Blog

Smartphone mit Kuss- und Herz-Emojis

Foto: Markus Winkler / Unsplash.com

Swipe, Match, Love: Kann Online Dating süchtig machen?

03 September 2020

Lesezeit 7 Minuten

Hast Du ein Profil bei einer Online-Singlebörse? Nutzt Du Tinder oder eine andere Dating-App? In Deutschland haben drei von zehn Menschen schon einmal Online-Angebote zur Suche von Partner*innen genutzt, so eine Umfrage. Immerhin: Rund die Hälfte der Nutzer*innen ist auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung. Und vier von zehn sind mithilfe von Online-Dating auch schon fündig geworden.

Infografik: Jeder zweite sucht online nach einer ernsthaften Beziehung

Grafik: Statista

Wird Online-Dating nicht irgendwann überflüssig, wenn alle eine*n Partner*in gefunden haben? Die Zahlen sagen etwas anderes, Online Dating boomt. In Deutschland beträgt der Jahresumsatz rund 250 Millionen Euro. Tinder ist die umsatzstärkste Lifestyle-App im Google Play Store. Wie passt das zusammen? Wir haben uns gefragt, ob Online Dating auch zu missbräuchlicher, problematischer oder abhängiger Nutzung führen kann.

Online Dating per App: Macht Tinder süchtig?

Der deutsch-französische Kultursender arte hat 2019 eine Serie unter dem Stichwort Dopamin veröffentlicht. Darin werden möglicherweise süchtig machende Mechanismen einiger Apps erklärt. Neben Instagram, Snapchat und Candy Crush ist auch die Dating-App Tinder vertreten. Das Video erklärt leicht verständlich, welche psychologischen Tricks die Tinder-Entwickler*innen nutzen, um uns möglichst viel Zeit mit ihrer App verbringen zu lassen.

https://www.youtube.com/watch?v=21CKkv4J8KA

Natürlich wird nicht jede*r Nutzer*in der App direkt süchtig danach. Eine Sucht ist eine ernsthafte Erkrankung. Ihre Ursachen sind meist komplex. Und so verständlich und amüsant das arte-Video auch ist, wir werfen lieber noch einen zusätzlichen Blick in wissenschaftliche Studien.

Problematische Nutzung von Online Dating: Was sagt die Wissenschaft?

Die Wissenschaftler*innen Gabriel Bonilla-Zorita, Mark D. Griffiths und Daria J. Kuss haben vor kurzem einen Artikel veröffentlicht. Darin geben sie einen Überblick über 43 Studien, die sich bisher mit Online Dating beschäftigt haben. Problematischer Nutzung war jedoch nur bei wenigen davon Thema.

Erst vor wenigen Jahren wurde von einem ungarischen Forschungsteam (Orosz et al. 2016) eine wissenschaftlich fundierte Skala entwickelt, um problematische Tinder-Nutzung zu erfassen. Sie betrachtet sechs Faktoren, die eng an anerkannte Suchtdiagnosen angelehnt sind.

Problematic Tinder Use Scale (PTUS)

  1. Reizanfälligkeit (salience)
  2. Toleranzentwicklung (tolerance)
  3. Stimmungswechsel (mood modification)
  4. Rückfall (relapse)
  5. Entzugserscheinungen (withdrawal)
  6. Konflikte (conflict)

Tinder: Pralinen fürs Selbstbewusstsein?

Zwei Jahre später haben die Forscher*innen untersucht, welche Motive es für die Tinder-Nutzung gibt und wie diese mit problematischer Nutzung zusammenhängen (Orosz et al. 2018). Die vier Motive waren: Sex, Liebe, Stärkung des Selbstwertgefühls und Langeweile. Mit einer problematischen Nutzung hingen alle vier Faktoren zusammen. Der Versuch, sein Selbstbewusstsein zu verbessern, stach jedoch besonders stark hervor. Das heißt, dass Personen, die Tinder nutzen, um sich wertvoller zu fühlen oder von anderen Menschen geschätzt zu werden, anfälliger für eine problematische Tinder-Nutzung sein könnten.

Herz und Liebe auf Enter-Taste

Foto: tumisu / Pixabay.com

Das Forschungsteam testete auch, ob bestimmte Persönlichkeitszüge eine problematische Nutzung von Tinder begünstigen könnten. Hier waren die Ergebnisse aber nicht stark genug ausgeprägt, um einen Zusammenhang herzustellen.

Insgesamt ist die Forschungslage sehr dünn. Die oben vorgestellten Ergebnisse zu Tinder sind nicht repräsentativ, wie das Forschungsteam selbst zugibt. Außerdem kann nicht automatisch von Tinder auf andere Dating-Apps oder browserbasierte Dating-Portale geschlossen werden. Die wissenschaftlichen Artikel berichten von Menschen, die eine problematische oder suchtähnliche Nutzung von Online-Dating zeigen. Wir konnten jedoch keine Zahlen finden, wie viele Personen möglichweise von einer Online-Dating-Sucht betroffen sind. Hier scheint also noch viel Forschung von Nöten zu sein, um gültige Aussagen treffen zu können.

Weitere Risiken von Online Dating

Online-Dating ist nicht grundlos so beliebt: Es ist bequemer als im Alltag ständig Augen und Ohren nach möglichen Partner*innen offen zu halten. Insbesondere für schüchterne Menschen kann die Kontaktaufnahme über einen Bildschirm ein Segen sein. Auch Menschen, deren sexuelle Vorlieben nicht dem Mainstream entsprechen, werden hier mitunter leichter fündig.

Unabhängig vom Suchtpotential hat Online-Dating jedoch auch andere Risiken. Zwei Beispiele: Menschen können ihre Profile beschönigen oder sich komplett als eine andere Person ausgeben. Manche Tinder-Nutzer*innen sind schon in einer Beziehung oder sogar verheiratet, treffen sich aber dennoch mit anderen Nutzer*innen. Manchmal auch mit mehreren Personen parallel, ohne dass diese davon wissen (und es womöglich nicht gutheißen würden).

Infografik: Jeder Dritte lügt in seinem Datingprofil

Grafik: Statista

Natürlich ist so ein Verhalten auch beim herkömmlichen Kennenlernen und Treffen möglich. Online-Angebote machen es Menschen mit betrügerischer Absicht jedoch besonders leicht. Wenn Du (weiterhin) Online-Dating nutzen möchtest, sei daher achtsam und vorsichtig. Falls Dir etwas Sorgen bereitet, gibt es viele Möglichkeiten, Dich beraten zu lassen. Je nachdem, was genau Dich bedrückt, sind zum Beispiel diese Stellen für Dich da:

  • Familienberatungsstellen, beispielsweise von der Caritas oder der Diakonie
  • Sexualberatung, zum Beispiel von pro familia
  • Suchtberatungsstellen, die sich mit Onlinesüchten auskennen, findest Du in unserer interaktiven Karte

Quellen

Smartphone Handysucht: Gibt es das überhaupt? Mensch vor Sternenhimmel und Mond Medienkompetenz: Was ist das?
Diesen Artikel Teilen auf:
Interessante Beiträge

Du hast Fragen oder Anregungen?

Schreib uns gerne eine Nachricht, wir helfen Dir weiter.