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Programmiersprache. Ein Bildschirm voller Nullen und Einsen. In der Mitte sind einige Nullen Einsen rot gefärbt und bilden zusammen ein Herz.

Foto: Alexander Sinn/Unsplash

Digitale Ethik: Wie können wir im Internet gut miteinander leben?

16 April 2020

Lesezeit 7 Minuten

Wir haben Prof. Dr. Oliver Zöllner vom Institut für Digitale Ethik interviewt. Das Institut gehört zur Hochschule der Medien in Stuttgart (HdM) und wurde offiziell 2014 gegründet. Die Tradition der Digitalen Ethik oder auch Medienethik reicht an der Stuttgarter HdM allerdings rund 20 Jahre zurück.

Was ist Digitale Ethik? Mit welchen Fragen und Themen beschäftigt sie sich?

Oliver Zöllner: Digitale Ethik ist ein Teilgebiet der Angewandten Ethik. Ethik versucht, die Grundlagen und Regeln unserer Entscheidungen zu hinterfragen und zu reflektieren. Das haben wir auf den digitalen Raum ausgeweitet. Wir haben uns gefragt:

Was sind die Wertmaßstäbe für ein gelingendes Miteinander im Digitalen? Diese Voraussetzungen zu klären, ist also das Anliegen der Digitalen Ethik.

Unser Institut beschäftigt sich unter anderem mit folgenden Themen:

  • Big Data und Privatsphäre (Mangel an Informationsgerechtigkeit, Autonomie und Transparenz)
  • Manipulation und nicht angemessene Informationsselektion
  • Verletzendes Kommunikationsverhalten im Netz (Trolling, Cybermobbing, sexuelle Belästigung)
  • Gefährdungspotenziale durch Medieninhalte (Gewaltvideos, Hass-Seiten, Internet-Pornografie, Menschenwürde-Verletzung, Suizidforen)
  • Ambient und Virtual Reality
  • Künstliche Intelligenz und vernetzte Technologien (Internet der Dinge)
  • Ungerechte Distributions- und Produktionsstandards (Kostenfallen, Umweltbelastung durch Computer- und Handyschrott, unwürdige Produktionsbedingungen bei der Geräteherstellung)
  • Interkulturelle Kommunikationskonflikte

Welchen Einfluss haben digitale Medien auf unser Zusammenleben – aus ethischer Perspektive?

Oliver Zöllner: Digitale Medien ziehen sich inzwischen durch sämtliche Lebensbereiche. Sie werden immer wichtiger für das Zusammenleben und die Interaktionen der Menschen. Digitale Medien stiften Gemeinschaftlichkeit, aber auch Distanz. Sie ermöglichen neue und kreative Formen von Kommunikation und Austausch. Internet-Angebote bringen aber auch neue Herausforderungen mit sich, zum Beispiel die massive Verbreitung von hasserfüllter Rede (Hate Speech). Mit den digitalen Medien umzugehen, kann also auch problematisch sein. Wir haben es hier teilweise mit etwas ganz Neuem zu tun und wir müssen erst lernen, mit den neuen Ausdrucksformen des Digitalen angemessen umzugehen.

Wand aus Beton. Daran eine Leuchtreklame in Form einer Sprechblase. In der Sprechblase steht "Hallo".

Foto: Adam Solomon/Unsplash

Ist damit Medienkompetenz beziehungsweise Digitalkompetenz gemeint?

Oliver Zöllner: Das ist auf jeden Fall eines der großen Themen der Digitalen Ethik. Menschen sollen befähigt werden, digitale Medienangebote und ihre neuartigen Ausdrucksformen kompetent zu nutzen. Das ist unmittelbar mit ethischen Fragen verbunden.

  • Wie soll ich mich im digitalen Raum verhalten?
  • Soll ich überhaupt Facebook oder WhatsApp nutzen?
  • Was bedeutet es, wenn ich instagramme?
  • Welche Gefahren und welche Chancen sind damit verbunden?
  • und viele weitere…

Das gilt es abzuwägen und das ist eine große Herausforderung. Ethik zielt immer auf die Entscheidungskompetenz des Menschen. Welche Entscheidung treffe ich? Und welche Konsequenzen hat diese Entscheidung?

Wie verändern digitale Medien unsere Wertevorstellungen?

Oliver Zöllner: Solche Veränderungen können wir oft im Alltag beobachten. Ein Beispiel: Wir kennen alle das Phänomen, dass nette Menschen, die von Angesicht zu Angesicht wohl nie ein böses Wort sagen würden, sich im digitalen Raum manchmal wie Rüpel benehmen. Zum Beispiel in sozialen Netzwerken oder Diskussions-Foren. Sie beschimpfen und beleidigen dort andere Menschen, was sie im analogen Leben so kaum tun würden.

Da ist eine Diskrepanz zwischen dem analogen Selbst und dem (scheinbar anonymen) virtuellen Selbst festzustellen. Hier fragt die Digitale Ethik: Warum ist das so?

Was ist die Motivation, sich im digitalen Leben anders zu verhalten als offline? Wir können beobachten, dass sich in der digitalen Welt teilweise ganz andere Wertvorstellungen aufgebaut haben.

Zur Ethik gehört auch die Frage des Glücks. Können digitale Medien uns glücklich machen?

Oliver Zöllner: Das ist eine der großen Fragen der Philosophie – und somit auch der Digitalen Ethik. Aristoteles hat schon vor 2.500 Jahren davon gesprochen, dass wir nach dem „Glück“ und einem „gelingenden Leben“ streben sollen. Ob wir das gefunden haben, können wir im Grunde aber erst am Ende unseres Lebens ausmachen – in der Rückschau.

Aber wir sollten zumindest bemüht sein, für uns selbst, für unsere Mitmenschen und damit für die Gesellschaft das größtmögliche Glück zu finden. Wie das aussieht, müssen wir täglich erproben, also tatsächlich: Ausprobieren. Was trägt dazu bei, dass ich ein gutes Leben habe oder dass ich ein glücklicher Mensch werde?

Es gibt hierfür keine festen Regeln, die gewissermaßen in Stein gemeißelt sind. Wir müssen vielmehr schauen, was in einer konkreten Situation die bestmögliche oder zumindest angemessene Entscheidung ist – für uns selbst und für andere. Das ist immer eine Abwägungsfrage. Wir müssen bestehende Wertmaßstäbe reflektieren und gegebenenfalls neue aushandeln. Welche davon tragen am ehesten dazu bei, ein gelingendes Leben zu führen? Das lässt sich durchaus auf das Leben im Digitalen übertragen.

Zwei Hände halten ein Dutzend goldene Schokoladen-Eier.

Foto: Sharon McCutcheon/Unsplash

Das klingt ein bisschen nach digitalem Minimalismus. Ich brauche nicht jede App auf meinem Handy, muss nicht bei jedem sozialen Netzwerk angemeldet sein. Sondern ich frage mich: Was brauche ich davon wirklich? Was bringt mir überhaupt einen Mehrwert? Was tut mir gut? Alles andere wird gelöscht.

Oliver Zöllner: Weniger digitale Angebote zu nutzen oder zumindest nicht ständig – das kann eine Entscheidung sein. Muss aber nicht. Es kann genauso Menschen geben, die auch bei intensiver Nutzung von digitalen Angeboten ein sehr gelingendes, glückliches Leben führen – weil sie reflektiert damit umgehen.

Mir ist wichtig zu betonen: Digitale Ethik folgt keinem präskriptiven Ansatz, das heißt, sie schreibt nicht vor, welche Entscheidung die richtige ist. Ethiker wollen die Menschen in die Lage versetzen, Entscheidungen kompetent selbst zu treffen und für diese Entscheidung eigenverantwortlich einzustehen. Die Kompetenz steht hier im Vordergrund. Nicht nur die Medienkompetenz oder Digitalkompetenz, sondern die Entscheidungskompetenz. Wir schreiben nicht vor, wovon jemand mehr oder weniger machen sollte. Vieles muss man sicherlich auch erst einmal ausprobiert haben, bevor man für sich entscheiden kann: Das war jetzt gut oder weniger gut.

Wenn Menschen beispielsweise merken, dass nicht jede App glücklich(er) macht, sie diese löschen und sie das vielleicht entspannter macht oder ihnen schlicht mehr Zeit für Wichtigeres lässt, dann ist das in diesem Fall für sie die richtige Entscheidung.

Webcare+ arbeitet zu exzessivem Medienkonsum und Mediensucht. Wie bewerten Sie Addictive Design? Entwickler von Apps, sozialen Netzwerken und digitalen Spielen setzen gezielt psychologische Tricks ein, damit wir ihre Produkte möglichst häufig und lange nutzen. Dürfen digitale Medien süchtig machen?

Oliver Zöllner: Ein Addictive Design schränkt die menschliche Autonomie ein. Psychologische Tricks, die eine Zwangssituation kreieren, sind aus ethischer Sicht zu kritisieren und letztlich abzulehnen.

Das ist wie bei der Fast-Food- oder Tabak-Industrie. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind zu sagen: „Jetzt ist Schluss!“, weil es uns in der konkreten Situation allerdings auch gerade so großen Spaß macht und wir immer mehr davon haben wollen, dann haben wir ein großes Problem.

Solche suchtfördernden Programmierungen, die ja in vielen Plattformen und Apps durchaus angelegt sind, weil genau auf ihnen das Geschäftsmodell der maximalen Datenausbeutung basiert, schränken die Entscheidungshoheit des Menschen ein oder hintergehen sie bewusst. Das, was wir eben unter Ethik zusammengefasst haben, die Suche nach dem Glück, wird dadurch ausgehebelt.

Was hat es mit den 10 Geboten der Digitalen Ethik auf sich?

Oliver Zöllner: Das war ein Projekt meiner Kollegin Prof. Dr. Petra Grimm zusammen mit Master-Studierenden, JUUUPORT und der EU-Initiative klicksafe.de.

Sie haben wesentliche Aspekte eines angemessenen Miteinanders im Netz heruntergebrochen auf zehn Leitlinien, man könnte auch sagen: Zehn goldene Regeln. Diese zeigen, worauf wir in unserem digitalen Alltag achten sollten, um ein gutes Leben für uns und unsere Gesellschaft führen zu können. Eine tolle Initiative!

10 Gebote der Digitalen Ethik

Grafik: Institut für Digitale Ethik

Die 10 Gebote der Digitalen Ethik lauten:

  1. Erzähle und zeige möglichst wenig von Dir.
  2. Akzeptiere nicht, dass Du beobachtet wirst und Deine Daten gesammelt werden.
  3. Glaube nicht alles, was Du online siehst und informiere Dich aus verschiedenen Quellen.
  4. Lasse nicht zu, dass jemand verletzt und gemobbt wird.
  5. Respektiere die Würde anderer Menschen und bedenke, dass auch im Web Regeln gelten.
  6. Vertraue nicht jedem, mit dem Du online Kontakt hast.
  7. Schütze Dich und andere vor drastischen Inhalten.
  8. Messe Deinen Wert nicht an Likes und Posts.
  9. Bewerte Dich und Deinen Körper nicht anhand von Zahlen und Statistiken.
  10. Schalte hin und wieder ab und gönne Dir auch mal eine Auszeit.

Diese zehn digitalen Leitlinien sind auch als Postkarte oder Booklet erhältlich und können bei JUUUPORT und klicksafe bestellt werden.

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