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Smartphone fotografiert das Graffito einer Katze

Foto: Free Birds / Unsplash.com

Selfie, Schönheit und Selbstbewusstsein

27 Mai 2021

Lesezeit 7 Minuten

Professionelles Shooting und Photoshop waren gestern. Heute kann so gut wie jede*e von uns mit der eigenen Handykamera ein Selfie machen und dieses mit vorgefertigten Filtern in wenigen Schritten auf Hochglanz bringen. Große Augen, lange Wimpern, hohe Wangenknochen, dicker Schmollmund, schmale Taille, dünner Bauch, lange Beine – die Liste könnte endlos weitergehen. Alles mit einem Klick machbar. Ein Fotoshooting-Wunderland. Und das auch noch kostenlos oder für wenige Euro zu haben.

Kein Selfie ohne Filter: Perfekt, perfekter, am perfektesten?

Wir alle können uns perfekte Gesichter, perfekte Körper, perfekte Fotos, perfekte Leben erschaffen. Und wir können Sie der ganzen Welt zeigen. Einfach auf Instagram oder einer anderen Plattform unserer Wahl hochladen. Und schon ganz uns die ganze Welt begutachten. Und wir können die ganze Welt begutachten. Und wir können uns vergleichen und gegenseitig beurteilen. Wer ist perfekt, perfekter am perfektesten? Lässt sich das überhaupt steigern? Können Menschen überhaupt perfekt sein? Könnten wir dann überhaupt noch individuell sein?

Mal einen Pickel vom Foto verschwinden zu lassen oder die Augenringe nach einer schlechten Nacht zu retuschieren: OK. Die Filter-Künste mancher Menschen nehmen allerdings solche Ausmaße an, dass das Ergebnis tatsächlich mehr mit Kunst als mit natürlichem Aussehen zu tun hat. Sich mit solch optimierten oder verzerrten Abbildern zu vergleichen, kann einem ein schlechtes Gefühl vermitteln. Da kann ich doch eigentlich nur verlieren. Außer meine Filter-Fähigkeiten überragen die der anderen Person sogar noch.

Schriftzug "All we need is Likes"

Foto: Daria Nepriakhina / Unsplash.com

Per Filter zum Schönheitsideal: Wie gesund ist perfekt?

Aber ist so ein Verhalten noch gesund? Tut uns so ein Wettbewerb, in dem es nur um das Äußere geht, überhaupt gut? Und vielmehr noch: Ein Wettbewerb, in dem es eher um die Fingerfertigkeit mit allerlei Filtern geht als um das tatsächliche Aussehen? Wie lange können wir einem solchen Druck standhalten? Wie lange können wir vorgeben, zu sein, wie wir gar nicht sind? Und warum durchschauen wir das Filterspiel der anderen nicht? Oder tun wir es sogar, aber es ist uns egal? Falls ja, warum spielen wir trotzdem mit?

Letztes Jahr haben wir einen Themenmonat zu Influencer*innen veranstaltet. In dessen Rahmen haben wir Dr. Maya Götz interviewt. Die Medienwissenschaftlerin forscht unter anderem zu Instagram und Selbstinszenierung, auch speziell in Bezug auf weibliche Influencerinnen. Wir wollten von ihr wissen, welche Erkenntnisse und Tendenzen bisherige Forschungsarbeiten zur Gesundheit von Influencer*innen und ihren Followern zulassen. Das Interview kannst du hier nachlesen.

Neue Studie 1: Selfie-Posting, Selbstbewusstsein und Zufriedenheit mit meinem Körper

Anlass unseres Interviews mit Dr. Maya Götz war, dass wir zu unserer Fragestellung kaum wissenschaftlichen Studien finden konnten. Diese Mangellage konnte uns die Expertin bestätigen. Inzwischen sind zwei neue Studien erschienen, die in dieses Thema hineinspielen. Deren Ergebnisse möchten wir uns hier ansehen und mit Dir teilen.

In Südkorea hat die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Mihee Kim einen Zusammenhang zwischen dem Posten von Selfies, Selbstvertrauen und Körperzufriedenheit gefunden. Sie hat eine Studie mit 312 Studentinnen durchgeführt. Das Ergebnis: Diejenigen, die oft Selfies posten, haben durchschnittlich ein besseres Selbstbewusstsein als diejenigen, die selten Selfies posten. Gleichzeitig waren die Studentinnen mit höherem Selbstbewusstsein auch zufriedener mit ihrem Körper.

Kunstwerk an einer Hauswand

Foto: Matthew T. Rader / Unsplash.com

Allerdings gilt das scheinbar nur bei Studentinnen, die kein Bedürfnis nach Popularität haben. Wer also (beispielsweise über Instagram) berühmt werden möchte, für den gelten diese Zusammenhänge eher weniger. Erscheint in gewissem Maße auch logisch. Denn glaubt man unserer Expertin Dr. Maya Götz, spielt das Aussehen beim Erfolg von Influencerinnen (w) eine erhebliche Rolle. Die Online Community kennt selbst bei kleinsten Schönheitsmakeln oft keine Gnade.

Je mehr Selfies desto selbstbewusster?

Heißt das nun, dass je mehr Selfies wir posten, desto selbstbewusster werden wir? Nein, so einfach ist das leider nicht. Die Studie aus Südkorea hat keine kausalen Zusammenhänge getestet. Das heißt, sie kann nicht sagen, ob Selfies unser Selbstbewusstsein steigern oder ob selbstbewusste Menschen einfach mehr Selfies posten. Die Studie hat lediglich einen Zusammenhang festgestellt, allerdings ohne Richtung.

Dass ein tolles Selfie uns ein gutes Gefühl beschert, ist nachvollziehbar. Das gute Gefühl ist jedoch trügerisch, wenn wir uns auf dem Foto hinter mehreren Filterlagen verstecken. Dann könnte das ganze ins Negative umschlagen und wir fühlen uns eher minderwertig, weil wir uns ohne die ganzen Filter nicht hübsch genug fühlen. Pur und ungeschönt sind wir uns selbst dann vielleicht nicht mehr gut genug.

Und noch ein Punkt ist tückisch: Angenommen, der Zusammenhang bestünde in die andere Richtung. Das hieße, selbstbewusste Menschen posten mehr Selfies als Menschen mit niedrigem Selbstbewusstsein. Angenommen, Menschen mit einem „schönen“ Körper (was auch immer man darunter versteht) sind zufriedener und selbstbewusster und posten mehr Selfies. Das Ergebnis wäre, dass die sozialen Netzwerke voll mit Fotos von „schönen“ Körpern wären. Menschen, deren Körper diesen Schönheitsidealen nicht entsprechen, würden sich ebenfalls minderwertig, vielleicht sogar unnormal (weil gefühlt in der Minderheit) fühlen. Und dieses Phänomen kennen wir doch alle schon von den überdimensionalen Werbeplakaten mit Supermodeln, oder nicht?

Graffito einer Eule

Foto: Cris Dinoto / Unsplash.com

Neue Studie 2: Selfie, Social Media und Essstörungen

Ein Forschungsteam aus Spanien hat untersucht, ob es bei Facebook und Instagram einen Zusammenhang zwischen der Sorge um das eigene Aussehen und dem Risiko, eine Essstörung zu entwickeln, gibt. 576 Spanierinnen ab 18 Jahren haben an der Online-Studie teilgenommen. Sie wurden dazu befragt, wie sie Selfies vorbereiten und bearbeiten, ob sie sich mit anderen Nutzer*innen vergleichen, wie wichtig ihnen ihr Social Media Auftritt ist und welche Rolle Social Media in ihrem Alltag spielt. Außerdem haben sie Fragen über ihren Ernährungsstil, ihre Essgewohnheiten, Diäten, Gewichtskontrolle und möglichen Essstörungen beantwortet.

Und tatsächlich fand das Forschungsteam einen starken Zusammenhang: Wer sich große Sorgen um sein Erscheinungsbild auf Social Media macht, tendiert zu einem höheren Risiko für Essstörungen. Dabei scheint der Zusammenhang beim Foto-lastigen Instagram und bei jüngeren Nutzerinnen riskanter zu sein als bei Facebook oder älteren Nutzerinnen.

Trigger-Warnung für Essstörungen auf Social Media

Auch die spanische Studie kann keine Aussage über die Richtung des Zusammenhanges machen. Dr. Maya Götz hingegen kann etwas Licht ins Dunkel bringen. Sie konnte in ihrem Interview von offensichtlich kausalen Zusammenhängen zwischen Social Media Nutzung und Essstörungen berichten:

„7 von 10 befragten Patient*innen, die wegen einer Essstörung in Behandlung sind, haben gesagt, dass die Inszenierung auf Instagram Einfluss auf ihr reales Leben hat. Influencer*innen aus den Bereichen Fitness und Ernährung hatten für diese Personen eine immense Bedeutung. Ebenso Supermodels, die ihr Ziel verkörpert haben. Auf den Kanälen solcher Influencer*innen lassen sich zahlreiche Trigger einer Essstörung finden, beispielsweise winzige Mahlzeiten oder Kalorien-Tracking. Da wird das Leben mit einer Essstörung sozusagen vorgelebt. Patient*innen haben berichtet, dass sie dachten, es sei normal, so wenig zu essen und so viel zu trainieren.“

Mehr zum Thema

  • Interview mit Dr. Maya Götz: „Influencer*innen und ihre Follower zwischen Rollenklischees und Selbstverwirklichung“
  • Blogbeitrag „Selfies, die gesündeste Nutzung des Smartphones?“
  • Blogbeitrag „Selfitis – Satire oder ernst zu nehmendes Problem?“
  • Interview „Das Selfie zwischen Kunst, Kritik und Wissenschaft“

Quellen

  • Kim, M. (2020). Instagram selfie-posting and young women’s body dissatisfaction: Investigating the role of self-esteem and need for popularity. Cyberpsychology: Journal of Psychosocial Research on Cyberspace, 14(4), Article 4. https://doi.org/10.5817/CP2020-4-4
  • González-Nuevo, C., Cuesta, M., & Muñiz, J. (2021). Concern about appearance on Instagram and Facebook: Measurement and links with eating disorders. Cyberpsychology: Journal of Psychosocial Research on Cyberspace, 15(2), Article 9. https://doi.org/10.5817/CP2021-2-9
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