Das Internet ist immer und überall verfügbar. Beratungsangebote leider noch nicht. Beispielsweise wenn Du auf dem Land wohnst, wo es keine Beratungsstelle in Deiner Nähe gibt. Oder wenn Du aufgrund Deines gesundheitlichen Zustands nicht mobil bist. Warum also nicht die Beratung dort anbieten, wo fast alle Menschen darauf zugreifen können – im Internet? Wir haben uns Onlineberatung mal genauer angeguckt.
Emily M. Engelhardt ist selbst Onlineberaterin und hat ein Lehrbuch über Onlineberatung geschrieben. Engelhardt schreibt:
Online-Beratung versteht sich als besonders niedrigschwelliges Verfahren durch unbegrenzte Zugangsmöglichkeiten über das Internet rund um die Uhr.
Was versteht man unter Onlineberatung?
Mit Online-Beratung meint Engelhardt hier keineswegs automatisierten Systemen wie Chat-Bots, auch wenn dies ihrer Einschätzung nach in Zukunft durchaus denkbar wäre. Auch gegenüber Online-Therapie grenzt sich die Onlineberaterin ab. Die Grenzen beschreibt sie allerdings als fließend.
Unter Online-Beratung versteht sie die Beratung von Mensch zu Mensch. Also ähnlich wie in einer richtigen Beratungsstelle. Dafür muss die ratsuchende Person jedoch nicht am gleichen Ort wie die beratende Person sein. Das Internet ermöglicht uns eine ortsunabhängige Kommunikation zwischen zwei Menschen.
Wer bietet Onlineberatung an?
Online-Beratung kann beispielsweise von Fachkräften oder Peer-Berater*innen angeboten werden. Peer-Berater*innen sind Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie die Ratsuchenden. Beispiel Mediensucht: Eine Person, die früher mediensüchtig war, berät jetzt darüber, wie man mit Mediensucht umgehen kann und wo man Hilfe findet. Peer-Berater*innen sind also Expert*innen in eigener Sache.
Beratung kann nicht jede*r!
Aber nicht alle Menschen, die die gleichen Erfahrungen teilen, können gut beraten. Wer beraten will, sollte gut geschult sein. Das gilt für jede Form der Beratung – online wie offline. Allerdings: Für eine Online-Beratung können teilweise andere Kompetenzen erforderlich sein als für eine traditionelle Beratung. Zum Beispiel ein sicherer Umgang mit Technik und Datenschutz. Bevor Du ein Beratungsangebot in Anspruch nimmst, frag ruhig einmal nach: Welche Qualifizierungen können die Anbieter*innen vorweisen? Welche Qualitätsstandards werden erfüllt? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?
Übrigens ist Engelhardt der Überzeugung, ein Computer (zum Beispiel ein Chat-Bot) könne eine Fachkraft nicht ersetzten, zumindest nicht in sozialen Berufen. Die Fachkräfte müssen jedoch mit der Digitalisierung mithalten, technisches Know-how erlernen, Medienkompetenz trainieren und ihre Klient*innen auch in Fragen der Mediennutzung beraten können.
Onlineberatung per E-Mail, Messenger & Co
Online-Beratung kann laut Engelhardt durch eine oder mehrere dieser Techniken erfolgen:
- Textbasierte Onlineberatung per E-Mail, Chat, Foren, Messenger
- Medienbasierte Onlineberatung per Video, Internettelefonie, Avatare, Videonachrichten, Sprachnachrichten
Auch eine Kombination von klassischer Beratung mit Online-Beratung ist möglich. Dieser Mix aus analoger und digitaler Beratung heißt Blended Counseling. Wie viel Beratung im konkreten Fall vor Ort und wie viel online stattfindet, dazu gibt es viele unterschiedliche Konzepte. Blended Counseling kann individuell auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten werden.
Onlineberatung: Vor- und Nachteile
Für Betroffene hat Online-Beratung viele Vorteile, wie Engelhardt vorstellt.
Mögliche Vorteile von Online-Beratung
- Online-Beratung kann häufig anonym in Anspruch genommen werden.
- Online-Beratung ist schnell und rund um die Uhr erreichbar.
- Es gibt keine oder kaum Wartezeiten.
- Du kannst Dich mit Gleichbetroffenen austauschen (Selbsthilfe).
- Beratung kann von zuhause oder von einem beliebigen Ort aus in Anspruch genommen werden.
- Es gibt keinen Zeitdruck, zu antworten. Du kannst Dir Zeit beim Schreiben lassen.
- Du kannst jederzeit nochmal nachlesen, was bisher geschrieben wurde.
- Online-Beratung ist vor allem (aber nicht nur) für junge Menschen attraktiv und leicht zugänglich.
Aber auch einige Nachteile verschweigt die Onlineberaterin uns nicht.
Mögliche Nachteile von Online-Beratung
- Beim ersten Kontakt ist noch unklar, wer Deine Anfrage lesen wird.
- Beratung per Schrift kann schwierig für Menschen sein, die beispielsweise eine Lese-Rechtschreib-Schwäche haben oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist (Beratung per Videochat oder Sprachnachrichten kann hier eine gute Alternative sein).
- In der Online-Kommunikation können schneller Missverständnisse entstehen.
- Bei Kontakt über technisch-unsichere Apps ist der Datenschutz vielleicht nicht garantiert.
- Berater*innen können die Lage und Bedürfnisse von Betroffene schlechter einschätzen.
- Für akute Krisensituationen ist Online-Beratung nicht geeignet.
Du siehst: Vor- und Nachteile halten sich in etwa die Waage. Was bedeutet das für Dich? Nimm Dir Zeit, um abzuwägen, ob Online-Beratung für Dich die richtige Wahl ist. Für manche Menschen passt das sehr gut, für andere gar nicht und für wiederum andere ist ein Mix wie Blended Counseling die beste Alternative. Menschen sind Individuen mit individuellen Bedürfnissen. Es gibt hier keine Musterlösung.
Online-Beratung für Online-Süchtige?
Eine Frage ist uns bei unseren Recherchen nicht aus dem Kopf gegangen. Immerhin ist webcare+ ein Projekt, das sich mit exzessiver Mediennutzung und Mediensucht befasst. Ist Onlineberatung denn überhaupt für Menschen mit einer internetbezogenen Störung geeignet?
Die Hemmschwelle ist bei Online-Beratung besonders niedrig
„Vor allem bei Menschen mit internetbezogenen Störungen ist die Hemmschwelle groß, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Suchterkrankungen sind oft mit Schamgefühl verbunden. Online-Beratung kann hier ein Türöffner sein: Betroffene und Fachkräfte finden leichter zusammen. Den persönlichen Kontakt (Face-to-Face) kann Online-Beratung jedoch nicht in Gänze ersetzen. Vor allem dann nicht, wenn Therapiemaßnahmen geplant sind und hierfür Unterschriften erforderlich sind“, erklärt Carsten Wolf.
Carsten Wolf ist Leiter der Jugendberatung und Suchthilfe Am Merianplatz in Frankfurt. Betroffene und Angehörige können sich dort vor Ort, telefonisch, per E-Mail oder Chat beraten lassen. Seit kurzem bietet die Beratungsstelle auch Video-Chats an. Die Beratungsangebote wurden von der Psychotherapeutenkammer geprüft und erfüllen alle Anforderungen an den Datenschutz.
Online-Beratung holt Betroffene da ab, wo sie sind
Dass Online-Beratung auch für Online-Süchtige geeignet ist, dem stimmt auch Dr. David Ebert zu. Er ist arbeitet am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Uni Erlangen-Nürnberg. Dort leitet er unter anderem ein Forschungsprojekt zu Online-Behandlungsmöglichkeiten und eines zu Online-Gesundheitstraining.
Dr. Ebert sagt: „Zum einen müssen wir die Betroffenen da abholen, wo sie sind. Das Internet ist ihr bevorzugtes Kommunikationsmittel. Hier fühlen sie sich wohl und sind mitunter empfänglicher für Beratungsangebote. Gemeinsam mit den Fachkräften können sie in gewohnter Umgebung über ihre Probleme sprechen und andere Bewältigungsstrategien finden.“
Der Psychologe hebt noch einen anderen Punkt hervor: „Zum anderen gibt es bisher nicht genügend Fachkräfte, die sich auf internetbezogene Störungen spezialisiert haben. Vor allem Betroffene, die auf dem Land leben, haben es schwer, eine Beratungsstelle in ihrer Nähe zu finden. Hier kann Online-Beratung Versorgungslücken schließen.“
Wo finde ich Onlineberatung zu Mediensucht?
- Jugendberatung und Jugendhilfe e.V. (Beratung durch Fachkräfte)
- Caritas (Peer-Beratung und Beratung durch Fachkräfte)
- SCAVIS (Beratung durch Fachkräfte)
- JUUUPORT (Peer-Beratung durch Medienscouts)