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Leuchtendes Notausgang-Schild

Foto: Mat Reding/Unsplash

OMPRIS – Onlineprogramm gegen Internetsucht

28 Mai 2020

Lesezeit 8 Minuten

Vor kurzem haben wir uns die Frage gestellt, ob Online-Beratung für Online-Süchtige geeignet ist. Unseren Blogartikel dazu kannst hier nachlesen. Bei unseren Nachforschungen sind wir zudem darauf gestoßen, dass es für Menschen mit internetbezogenen Störungen nicht nur Online-Beratung, sondern auch Online-Therapie-Angebote gibt. Eines davon, abgekürzt OMPRIS, wollten wir uns einmal genauer ansehen. OMPRIS steht für: Onlinebasiertes Motivationsprogramm zur Reduktion des problematischen Medienkonsums und Förderung der Behandlungsmotivation bei Menschen mit Computerspielabhängigkeit und Internetsucht. Das Programm soll im Sommer 2020 starten. Wir haben Dr. med. Jan Dieris-Hirche, den Leiter des Programms, interviewt.

Dr. Dieris-Hirche ist Oberarzt an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum. Er leitet die seit 2012 bestehende Medienambulanz der Uni. Dort bietet die Klinik eine klinische Diagnostik, ambulante und auch stationäre Behandlungen für Menschen mit Internetsucht, Online-Computerspielabhängigkeit sowie Cybersexsucht an. Zudem betreibt die Klinik ein Onlineprogramm für Menschen mit internetbezogenen Störungen.

Herr Dr. Dieris-Hirche, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Onlineprogramm für Menschen mit Internetsucht zu entwickeln?

Jan Dieris-Hirche: Es gibt mehrere gute Gründe, warum es sinnvoll ist ein onlinebasiertes Angebot für Menschen mit internetbezogenen Störungen zu entwickeln. Die Computerspielsucht ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO als psychische Störung im Sinne einer Verhaltenssucht bestätigt worden. Damit besteht für Patienten auch ein Anspruch auf eine störungsorientierte Behandlung. Die gibt es jedoch bisher gerade im ambulanten Sektor nur sehr lückenhaft.

Jan Dieris-Hirche: Wir können mit einer spezialisierten onlinebasierten Intervention schnell, wohnortunabhängig und barrierefrei Betroffene erreichen und Hilfe anbieten.

In unserer LWL Mediensuchtambulanz in Bochum spreche ich auch immer wieder Patienten, die explizit von ihrem ambulanten Psychotherapeuten geschickt werden, um mediensuchtspezifische Psychotherapie als Ergänzung zu erhalten. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass eine onlinebasierte Intervention wie OMPRIS eine analoge Psychotherapie nicht ersetzen will, aber vielleicht ergänzen kann.

Der zweite wichtige Grund ist die Veränderungsmotivation der Betroffenen. Wie bei allen Suchterkrankungen ist am Anfang einer Behandlung häufig die Motivation zur Behandlung gering. Mit OMPRIS wollen wir also die Betroffenen dort abholen, wo ihre Sucht begonnen hat, nämlich im Internet. Denn wer erst gar nicht in die Praxis oder Ambulanz kommt, kann nicht therapiert werden. OMPRIS ist also die Brücke zwischen den Betroffenen und einer möglichen medizinischen Behandlung. Die Ziele von OMPRIS sind daher vor allem die folgenden:

  • Steigerung der eigenen Veränderungsmotivation
  • Förderung der Reflexion über das eigene Medienverhalten
  • Hilfe bei der konkreten Veränderung des Verhaltens im Alltag

Zuletzt gibt es auch Menschen mit einem problematischen Medienkonsum, ohne dass bereits eine Sucht im engeren Sinne besteht. Hier soll OMPRIS mittels einer standardisierten und intensiven Diagnostik Orientierung geben. Und dann gegebenenfalls durch frühe medienpädagogische Interventionen und Verhaltensänderungen eine Sucht vermeiden. OMPRIS ist daher nicht nur Brücke in die analoge Therapie. Es ist auch eine unkomplizierte und wohnortunabhängige Präventionsmaßnahme.

Person ist mit Kabeln gefesselt und hält ein Smartphone in den Händen

Foto: Artyom Kim/Unsplash

Online gegen Onlinesucht – das ist also kein Widerspruch?

Jan Dieris-Hirche: Nein, eigentlich gar nicht. Denn das Ziel jeglicher Behandlung oder Beratung ist ja nicht, dass die Betroffenen nie wieder ins Internet gehen oder online sind. Das ist in unserer heutigen Welt gar nicht realisierbar. Vielmehr geht es darum, dass Betroffene lernen das Internet gezielt und kontrolliert zu nutzen. Betroffene sind meist auch nicht vom gesamten Internet süchtig. Sondern sie nutzen exzessiv bestimmte Anwendungen, wie zum Beispiel besonders suchterzeugende Spielgenres, Online-Pornografie oder zunehmend Streaming-Dienste. In diesen Fällen raten wir Psychotherapeuten auch am ehesten zu einer Abstinenz von den suchterzeugenden Inhalten und Anwendungen. Uproblematische Internetanwendungen können natürlich weiter genutzt werden, aber eben dosiert und kontrolliert.

Zudem wissen wir durch zahlreiche wissenschaftliche Studien, Reviews und Meta-Analysen, dass onlinebasierte Therapieformen und Interventionen einen guten Effekt auf das problematische Verhalten in verschiedensten Bereichen haben. Die Höhe des Behandlungseffektes ist wiederum stark von der Art der Online-Intervention abhängt. Grob kann man sagen, dass onlinebasierte Therapieformen besonders gut wirken, je mehr Kontakte zu realen Therapeuten angeboten werden, beispielsweise über Email, Chat oder Webcam. Reine Selbsthilfe-Programme ohne Kontakte zu Therapeuten, also zum Beispiel alleinige aufklärende Informationstexte etc., wirken hingegen nicht so stark. In OMPRIS haben wir uns für die intensivste onlinebasierte Kontaktform, nämlich die 1:1 Onlineberatung mit einem Beratenden, entschieden. Wir sind davon überzeugt, dass wir durch diese intensive und persönliche Beratungsform am besten Betroffene im Internet erreichen.

Wie ist das Programm aufgebaut?

Jan Dieris-Hirche: Mit OMPRIS bieten wir den Teilnehmenden innerhalb von 4-5 Wochen eine intensive Diagnostik, Intervention und Beratung an.

Zu Beginn führen wir natürlich eine genaue Diagnostik bezüglich internetbezogener Störungen und möglicher anderer psychischer Störungen durch. Hierzu werden einerseits Selbsteinschätzungen mittels Fragebögen erhoben. Andererseits werden standardisierte klinische Interviews durchgeführt. Ziel der Diagnostik ist, dass der Betroffene eine medizinisch genaue und transparente Rückmeldung bekommt, ob eine internetbezogene Störung im Sinne einer Sucht vorliegt oder ob eher eine problematische oder gar unauffällige Mediennutzung besteht.

Dann startet die 4-wöchtige Beratungs- und Interventionsphase, in der in der Regel 2 Mal pro Woche eine individuelle 1:1 Beratung stattfindet. Die Inhalte der Beratung sowie die Auswahl der Interventionen orientieren sich auch an den Bedürfnissen der Betroffenen. Basis der Gespräche ist eine motivationsfördernde Gesprächsführung, die einerseits die Betroffenen stärkt, andererseits immer wieder zur Reflexion auffordert.

Die Interventionen bestehen einerseits aus (medien-) suchtspezifischen Inhalten. Beispiele: Erarbeitung eines individuellen Suchtmodells, Rückfallprophylaxe oder Etablierung und Einübung von hilfreichen Verhaltensalternativen. Andererseits geht es auch um die Stärkung des realen Lebens: Zum Beispiel konkrete Hilfen im Alltag, Ressourcenfindungen, Hilfe in sozial schwierigen Situationen, Abbau von Vermeidungsverhalten und Aufschiebeverhalten, Aushalten von Unlust und Frustration.

Weiter werden Tagespläne und Ziele erarbeitet, die eine Hilfe und Struktur bieten, z.B. beim Thema Ernährung, Körperhygiene, Bewegung, Schlafzeiten. Neben der psychologischen Hilfe bietet OMPRIS darüber hinaus auch eine webcambasierte Sozialberatung an, damit sich auch im realen Leben Dinge verändern dürfen. Themen sind beispielsweise Beantragung sozialer Leistungen, Schuldenberatung, Behördengänge oder soziale Unterstützung.

Nach den 4 Wochen Beratung findet dann eine onlinebasierte Abschlussuntersuchung statt, die den Effekt des Programms erhebt. Zudem wird 6 Wochen nach Beendigung des Programms noch einmal eine kurze Nacherhebung durchgeführt, um den langfristigen Effekt einschätzen zu können.

Auf einem Computerbildschirm steht "Tue mehr!". Das mehr ist jedoch durchgestrichen. Stattdessen steht dort nun "tue weniger!"

Foto: stocksnap/pixabay (bearbeitet von webcare+)

Wie sieht es bei OMPRIS mit dem Datenschutz aus?

Jan Dieris-Hirche: Der Datenschutz wird bei uns natürlich gewährleitet. OMRPIS findet komplett über eine eigens entwickelte Softwareumgebung statt, die alle Daten sicher speichert und alle Kommunikationen 1:1 verschlüsselt. Alles läuft browserbasiert ab, das heißt die Nutzer*innen müssen keine Software downloaden. Sie können alles online über einen verschlüsselten und gesicherten Zugang durchführen.

Da OMRPIS eine Versorgungsforschungsstudie ist, liegen sowohl Ethikvoten aller beteiligten Universitäten als auch Bestätigungen von Datenschützern vor. Diese haben geprüft und bestätigt, dass OMRPIS allen Kriterien des aktuell gültigen Datenschutzes erfüllt. Da es sich in Teilen auch um gesundheitsbezogenen Daten handelt, ist natürlich die bestmöglichste Sicherheit zu gewährleitesten. Die Daten werden zudem auf einem sicheren Server in Deutschland gespeichert.

Was sind die Voraussetzungen, um am Programm teilnehmen zu können?

Jan Dieris-Hirche: OMPRIS richtet sich an die Menschen, die selbst ein problematisches Internetverhalten aufweisen oder sich selbst testen wollen. Teilnehmen können alle Interessierten, die folgende Kriterien erfüllen:

  • Mindestens 16 Jahre alt (mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten bei Minderjährigen)
  • Mindestens problematische Mediennutzung oder subjektiver Leidensdruck
  • Ausreichende Deutschkenntnisse
  • Internetanschluss mit Webcam

Nur in sehr wenigen Fällen ist eine Teilnahme aus ethischen Gründen ausgeschlossen, diese werden im Informationsgespräch ausführlich besprochen und können natürlich auf der Homepage jederzeit nachgelesen werden.

Angehörige von Menschen mit Internetsüchten können sich ebenfalls auf der Website über das OMPRIS-Programm informieren. In vielen Erklärungstexten und auch Hilfsvideos wird das Angebot genau erklärt. Wir haben darauf geachtet, dass Informationen möglichst direkt, klar und einfach präsentiert werden, sodass sich alle Menschen schnell orientieren und informieren können. Angehörige sollten sich am besten zusammen mit den Betroffenen diese Informationen anschauen und dann in die Diskussion gehen, ob eine Teilnahme hilfreich sein könnte. Zumeist hilft es Betroffenen sehr, wenn „von außen“ ein sanfter, liebevoller Anstoß kommt, der manchmal zur Überwindung nötig ist, um dann etwas zu verändern.

OMPRIS ist für die Teilnehmenden völlig kostenlos. Es leistet als innovative Versorgungsforschung einen Beitrag zur Entwicklung neuer Versorgungformen und wird vom Innovationsfond des G-BA Deutschland gefördert. Für die sorgfältige Beantwortung der Fragebögen am Ende des Programms und nach 6 Wochen gibt es sogar noch eine kleine Aufwandsentschädigung.

Die Taste F1 beziehungsweise Hilfe auf einer Computer-Tastatur.

Foto: publicdomainpictures/pixabay

An wen können sich Menschen wenden, die am Programm gegen Internetsucht teilnehmen möchten?

Jan Dieris-Hirche: OMPRIS ist frei über das Internet über die Website www.onlinesucht-hilfe.com verfügbar. Jede*r Interessierte kann einen schnellen Selbsttest zur Mediennutzung durchführen. Für den Fall, dass es Hinweise auf eine problematische oder suchthafte Internetnutzung gibt, werden Betroffene eingeladen, sich bei OMPRIS zu registrieren. Es folgt eine webcambasierte Aufklärung und Information durch die OMPRIS-Beratenden.

Das OMPRIS-Programm startet etwa im Juni 2020 und wird dann bis 2022 kontinuierlich ein Beratungsangebot anbieten. Aktuell arbeiten wir fleißig an den technischen und inhaltlichen Prozessen, sodass wir den Teilnehmenden ein möglichst effektives, komfortables und niederschwelliges Angebot machen können. Interessierte können sich aber bereits jetzt auf der Website informieren und per Email vormerken lassen, sodass sie dann eine zügige Beratung erhalten, sobald OMPRIS online ist.

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