung und Sinn des Lebens

Aus Maslows Kategorisierung ist eine Bedürfnispyramide entstanden. Je weiter unten die Bedürfnisse stehen, desto wichtiger sind sie für uns Menschen zum (Über-) Leben.

Bedürfnispyramide

Grafik: Bedürfnispyramide nach Maslow, gestaltet von webcare+

Bedürfnistank: Was tut uns gut, was nicht?

Angelehnt an die elementaren Bedürfnisse des Menschen hat Webinar-Referent und Mediensucht-Experte Patrick Durner ein weiteres Modell entwickelt: Den Bedürfnistank.

Unsere Bedürfnisse schwimmen alle in einem Tank. Es gibt Dinge, die den Tank auffüllen, und Dinge, die dem Tank Treibstoff entziehen. Aufgefüllt wird der Bedürfnistank beispielsweise durch unsere Arbeit, unsere Familie und Freund*innen oder unsere Hobbys. Alles, was wir gerne machen und uns guttut, füllt unseren Tank auf. Dinge wie Stress, Krankheit, finanzielle Sorgen oder Streit zapfen uns hingegen Treibstoff ab.

Bedürfnistank voll

Grafik: Patrick Durner/Betriebliche Suchtprävention Miehle

Wie die Bedürfnisse im Lockdown befriedigen?

Was hat das nun mit Corona zu tun? Durch Home Office, Lockdown und Social Distancing fallen viele Aktivitäten, die uns vorher Kraft gegeben haben, weg. Für viele wichtige Bedürfnisse fehlen momentan gute Tankstellen. Gleichzeitig ist durch die Pandemie bei einigen von uns der Treibstoffverbrauch gestiegen. Sorgen um Krankheit, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder Perspektivlosigkeit sind mitunter größer als zuvor. Daher entwickeln viele Menschen die Tendenz zur medialen Ersatzbefriedigung. Das heißt, sie versuchen, ihre Bedürfnisse durch Online-Aktivitäten zu befriedigen und ihren Tank so wieder etwas aufzuladen.

Bedürfnistank leer

Grafik: Patrick Durner/Betriebliche Suchtprävention Miehle

Bildschirmzeit als Kriterium für Internetsucht?

Viele glauben, Mediensucht würde man vor allem an der hohen Bildschirmzeit erkennen. Tatsächlich sind andere Faktoren viel entscheidender. Internetsucht als medizinische Diagnose fußt auf einer Reihe von Kriterien, bei denen die Nutzungszeit nur eine Nebenrolle spielt:

  1. Vereinnahmung: Musst Du immerzu ans Onlinesein denken?
  2. Toleranzentwicklung: Hast Du das Bedürfnis, immer mehr Zeit im Internet zu verbringen?
  3. Kontrollverlust: Hast Du bereits erfolglos versucht, deine Internetnutzung zu reduzieren?
  4. Entzugserscheinungen: Fühlst Du Dich nervös, launisch, traurig oder gereizt, wenn Du nicht im Internet sein kannst?
  5. Interessensverlust: Verbringst Du mehr Zeit im Internet als vorgesehen und verlierst das Interesse an anderen Dingen?
  6. Konflikte: Gefährdet deine Internetnutzung Freundschaften, Beziehungen, Arbeit oder Ausbildung?
  7. Streit: Hast Du schon einmal Familie oder Therapeut*innen über deine Internetnutzung belogen?
  8. Emotionsregulation: Nutzt Du das Internet, um Dich von Problemen oder schlechten Gefühlen abzulenken?

Diese Kriterien wurden von der Psychologin Kimberly Young schon im Jahr 1998 für Internetsucht vorgeschlagen, finden aber heute noch Verwendung. Die Diagnosekriterien für andere Suchterkrankungen sind übrigens ähnlich.

Menschengruppe im Sonnenuntergang

Foto: Ben Duchac / Unsplash.com

Lockdown: Bedürfnisse und Mediensucht in Zeiten von Corona

Insbesondere der letzte Punkt steht in einem engen Zusammenhang mit unserem Bedürfnistank. In Krisenzeiten wie einer Pandemie sehen wir kaum andere Möglichkeiten als die digitalen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Diese digitalen Ersatzbefriedigungen können unseren Tank zeitweise am Laufen halten. Sie sind langfristig aber kein gleichwertiger Ersatz für die analogen Tankstellen. Am Beispiel von Computerspielen hat uns das das Team von Behind the Screens letzte Woche in einem Interview erklärt. Nachlesen kannst Du das hier.

Hoffen wir also, dass die analogen Tankstellen, die nach dem letzten Lockdown Stück für Stück wieder öffnen, auch offenbleiben. Denn mithilfe von 3G-Regeln, Abstands- und Hygienekonzepten können wir so die Energie tanken, die uns am besten bekommt und am längsten anhält. Nachhaltige Energie, sozusagen. Und für ein Selfie auf Insta oder den nächsten digitalen Spieleabend mit der Familie ist dann immer noch Zeit.

Mehr zum Thema

Dieser Blogbeitrag wurde im Rahmen unseres Themenmonats zu Mediensucht und Corona veröffentlicht. Hier kannst Du die anderen Blogbeiträge nachlesen:

Außerdem haben wir bereits diese beiden Artikel zum Thema veröffentlicht:

Quellen

  • Maslow, Abraham (1943): A Theory of Human Motivation, in: Psychological Review, 50:4.
  • Young, Kimberly (1998): Internet Addiction. The Emergence of a New Clinical Disorder, in: CyberPsychology & Behavior, 1:3. https://doi.org/10.1089/cpb.1998.1.237
Masken auf Wäscheleine Medienabhängig: Unsere Erfahrungen mit Pandemie, Lockdown und Social Distancing Super Mario und Luigi fahren zusammen Kart Online Gaming: Mit Computerspielen gegen die soziale Isolation in Zeiten von Corona
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