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Saskia Rößner aus dem Podcast Mediensucht verstehen

Mediensucht erkennen: Immer weniger andere Hobbys haben (S01E06)

15 Oktober 2025

Lesezeit 8 Minuten

Information: Das hier ist das Transkript zu einer Podcastfolge. Wenn du die Podcastfolge stattdessen lieber anhören oder ansehen möchtest, findest du die Links dazu am Ende des Textes.

Saskia Rößner: Woran erkennt man eigentlich Mediensucht? Eines der Kriterien ist Interessensverlust, das heißt das Medium wird immer wichtiger und alles andere in deinem Leben — Freund*innen, Hobbys — wird immer unwichtiger und du verbringst immer weniger Zeit damit. Dieses Kriterium schauen wir uns heute gemeinsam an.

Herzlich willkommen zu „Mediensucht verstehen“, dem Podcast der Hessischen Landestelle für Suchtfragen, gefördert durch die Techniker Krankenkasse in Hessen. Mein Name ist Saskia und mit mir im Studio ist Kai Müller, unser Experte zum Thema Meidensucht. Herzlich willkommen, Kai.

Kai Müller: Danke für die Einladung, Saskia. Ich freue mich, hier zu sein.

Saskia Rößner: Schön, dass du da bist.

Wir wollen hier Mediensucht verstehen und in unserer allerersten Folge haben wir uns die verschiedenen medizinischen Kriterien zum Thema Mediensucht im Allgemeinen angeguckt. Heute wollen wir uns mit dem fünften der insgesamt neun Kriterien beschäftigen, dem Interessensverlust.

Kai, was hat der Verlust von Interessen mit Mediensucht zu tun?

Mediennutzung steht im Fokus

Kai Müller: Ich freue mich, dass wir über das Kriterium sprechen, weil das ein sehr wichtiges ist. Im Kontext mit Mediensucht oder Internetsucht sprechen wir von Interessenverlust dahingehend, dass sich Betroffene wirklich eine Priorisierung aufbauen. Eine Priorisierung heißt, dass Sachen, die früher Spaß gemacht haben, gar nicht mehr so interessant, nicht mehr so attraktiv sind — wie das Kriterium schon sagt — sondern, dass nur noch das Gaming, die Nutzung sozialer Netzwerke oder Onlinepornografie im Fokus stehen.

Andere Sachen, an denen Betroffene früher wirklich Spaß gehabt haben, geraten in den Hintergrund. Zum Beispiel Hobbies oder eben einfach Kleinigkeiten. Es müssen nicht immer alles Hobbys sein. Es kann auch einfach nur einkaufen gehen sein, in den Supermarkt gehen und sich was Schönes holen, wo man früher gedacht hat, ich hole mir was Leckeres zu essen oder zum Kochen. Das macht auch keinen Spaß mehr. Es verschwindet sozusagen aus der Reichweite des Attraktiven.

Rückzug aus anderen Hobbies

Saskia Rößner: Nun ist das ja eigentlich ganz normal, dass sich Hobbys auch mal ändern — dass sich das, was ich als Teenie total toll fand, in der Ausbildungs- oder Studienzeit irgendwie ganz anders darstellt und dass ich mir neue Hobbys suche. Aber ab wann wird das im Punkt Mediensucht kritisch? Ab wann muss ich mir Sorgen machen?

Kai Müller: Das, was du sagst, ist absolut richtig. Hobbys ändern sich. Aber das Wichtige ist, wenn sich ein Hobby ändert, wird es in der Regel von einem anderen ersetzt. Man sucht sich was anderes. Mir ging das auch so. Ich habe früher sehr viel Mountainbiking gemacht und irgendwann habe ich gedacht, „So toll ist es irgendwie nicht mehr“. Dann bin ich mehr Skateboard gefahren. Es wurde ersetzt. Das Kriterium ist schon so zu verstehen, dass es nicht ums Ändern geht, sondern darum, dass sich Leute wirklich aus anderen Hobbys zurückziehen, nur um wirklich mehr Zeit für den Konsum aufwenden zu können. Dann wird es was kritisch. Es geht nicht darum, dass die Leute sagen „Ach, das macht mir keinen Spaß mehr, ich such mir jetzt was anderes“, sondern, dass sie immer wieder in den Konsum reingezogen werden.

Kein Interesse an neuen Hobbies

Saskia Rößner: Das heißt, ein Beispiel wäre: Früher war Zocken eines meiner Hobbys. Ich hatte noch zehn andere. Mit der Zeit fallen aber immer mehr von diesen Hobbys weg und ich geh nicht mehr Skateboard fahren. Ich gehe nicht mehr Mountainbiken. Ich treffe mich vielleicht nicht mal mehr mit Freund*innen. Ich gehe nicht mehr shoppen oder Eis essen oder so was. Sondern es bleibt zum Schluss fast nur noch oder vielleicht sogar nur noch das Zocken übrig, und ich mache in meiner Freizeit eigentlich nichts anderes.

Kai Müller: Nichts anderes. Das trifft’s genau.

Saskia Rößner: Also es ist nicht nur der Verlust eines Interesses, sondern der Verlust eigentlich aller oder der meisten anderen Interessen.

Kai Müller: Im Grunde ist es der Verlust an Lebensneugier. Das ist das Wichtige.

Saskia Rößner: Das heißt, man hat auch gar kein Interesse mehr daran, andere Sachen kennenzulernen, auszuprobieren, sich neue Hobbys zu suchen.

Kai Müller: Genau das ist es. Alles fokussiert sich auf den Konsum. Es wird nicht die Idee produziert oder gewonnen, dass man sagt „Jetzt habe ich mal darauf Lust“. Das findet nicht mehr statt.

Wie viele Hobbies sind gesund?

Saskia Rößner: Ich glaube, dann habe ich das soweit verstanden. Vielleicht können wir jetzt noch mal versuchen, die Grenze zu ziehen. Ich dachte ja eben schon, dass es ganz normal ist, dass man mal was Neues entdeckt, dass ein altes Interesse mal in der Schublade verschwindet oder auch im Mülleimer. Aussortieren soll ja auch gesund sein. Wahrscheinlich kannst du das nicht an der Zahl benennen, aber wo ist die gesunde Balance? Wo ist die Grenze? Wie viele Hobbies brauche ich neben dem Zocken, damit ich mich zurücklehnen kann und weiß, dass Mediensucht bei mir kein Thema ist.

Kai Müller: Eine Zahl kann man beim besten Willen nicht nennen. Es gibt ja auch Leute, die wirklich nur ein oder zwei Hobbys intensiv verfolgen. Zum Beispiel lesen und vielleicht Briefmarken sammeln oder etwas Ähnliches. Das habe ich früher auch mal gemacht — Briefmarken sammeln.

Saskia Rößner: Ich merke schon, du hattest sehr viele Interessen.

Kai Müller: (lacht) Unterschiedliche auch. Ich glaube die Sache ist, dass wenn man merkt, dass man wirklich lange an einer Sache kleben bleibt und man sich nicht mehr daraus lösen kann, dann sollte man sich Gedanken machen. Tut mir das gut? Tut es mir nicht so gut? Ist es neutral? Wenn ich merke, dass es mir nicht so guttut, würde ich mir auf jeden Fall Gedanken machen, einen Ausgleich zu suchen. Egal, was es ist. Auch wenn es Briefmarken sammeln ist. Aber ich würde mir auf jeden Fall Gedanken machen, dass es nicht gut ist, mich so sehr darauf zu fokussieren und darauf zu versteifen.

Bei der Anzahl der Hobbys würde ich den Leuten auf jeden Fall niemals eine Hausnummer geben. Jeder macht das, was ihm oder ihr Spaß macht. Wenn es ein Hobby ist – sehr gut. Hauptsache es gibt eines. Und wenn es zehn Hobbies sind, ist das auch okay. Hauptsache es stresst einen nicht. Am wichtigsten ist, dass man rechtzeitig merkt, wenn man sich aus anderen Lebensbereichen immer mehr zurückzieht, wenn Sachen, die einem früher Spaß gemacht haben, einen nicht mehr reizen, weil man das Gefühl hat, ins Game oder ins soziale Netzwerk rein zu müssen. Oder Onlinepornographie konsumieren zu müssen. Wenn man merkt, dass es das einzige ist, was einen noch anzieht. Wenn man dieses Gefühl hat, dann sollte man sich Gedanken machen.

Ausgleich zur Bildschirmzeit ist wichtig

Saskia Rößner: Ich höre da ein bisschen raus, dass in dem Punkt die Qualität der Hobbys viel wichtiger als die Quantität ist. Du hast schon gesagt, du kannst keine Hausnummer nennen. Es braucht nicht so und so viele Hobbys, damit man davor geschützt ist, eine Mediensucht zu entwickeln. Aber den Ausgleich hast du betont. Es ist wichtig, einen Ausgleich zu haben. Was wäre, wenn ich sehr viel Zeit mit Social Media verbringe, weil ich hobbymäßig Content Creator bin oder da andere tolle Sachen mache. Was wäre denn aus deiner Sicht, aus deiner Erfahrung hier ein guter Ausgleich?

Kai Müller: Ein guter Ausgleich bei allen Bildschirmaktivitäten — so altbacken, wie es sich anhören mag — ist Bewegung. Denn in der Regel sitzt man ja vorm Bildschirm.

Saskia Rößner: Oder ich liege auf dem Sofa.

Kai Müller: Von mir aus auch das (lacht). Oder ich stehe am Bildschirm. Egal. Die Sache ist, man bewegt sich nicht großartig. Entweder liegen, sitzen oder stehen. Eine gute Idee für einen Ausgleich ist da eben zu sagen, jetzt mit dem Hund spazieren zu gehen, nachdem man lange Zeit in einer gewissen monotonen, bzw. starren Position verharrt hat. Oder man geht einfach eine Runde, wenn man Lust hat. Das ist zwar nicht so meins, aber joggen oder laufen gehen funktioniert auch. Oder aufs Mountainbike oder aufs Skateboard oder man spielt eine Runde Boule oder etwas anderes.

Tipp zur Selbsthilfe: Mindestens ein Hobby ohne Bildschirme

Saskia Rößner: Was hältst du von solchen Fitnessspielen mit entsprechender Konsole? Es gibt ja die, mit denen man Golf oder Tennis spielen kann, oder man macht so ein bisschen Gymnastik, Aerobic, Tanzspiele. Lässt du das als Ausgleich gelten?

Kai Müller: Ich darf mit „Jein“ antworten. Also es ist auf jeden Fall ein Ausgleich. Was ich aber glaube, was den Leuten guttut, ist— auch hier wieder so altbacken — wenn sie sich auch mal von diesem Digitalen lösen. Das tut unserer Psyche gut.

Saskia Rößner: Also, Empfehlung vom Experten: Mindestens ein Hobby haben, das nichts mit Bildschirmen zu tun hat.

Neue Beschäftigungen finden: Klein anfangen

Kai Müller: Ein Hobby oder halt eine Routine. Hobbys klingt direkt immer so groß. Das kenne ich von meinen Patientinnen und Patienten, wenn ich versuche, mit denen Aktivitätenaufbau wieder hinzukriegen. Dann überlegen sie ganz lange, was sie jetzt machen können. Freeclimbing oder Downhill-Mountainbike-Rennen oder auch Skateboard. Da haben sie dann Bedenken, weil sie das ja ganz lange üben müssten.

Es geht eher um Routinen. Also wirklich Sachen, die einem Spaß machen. Deswegen habe ich vorhin auch das Einkaufen im Supermarkt genannt, weil das erstens eine Notwendigkeit und zweitens nicht anstrengend ist. Aber man hat vielleicht trotzdem ein bisschen Spaß daran, je nachdem, was man kauft. Also klar, wenn man nur Klopapier kauft, hält sich der Spaß in Grenzen, aber wenn man sich überlegt „Okay, ich gehe an die vegane Theke und gucke mal, was es für neue Produkte gibt oder was ich kochen kann“, dann ist das auch eine Routine – eine Verhaltensroutine. Man kann auch klein denken. Warum nicht eine Runde spazieren gehen?

Saskia Rößner: Für mich klingt Spazierengehen auch erst mal machbarer als Freeclimbing.

Kai Müller: Ja, würde ich auch sagen.

Saskia Rößner: Freeclimbing klingt schon sehr extrem. Ich habe hohen Respekt vor den Leuten, die das machen. Aber ich glaube, eine Runde Spazierengehen ist für die meisten Leute schon etwas, das man im Alltag unterbringen kann, selbst wenn es nur eine Runde um den Block ist.

Den Alltag erleben und Erfahrungen sammeln

Kai Müller: Ja, genau. Und was die meisten Leute vergessen, ist, dass man beim Spazierengehen auch Sachen erlebt, die man nicht antizipiert. Also man trifft jemanden und sagt „oh, Sie haben aber ein schönes T-Shirt an“, oder „wo haben Sie denn die Schuhe her?“. Es kann alles Mögliche sein. Es ist wichtig, Erfahrungen zu sammeln, also Alltagserfahrungen. Das müssen gar keine Freeclimbing-Begegnungen sein, sondern es geht nur darum, dass man etwas für sich aus dem Leben rauszieht, was Überraschendes.

Saskia Rößner: Okay, dann haben wir jetzt zwei super Tipps von dir. Einmal was suchen, was nicht mit Bildschirmen zu tun hat und zum Beispiel als Hobby ausleben und vor allem im Alltag immer wieder kleine Routinen einbauen, die uns weg von der Spielekonsole, weg vom Handy locken und die uns einfach das Leben erleben lassen.

Kai Müller: Das ist gut zusammengefasst. Was ganz zum Schluss von mir auch noch ein wichtiger Punkt ist: Wenn man wirklich merkt, dass man anfängt, sich aus anderen Bereichen, die einen vorher wirklich gefesselt haben, die Spaß gemacht haben, zurückzuziehen, nur um immer mehr im Konsum zu verbringen — Social Media, Gaming, Porno, was auch immer — spätestens dann sollte man die Reißleine ziehen. Dann sollte man wirklich gucken, dass es nicht in die Richtung weiter fortschreitet.

Saskia Rößner: Guter Hinweis. Danke, Kai!

Mehr Tipps und Hilfe

Wenn ihr mehr Tipps zur Selbsthilfe braucht, dann guckt euch doch auf unserer Website um. Da findet ihr neben mehr Selbsthilfe-Tipps auch Kontakte von Beratungsstellen oder anderen professionellen Hilfsangeboten.

Wenn ihr Fragen an Kai habt, dann könnt ihr am 9. Dezember von 13 bis 15 Uhr an unserem Online-Live-Format teilnehmen und dort alle eure Fragen an Kai richten.

In der nächsten Folge werden wir uns mit dem nächsten Kriterium beschäftigen. Das sind die Negativfolgen bzw. das Fortführen des Konsums trotz Negativfolgen. Ganz schön langer Titel. Kai wird uns aber ganz genau erklären, was das bedeutet.

Ansonsten kann ich euch nur bitten, den Podcast zu abonnieren und uns ein paar Sterne dazulassen. Wenn ihr jemanden kennt, den ihr, bei dem, was Kai uns erzählt hat, wiedererkannt habt, dann teilt doch bitte diese Folge mit ihm, damit die Person sich vielleicht rechtzeitig Hilfe sucht.

Danke und bis zur nächsten Folge!


Digitale Sprechstunde mit Kai Müller:

Link zur Sprechstunde am 9. Dezember 2025

Podcast anhören oder ansehen:

Screenshot von Kai Müller aus dem Podcast Mediensucht verstehen Mediensucht erkennen: Medien nutzen, obwohl sie dir nicht guttun (S01E07) Screenshot von Kai Müller aus dem Podcast Mediensucht verstehen Mediensucht erkennen: Mediennutzung nicht reduzieren können (S01E05)
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